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Im Gespräch mit dem Krimiautor Olaf Jahnke
Interview mit Olaf Jahnke
zu seinem Wirtschaftskrimi "Tod eines Revisors"

Media-Mania.de: "Gude" Olaf, du bist ja so gut wie Frankfurter, da kann man auch unseren ureigenen Gruß entbieten. Ich freue mich, dass du dir die Zeit für ein Interview genommen hast.
"Tod eines Revisors" ist dein erster Roman, und so weit ich das über Facebook & Co. mitbekommen habe, ist er und bist du ziemlich gefragt – Lesungen und Interviews am laufenden Band. Empfindest du da die Frankfurter Buchmesse als einen Termin unter vielen, oder stellt sie einen Höhepunkt bei der Präsentation deines Buchs dar?


Olaf Jahnke: Ein Höhepunkt bei der Präsentation ist es nicht, weil das Buch schon ein paar Tage länger draußen ist. Aber es ist natürlich ein ganz besonderer Event in Frankfurt und für mich, das ist schon klar. Hier trifft man sehr viele Leute, und ich hatte zum Beispiel gestern Abend im Hauptbahnhof eine sehr, sehr volle Lesung. Es waren natürlich noch andere, deutlich prominentere Autoren da, aber das macht Spaß. Absolut.

Media-Mania.de: Du schreibst schon seit deiner Jugend, allerdings vorwiegend journalistisch. Wie kamst du dazu, einen Krimi zu schreiben? Brauchte er lange zum Reifen?

Olaf Jahnke: Das Schreiben des Manuskripts brauchte gute drei, dreieinhalb Jahre, dann Überarbeitung, Testleser, Verlag … Vier Jahre. Das war schon ein langes Reifen, war aber auch geprägt von leichter Disziplinlosigkeit, weil ich mal Phasen hatte, in denen ich zwei Monate oder sechs Wochen nichts geschrieben habe. Das wird mir nicht noch mal passieren. Wie ich darauf gekommen bin … Da gibt es verschiedene Dinge. Das journalistische Schreiben ist natürlich immer begrenzt. Bei der Zeitung: ob hundert Zeilen, ob zweihundert Zeilen, und beim Fernsehen sind es drei oder vier, selten mal fünf Minuten, in denen man einen Magazinbeitrag unterbringen kann. Die O-Töne, die man drin hat und nicht lenken kann, natürlich auch nicht lenken will, wenn man sauber journalistisch arbeitet … Wenn man eine längere Form haben will, dann, glaube ich, ist das Buch die Idealform. Gleichzeitig ist es so, dass ich Tatort-Fan bin und vor ein paar Jahren dachte: Die sind alle so gleichförmig, der Neun-Uhr-Mörder ist es nie, und nur meckern reicht auch nicht. Ich bin der Typ, der sagt: "Selber besser machen!" Dann habe ich es ausprobiert, habe tatsächlich, wie es sich gehört, mit einem Exposé angefangen – wo soll meine Story langgehen? -, und habe einfach angefangen zu schreiben.

Media-Mania.de: Dein "toter Protagonist" ist Innenrevisor bei einer Frankfurter Bank, die der einheimische Leser trotz einer kleinen Namensänderung leicht identifizieren kann. Auch etliche andere Stätten und Institutionen erkennt der Frankfurter oder Taunusbewohner sofort (vermutlich sogar mancher Offenbacher). In wie weit haben dir deine Erfahrungen als Kameramann und Reporter beim HR [Hessischer Rundfunk, Anm. d. Red.] bei der Gestaltung des Settings geholfen? – und auch des Plots, denn die Abläufe in Banken, aber auch in einer psychiatrischen Klinik und bei der Polizei muss man schließlich kennen, wenn man sie darstellen will.

