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Sprechende Männer: Über ein außergewöhnliches Buch
Interview mit Jochen-Martin Gutsch
Media-Mania.de: Herr Gutsch, im – nennen wir es mal so – Vorwort erzählen Sie, wie es zu Ihrem und Maxim Leos Buch "Sprechende Männer" kam. Das Buch verdankt seine Existenz nicht unwesentlich der Tatsache, dass Maxim Leo vor nicht allzu langer Zeit vierzig wurde und Sie sich diesem offensichtlich bedeutsamen runden Geburtstag mit großen Schritten näherten. Was geht in oder mit Männern vor, wenn sie vierzig Jahre alt werden? Und was hat Sie beide dazu bewogen, die Gedanken, die Vierzigjährige beschäftigen oder auch umtreiben, in Buchform zu veröffentlichen?

Jochen-Martin Gutsch: Vierzig ist erstmal nur eine Zahl. Aber dann eben doch nicht ... Vierzig heißt: Die Mitte des Lebens ist erreicht. Die Hälfte der Show ist vorbei. Man ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Vierzig ist ein seltsames Zwischenalter. Vieles ist erreicht, angeschafft: Ein Beruf, eine Frau, Kinder, vielleicht ein Haus. Und dann fragt man sich plötzlich: Ist das gut so? Ist es das, was ich wollte?
Männer (und Frauen sicherlich auch) stellen sich dann Sinnfragen. Aus dem Gefühl heraus: Wenn ich noch mal etwas ändern will in meinem Leben, dann doch jetzt. Mit 50 bin ich vielleicht schon zu bequem. Mit 60 zu alt. Mit siebzig fast tot.
Deshalb ist unser Buch eine Art Lebens-Inventur. Wir wollten schauen, was aus uns geworden ist. Ob wir uns wohl fühlen in unserem Leben.
Ein Freund sagte: „Es ist ein Buch über Männer. Aber genauso ein Buch über Lebensentwürfe. Es geht um die Frage: Wie lebe ich richtig?“
Das beschreibt es eigentlich ganz gut.

Media-Mania.de: Das Buch besteht aus einer Abfolge von E-Mails; jedes Kapitel umfasst die Korrespondenz eines Tages. Wie kam es zur Wahl dieser Kommunikationsform? Warum schien sie Ihnen besser geeignet für Ihr Buchprojekt als zum Beispiel per Diktiergerät aufgezeichnete unmittelbare Dialoge in einer gemütlichen Bar?

Jochen-Martin Gutsch: Unser Ziel war es, etwas Wahrhaftiges zu schreiben. Es gibt ja bereits sehr viele Bücher über Männer. Aber viele dieser Bücher empfanden wir als künstlich. Als Klischee-Bücher. Sie handelten von Männer-Typen und Männer-Themen, die wir so gar nicht kannten. Die E-Mail-Form hat den Vorteil, dass sie sehr direkt ist. Man kann sich aneinander reiben, auch gegenseitig provozieren, Reaktionen forcieren. Man kann kaum ausweichen. Eine Regel, die wir uns aufstellten, war: Jede Frage darf gestellt und muss auch beantwortet werden. Wir wollten uns zwingen, ehrlich zu sein, offen. Wir wollten uns selbst in diesem Gespräch überraschen, Dinge herausfinden, die wir noch nicht wussten. Über das eigene Männer-Leben und das Leben des anderen.
Warum kein Diktiergerät in einer Bar? Mündliche Gespräche sind sehr direkt - aber man muss so schnell reagieren, dass kaum Zeit zum Nachdenken bleibt.
Das hätte dem Buch nicht gut getan.

Media-Mania.de: Frauen beschweren sich vor allem darüber, dass sie mit ihren Partnern nicht über die "Beziehungskiste" reden können, aber Ihr Buch macht Leserinnen und Lesern bewusst, dass sich das übliche "Schweigen der Männer" auch auf viele andere Bereiche bezieht, die mit Gefühlen zu tun haben. Psychologen und Therapeuten können das natürlich erklären – wie würden Sie als Mann und Nicht-Psychologe "in a nutshell und aus dem Leben" diese Stummheit begründen?

Jochen-Martin Gutsch: Männer wollen und sollen stark sein. Stärke wird von ihnen eingefordert: Im Beruf genauso wie im Privatleben. Das Männerbild hat sich sicherlich gewandelt, ist aber in seinem Kernbereich fast unverändert. Die meisten Frauen erwarten von einem Mann vielleicht Sensibilität, mehr Gefühl - aber nicht auf Kosten der Stärke. Ein Mann soll auch heute noch Geborgenheit geben, jemand „zum Anlehnen“ sein, jemand, der „etwas aufbaut“. Dieses Bild macht es Männern schwer, Gefühle zu äußern. Ein Gefühl ist ja immer irgendwie unkontrollierbar. Gefühle wie Angst, Unsicherheit, Zweifel, Verliebtheit, Sehnsucht führen bei einem Mann oft zu der Reaktion: Ich will nicht groß darüber reden. Ich will das in den Griff kriegen!
Ein Mann ist ungern verletzbar. Verletzbarkeit beschädigt das Bild der Stärke.

