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Edelweißpiraten - der andere Widerstand

Die weiße Rose kennt jeder, gebildete junge Leute, eigentlich kreuzbrav, drucken wortgewaltige Flugblätter und werden dafür hingerichtet. Den Widerstand des 20. Julis kennt auch jeder. Adelige Offiziere versuchen, Hitler zu töten und wollen danach einen Putsch versuchen - Hitler überlebt, die Attentäter nicht. Diese beiden bekannten Widerstandsgruppen haben gemein, dass es nicht gerade die ganz einfachen Leute waren, die da Widerstand geleistet haben, dass sie nach dem Krieg gute Fürsprecher hatten, die nicht nur die Erinnerung wach hielten, sondern auch gegen die Versuche von Altnazis vorgehen konnten, die Zweifel sicherlich gern gestreut hätten.

Bei den Edelweißpiraten war das anders. Die kamen aus den Arbeitervierteln der Rhein-Ruhr-Region und ihre Peiniger von der Gestapo waren auch nach dem Krieg oft noch in den Verwaltungen, sagten gegen die größtenteils immer noch jungen ehemaligen Widerständler aus, drängten sie in eine kriminelle Ecke, aus der sie über viele Jahre nicht mehr herauskamen.

Die Edelweißpiraten hatten noch viele andere Namen. In den dreißiger Jahren prügelten sich die Navajos mit den HJ-lern in der Kölner Südstadt. Auch Nerother wanderten durchs Bergische oder die Eifel und sie alle sangen Lieder der verbotenen bündischen Jugend, machten große Fahrten und wollten sich dem Drill der Hitlerjugend nicht unterwerfen. So richtig politisch war das noch gar nicht. Und nicht wenige aus der bündischen Jugend waren der Lagerfeuerromantik der HJ auch sehr zugetan, viele Gruppen gingen bei Zusammenschluss der Jugendgruppen gerne in der NS-Organisation auf. Allerdings verlor die HJ einen gewissen Prozentsatz davon auch wieder, weil Drill und Geschlechtertrennung nicht gut bei den Wandervögeln ankamen.

Eigentlich ging es den Jugendlichen hauptsächlich ums Singen, ums Zusammensein und um ihre kleinen Fahrten und Wanderungen, doch das wurde sehr politisch. Die Lieder, die von fernen Ländern kündeten, waren verboten, Freiheit war eh ein Unwort im Dritten Reich und alle Jugendlichen, die sich den NS-Jugendorganisationen fernhielten, waren grundsätzlich verdächtig. Da die Edelweißpiraten von vornherein verdächtig waren, war es kein langer Weg, bis sie auch politisch wurden. Die Jugendlichen versorgten Kriegsgefangene und untergetauchte Juden - dass sie dafür stahlen, wurde ihnen auch noch nach dem Krieg als kriminelle Handlungen angekreidet -, sie verteilten Flugblätter mit einfachen Parolen und schrieben diese auch bei Nacht an die Wände. Ein paar verschwanden, nachdem sie von der Gestapo geschnappt wurden, viele Jungen fuhren mit dem nächsten Zug an die Front und kamen in den Strafkompanien ums Leben. In Köln wurden sechs Mitglieder der Edelweißpiraten aus der Ehrenfelder Gruppe im Arbeiterviertel Ehrenfeld auf offener Straße erhängt, der jüngste, Bartholomäus Schink, war gerade erst 16 Jahre alt.

Die Kölner Edelweißszene ist die bekannteste, was sicherlich auch an der besonderen Situation in Köln als Medienstadt und als der größten Stadt der Region liegt. Edelweißpiraten unter diesem oder anderen Namen gab es aber genauso in Düsseldorf und Leverkusen, im bergischen Wuppertal und in vielen Städten des Ruhrgebietes. Viele davon kannten sich. So gehörten zu der Gruppe "Edelweiß" aus der Kölner Mitte auch ein paar Freunde aus Düsseldorf, man ging gemeinsam auf Fahrten, man machte gemeinsame Aktionen. Gertrud Koch, Mitglied dieser Gruppe, die über ihr Leben wie einige andere auch Bericht erstattet hat, wurde sogar in Düsseldorf zum ersten Mal festgenommen. Praktisch alle, die in diesen bündischen Gruppen aktiv waren, bekamen es irgendwann mit den verschiedenen NS-Organisationen zu tun, gerieten in die Fänge der Gestapo und man kann heute noch in den ehemaligen Zellen des berüchtigten EL-DE-Hauses am Appellhofplatz in Köln die eingeritzten Liedtexte lesen, die in den winzigen Räumen in teilweise wochenlanger, ja monatelanger Haft dort eingearbeitet wurden.

Zum Thema gibt es inzwischen einen Film, der allerdings in den Kinos kein wirklicher Erfolg war, und jede Menge Bücher gibt es auch, allerdings nur selten aus den großen Verlagen. Lobenswerte Ausnahme sind "Edelweiß" von Gertrud Koch (bei Rowohlt erschienen) und "Kohldampf, Knast un Kamelle" von Jean Jülich (KiWi).
Beide kann man auch hören, denn beide waren auch an einer CD beteiligt, die alte Edelweißpiraten und junge Kölner Musiker zusammen aufgenommen haben. "Es war in Schanghai ..." ist allerdings leider nicht auf dem freien Markt zu bekommen, sondern nur beim NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus.
Schon etwas länger auf dem Markt ist das Buch "Edelweißpiraten" von Fritz Theilen (bei Emons), das auch in der Hauptsache dessen Geschichte erzählt, aber auch Seitenblicke auf Barthel Schink zulässt. Und es gibt auch noch ein Buch, das sich ganz auf Schink konzentriert: "Er war sechzehn, als man ihn hängte" von Alexander Goeb (bei Klett) nähert sich dem Jugendlichen aus Ehrenfeld an, erzählt seine Geschichte.
Neben den Büchern über die Kölner Widerständler gibt es noch die Romane von Kurt Piehl, einem Edelweißpiraten aus Dortmund. Er erzählt vermutlich ziemlich autobiografisch über einen fiktiven "Latscher", der viele Abenteuer erlebt und den Krieg mehr durch Glück und Zufall als allem anderen erlebt. Piehl war - er starb 2001 - kein professioneller Schriftsteller, und so manches mag an "Latscher, Pimpfe und Gestapo" unprofessionell wirken (bei Brandes & Apsel), aber auf der anderen Seite zeigt es den ziemlich unbarmherzigen Kampf, der auch im Ruhrgebiet stattfand, mitten zwischen den ständigen Bombardierungen und den Trümmerwüsten.

Bald wird es keine Edelweißpiraten mehr geben, denn selbst die jüngsten Mitglieder gehen nun langsam auf die Achtzig zu, aber das, was man von ihnen noch erfahren kann, sollte unbedingt noch weiter gesammelt werden, denn diese beherzte Gruppe, die aus einem unpolitischen Bereich heraus in die politische Widerstandsarbeit eintrat, zeigt, dass man damals etwas gegen Hitler tun konnte, und dass es für die, die keinen Widerstand leisteten, wenig Ausreden gibt.

Holger Hennig