Olaf Jahnke: Ich bin jetzt seit über dreißig Jahren in den Medien tätig. Schon in meiner Ausbildung bei einem Fotobetrieb, der hauptsächlich zum Beispiel für die Neue Presse gearbeitet hat, dann war ich sieben Jahre bei der FAZ, jetzt zwanzig Jahre beim HR. Diese Erfahrung war mein Steinbruch. Aus diesem Steinbruch habe ich einzelne Versatzstücke gezogen, zusammengesetzt – natürlich kommen da drei, vier Dinge zusammen, aber das meiste habe ich erlebt. Anders als bei den meisten Büchern steht bei mir nicht drin, Ähnlichkeiten wären rein zufällig; ich hoffe, dass ich niemals verklagt werde. Es ist im ersten halben Jahr noch nichts passiert. Und es sind ganz, ganz viele Details drin, da freue ich mich, wenn sie von einzelnen Personen – das können nur einzelne Personen oder Personengruppen kennen! – erkannt werden. Da weiß man zum Beispiel, in einem Stockwerk einer großen deutschen Bank ist eine Expressionistensammlung. Das wissen nicht alle Menschen. Aber viele haben schon davon gehört, speziell in Frankfurt. Manche lächeln darüber, haben gleich ihre Wiedererkennung, manche erkennen aus alter Zeit den einhändigen Pförtner mit der Lederhand, den hat es auch wirklich gegeben. Darauf bin ich auch schon angesprochen worden. Insofern ist viel von meiner Berufserfahrung eingeflossen, viele Termine, die ich vor Ort hatte. Das hat mir schon sehr geholfen.

Media-Mania.de: Ich hatte auch folgende Frage vorbereitet: Gab es Reaktionen seitens der gewissen Bank oder anderer Porträtierter? Das entfällt dann wohl, zumindest fehlen offensichtlich die negativen Reaktionen.

Olaf Jahnke: Es gab zum Glück nur positive Reaktionen, zum Beispiel von einem Fraktionsvorsitzenden, der mal sein Referendariat bei einer großen deutschen Bank gemacht hat und dessen Vater Revisor bei der Deutschen Bank war, und der sagte: "Genau so ist es." Das fand ich ganz faszinierend. Und ich habe tatsächlich von Revisoren aus ganz Deutschland Mails bekommen, auch heute treffe ich wieder einen, der aus Stuttgart anreist und fragte: "Wo kann ich Sie sehen? Ich möchte gern ein signiertes Buch haben." Und aus dem Bereich Kliniken – eine der ersten Mails, die ich zu dem Buch bekommen habe, kam aus einer Königsteiner Psychiatrie, und es waren keine Ärzte.

Media-Mania.de: Es zeigt sich im Verlauf des Krimis, dass der mittlerweile tote Innenrevisor auf einen lange zurückliegenden Fall von Transferrubelbetrug gestoßen war. Wie bist du wiederum auf diese ja doch ungewöhnliche Idee gestoßen?

Olaf Jahnke: Erst mal habe ich gecheckt, ob das schon mal irgendwo in einem anderen Roman oder Krimi verarbeitet wurde; das noch nicht; es war aber so, dass ich praktisch zufälligerweise während der Wende für die FAZ drei Wochen in der DDR war, zusammen mit zwei Kollegen, um über die Wirtschaft der DDR zu berichten. Das war geplant seit März, April 1989, schon datiert für November 1989. Dass in dem Moment, in dem wir da waren, bzw. ein paar Tage vorher, die Mauer aufgeht und die Wende in der DDR ausbricht, wusste kein Mensch. Ich war also drei Wochen in der DDR, einer der wenigen Wessis, die nicht nur in Ost-Berlin waren, sondern durch die ganze DDR gereist sind, da brach alles zusammen, und wir waren nur in den Großunternehmen gewesen. Da war die Hölle los. Die Leute sind zum Teil nicht mehr zum Arbeiten gekommen, westdeutsche Porsches standen vor der Tür, Bargeldgeschäfte wurden vor jedem Bahnhof gemacht, es wurde getauscht, dass die Schwarte krachte, zu jedem Kurs, und ich habe auch im Westen mitbekommen, dass die westdeutschen Banken Ostgeld angenommen haben zu Kursen, die eigentlich nichts mit den vorangegangenen schlechten Kursen zu tun hatten. Da habe ich geahnt, dass irgendwas im Hintergrund läuft, weil die Regierung auf einmal Ostmark annimmt – sonst würden's die Banken ja nicht mehr loswerden. Das habe ich noch weiter recherchiert und bin dann auf den Transferrubel gekommen – ich habe ja eine Seite Sachanhang -, dass da ein ganz großes Rad gedreht wurde. Die Schätzungen des Schadens belaufen sich ja umgerechnet auf zwischen zwei und zehn Milliarden Euro, es konnte aber nie ganz genau festgelegt werden, und tatsächlich ist im aktuellen Bundeshaushalt immer noch die von mir angegebene Bundeshaushaltsnummer zum Transferrubelbetrug enthalten – bis zum heutigen Tag.