Media-Mania.de: Ohne Pseudonym teils sehr intime Details aus dem eigenen Leben zu veröffentlichen, erfordert einigen Mut, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Sie beide Männer sind. Berührt es Sie manchmal eigenartig, zu wissen, dass jede Menge Leute diese Details gelesen und über manche davon sicherlich geschmunzelt haben – was ja durchaus auch gewollt ist?

Jochen-Martin Gutsch: Ich glaube, wenn man sich für ein solches Projekt entscheidet, dann muss man auch mit den Konsequenzen leben. Für uns war klar: Entweder wir machen das richtig oder gar nicht. Wir wollten kein „lauwarmes“ Buch. Am Ende ist es doch auch so: Es steht ja gar nichts Skandalöses in dem Buch oder wirklich Extremes. Es ist keine Männer-Variante von „Feuchtgebiete“. Wir sprechen nur über Dinge, die jeder Mann kennt, aber ungern oder nie darüber redet. Überrascht sind wir über die Reaktionen. Die Leute sagen oft: „Ihr seid so unglaublich ehrlich. Musste das sein?“ Wir spüren da ein Schamgefühl. Nicht nur bei männlichen Lesern. Auch bei Frauen.
Dabei schreiben wir über alltägliche Dinge.

Media-Mania.de: Wenn ich Buchhändlerin wäre und Ihr Buch ins passende Regal stellen müsste, hätte ich ein Problem. Es hat ein Stück weit Ratgebercharakter, zum anderen bietet es aber auch ganz einfach Unterhaltung, grundsätzlich mit sehr viel Tiefe, jedoch auch spritzig, Philosophie ist auch dabei. Wo würden Sie Ihr Buch verorten, oder sprengt es die Grenzen der klassischen Genres?

Jochen-Martin Gutsch: Es ist ein belletristisches Sachbuch. Ungern sehen wir uns als Ratgeber. Wir geben ja keine Ratschläge, wir erzählen nur über uns. Wir hoffen, dass das Buch klug ist. Wir hoffen, dass sich Leser damit identifizieren können. Dass die Männer sich selbst erkennen und die Frauen ihre Männer. Und wir wollen unterhalten. Das Buch soll man gerne lesen. Und natürlich kann man auch lachen. Männer sind ja oft lächerlich. Und wir beide, als Autoren und Protagonisten, natürlich auch.

Media-Mania.de: Maxim Leo ist seit fast zwei Jahrzehnten glücklich verheiratet. Bei Ihnen, dem notorischen Single, deutet sich im Verlauf des Dialogs mit ihm die Entstehung zarter Liebesbande an. Wie steht Maxim Leos Frau zu dem Buch, in dem er ja auch viel über seine Ehe, über Treue, über Streitigkeiten, Sex und so weiter spricht – und gegebenenfalls Ihre Freundin?

Jochen-Martin Gutsch: Für Maxim Leos Frau war das nicht einfach. Wir mussten einen Weg finden zwischen Ehrlichkeit und Rücksichtnahme. Sie hat das Buch natürlich vorher gelesen. Sie ist noch immer nicht ganz glücklich darüber - aber es wird besser.

Media-Mania.de: Sie befassen sich im Buch auch mit Ihren Vätern. Was unterscheidet heutige Vierzigjährige am meisten von den "Männern in den besten Jahren", die Ihre Väter im selben Alter waren?

Jochen-Martin Gutsch: Die Anforderungen an den Mann sind gestiegen. Beruflich soll er nach Möglichkeit erfolgreich sein, aber auch privat sehr engagiert. Er soll Karriere machen oder zumindest gut verdienen und gleichzeitig viel Zeit mit Frau und Kindern verbringen. Er soll ein guter Vater sein, ein guter Liebhaber und der gut rasierte Fels zum Anlehnen in kritischen Lebensphasen. Das ist eine ganze Menge ...
Ich glaube, bei unseren Vätern war das Anforderungsprofil noch zurückhaltender.
Es wurde weniger erwartet. Genauso wie auch von Frauen weniger erwartet wurde. Es existiert heute so ein Idealbild von Beziehungen und Frauen und Männern, dem eigentlich niemand mehr gerecht werden kann.

Media-Mania.de: Wann dürfen wir Ihr nächstes Buch erwarten – wenn der 50. Geburtstag bevorsteht oder (hoffentlich) noch davor?

Jochen-Martin Gutsch: Ich hoffe vorher. Es gibt ja so vieles zu erzählen ....

Media-Mania.de: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg und alles Gute!

Zur Rezension des Buchs bei Media-Mania.de
Geführt von Regina Károlyi am 23.10.2011