Media-Mania.de: Darf ich die übliche und daher wohl abgedroschene Frage nach autobiografischen Bezügen stellen beziehungsweise danach, ob deine Figuren lebende Vorbilder haben – teils hattest du das ja schon erwähnt?

Olaf Jahnke: Da ich mich nicht komplett in andere Menschen hineinversetzen wollte, habe ich meinem Ermittler zumindest meinen Körper geliehen, indem ich sage, er ist zwischen 1,90 und 2 Meter groß wie ich, er isst gerne, neigt zu leichter Überernährung, und ich habe ihm auch die Marotte gegeben, dass er sich abends um neun gerne ein Stück Kuchen oder Torte holt und ab und zu gern einen Grauburgunder trinkt. Ich wollte aber keinen Ermittler – jetzt unabhängig von der Biografiefrage -, der wie bei manchen Schwedenkrimis Alkoholiker und depressiv ist, gerade mit Scheidung und Kindern Probleme hat, sondern das Buch sollte sich massiv auf den Fall konzentrieren und der Ermittler nicht mal ein Drittel des Buches einnehmen. Klar, natürlich ist er der wichtige Protagonist, der die Story voranschiebt, aber es sollte sich nicht hauptsächlich um ihn drehen.

Media-Mania.de: Während ich deinen Krimi las und kurz danach geriet ich gelegentlich an Orte, die du beschreibst, und sei es die Ampel an der Freßgass'. Ich hatte dann die von dir geschilderte Situation wie das "Rotbeachtungsverhalten" der Fußgänger im Kopf und musste unwillkürlich lachen. Hast du diese Details, die einen Regionalkrimi besonders anziehend machen, einfach so im Kopf, oder hast du die verschiedenen Orte und Strecken bewusst besucht und abgefahren, um sie authentisch darstellen zu können?

Olaf Jahnke: Den Weg von der Eisdiele in der Freßgass' an der Katharinenkirche vorbei, die Sandhofpassage, das musste ich nicht noch mal ablaufen. Das kenne ich, diesen Weg laufe ich einmal die Woche ab. Bei bestimmten Punkten war ich aber ein bisschen unsicher, die habe ich definitiv besucht, wie den Friedhof in Kronberg, der ja den schönsten Blick auf Kronberg bietet, man ist nur sehr selten dort … Und eine andere Location, bei der ich etwas unsicher war, die aber für mich das wichtige Kapitel Mainz-Kastel war, da habe ich sogar zwei Tage geschrieben. Es gibt ja diesen schönen Rheinstrand bei Kastel, ich habe mein Laptop genommen, bin an diese Brezelbude gegangen und habe mit Blick auf die Reduit mehrere Seiten an Ort und Stelle geschrieben. Das hat schon geholfen, denn ich wollte es detailgetreu machen, ohne zu detailversessen zu sein. Aber ich staune darüber, dass bei Lesungen Fragen gestellt werden oder E-Mails kommen, denen zufolge manche Leser meinen, dass bestimmte Dinge zu 100 % wahr sein müssen, abgesehen vom Protagonisten, der Tat – Selbstmord oder kein Selbstmord -, aber manche sind schon so verhärtet, dass sie gar keine dichterische Freiheit mehr zulassen.
Wenn ich ein Restaurant beschreibe, sollte es schon einigermaßen so aussehen. Aber bei anderen Dingen und Verhaltensweisen wünsche ich mir doch dichterische Freiheit.
Ich habe auch Dinge aus der Vergangenheit wieder auferstehen lassen, zum Beispiel die "Schwarzwaldstube" im Frankfurter Flughafen, die praktisch neben dem "Dorian Gray" war. Die gibt es nicht mehr, da ist nur noch so ein Einerlei. Aber da war ich früher öfter mal, als ich in Schwanheim gewohnt habe, weil ich meinen Stammtisch tatsächlich am Flughafen hatte, und da dachte ich: Das hat mir gefallen, vielleicht denken noch ein paar alte Kumpels dran; damals gab es eine böhmische Kellnerin, die habe ich hineingebaut, und den Geschäftsführer habe ich nach Königstein verpflanzt. – Das war der Herr in Grau, er trug immer Grau und hatte auch ein graues Gesicht. Der hat immer strenge Abrechnungen gemacht, und ich dachte, den mache ich jetzt einfach mal zum Chef in Königstein.

Media-Mania.de: Dein Privatermittler Roland Bernau entwickelt ein persönliches Interesse daran, den Schuldigen zu überführen, das weit über das geschäftliche Muss hinausgeht. Es geht ja nicht nur um einen möglichen vertuschten Mord, sondern um üble Machenschaften in einer Bank. Siehst du deinen Roman auch als ein, wie soll man sagen, kapitalismuskritisches Werk?

Olaf Jahnke: Kapitalismuskritik … Es ist ja so: Sobald Straftaten begangen werden, sollte eigentlich jeder ein Interesse daran haben, dass sie aufgeklärt werden, vor allem, wenn es massiv mit so genannter Steuervermeidung zu tun hat, wenn es Betrug am Staat ist. Grund zur Kritik … Ich würde es nicht am Kapitalismus festmachen, aber an bestimmten Auswüchsen, denn wir haben in Deutschland ja nicht die freie Marktwirtschaft, sondern die soziale Marktwirtschaft. Und natürlich verurteile ich die Auswüchse des Raubtierkapitalismus, ohne gleich Kommunist zu sein. Es ist im Interesse des Allgemeinwohls, dass bestimmte Dinge nicht überrissen werden, sonst denken gewisse Vorstände – siehe jetzt VW -, sie können machen, was sie wollen. Und andere Staaten leisten Vorschub, siehe Amazon und Luxemburg. Und da – ja, Kritik, natürlich.

Media-Mania.de: Das Ende bleibt in gewisser Hinsicht offen, eine lieb gewonnene Figur ringt mit dem Tod. Dürfen wir eine Fortsetzung erwarten, und wenn ja, hast du schon eine Idee zum Thema?

Olaf Jahnke: Ich würde nicht sagen, dass mein Ende offen ist, es gibt natürlich einen Cliffhanger, aber nur auf der persönlichen Ebene. Denn im Prinzip sind es ja zwei Fälle, sozusagen – es gibt einen Toten, das bleibt nicht offen, und es gibt den Hintergrundskandal, der bleibt eigentlich auch nicht offen. Aber auf der persönlichen Ebene gibt es etwas, das den Leser nach "mehr" rufen lässt, und das bleibt natürlich offen. Und das zweite Manuskript ist jetzt zur Hälfte geschrieben.

Media-Mania.de: … Aber du verrätst noch nicht, worum es geht?

Olaf Jahnke: Im ersten geht es ja um Banken und, im Hintergrund, den Staat. Und im zweiten geht es um Kliniken, Versicherungen, Justiz, die in einem sehr engen Zusammenhang stehen. Jeder hat schon seine Erfahrungen mit Kliniken gemacht, wenn es nicht nur um einen gebrochenen Daumen geht, jeder hat sein halbes Dutzend Versicherungen oder mehr, und jeder wird im Laufe seines Lebens mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Begegnung mit der Justiz haben. Aber die Kombination aus Gesundheitswesen, Versicherung und Justiz ist ein ziemlich heißes Eisen.

Media-Mania.de: In der Tat, man darf gespannt sein! Vielen Dank für das Interview!

Rezension bei Media-Mania.de
Geführt von Regina Károlyi am 16.10.2015