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 Traveller

Grundregelwerk


Cover
Gesamt +++++
Aufmachung
Leitbarkeit
Spannung
Vor einem Jahr erst hat der bis dahin unbekannte 13Mann-Verlag zum Erstaunen vieler Rollenspieler den Klassiker "Rolemaster" wiederbelebt. Den vielen Skeptikern begegnete der Verlag mit einem hochwertigen Grundregelwerk, das modern, aufgeräumt und selbstbewusst daherkam. Die Vorwürfe, "Rolemaster" sei längst überholt und entspräche nicht mehr den heutigen Rollenspielstandards, wurden nicht hinweggewischt, sondern mit voller Breitseite konterkariert - ein Achtungserfolg!
Nun reanimiert 13Mann einen zweiten grossen Klassiker: Traveller. Die Mutter aller Weltraumrollenspiele. Eine Legende, vielgerühmt, von der alte Rollenspielhasen abends am Lagerfeuer erzählen, mit Tränen in den Augen. Nun also kehrt "Traveller" zurück; und um es vorwegzunehmen, 13Mann haben auch hier wieder einen grossen Coup gelandet.

Schon das Cover macht mit seinem schlichten matten Schwarz und dem tiefroten Traveller-Schriftzug einiges her. Schick, schlicht, elegant, fern aller nerdiger Rollenspielillustrationen. Auch die übrige Gestaltung weiss zu überzeugen: festes Glanzpapier, schwarzer Lesefaden, nüchternes und übersichtliches Layout. Die Schwarzweiss-Illustrationen sind gut gezeichnet und stimmig, wirken allerdings sehr "oldschool" - eine klare Reminiszenz an die erste Travellerauflage von 1977. Das ist jedoch kein Nachteil, sondern prägt die einzigartige Stimmung dieses Rollenspiels.
Traveller berichtet von einem durch Menschen weitflächig besiedeltem Universum. Die Menschen leben weit verstreut auf unterschiedlichen Planeten. Technologielevel, Kultur und Sozialverhalten haben sich im Lauf der Jahrhunderte auseinanderaddiert. Doch längst gehören nicht mehr alle Planeten zum Imperium, das als interstellare Grossmacht den Kontakt zu den unterschiedlichen Welten aufrechterhält und den Handel vorantreibt. Grosse Firmenkonglomerate, obskure Sekten, telephatische Gesellschaften und diverse Ausserirdische haben ihre Claims abgesteckt. Mittendrin: die Traveller, kühne Reisende und Abenteurer, Händler und Schmuggler, die zwischen den Planeten hin- und hergondeln und ihr eigenes Süppchen kochen. Und das sind freilich die Spieler.
Der Hintergrund ist also sehr offen gestaltet und bietet die Möglichkeit, "jeden beliebigen Science-Fiction-Hintergrund dazustellen, sei es ein Roman, Film oder selbsterdachtes Szenario" (Zitat S. 2). Dazu stellt das Grundregelwerk eine Menge Baukästen bereit, die für Spielleiter ein unschätzbarer Quell an Ideen ist. So können anhand von Tabellen Ausserirdische mit individuellen Eigenschaften erwürfelt werden, Planeten mit eigener Fauna und Flora, Gesellschaften mit diversen Tabus und Gesetzen, Raumhäfen und stellare Sektoren. Der Zufall wird zum Hilfsmittel der Abenteuergestaltung. Was Traveller hier zusammenträgt, ist bemerkenswert, und zugleich eine Abkehr von eng gescripteten Hintergründen, wie man es aus heutigen Rollenspielen kennt. Nichts ist fest vorgegeben, alles ist möglich - sofern die Spieler und Spielleiter mit dieser wiedergewonnenen Freiheit umzugehen wissen. Letztere sind mit den Baukästen gut bedient; erstere lernen schon bei der Charaktererschaffung "Traveller" von seiner besten Seite kennen. Unter dreizehn aussagekräftigen Karrierewegen können sie auswählen, vom Agenten über den Schurken bis zum Wissenschaftler. Der Clou dabei: Der Lebensweg der Spielfigur kann Brüche aufweisen, die man anhand der Tabellen auswürfelt. Beispiel: der Pilot einer Raumflotte. Als ein solcher muss man eine Probe gegen seinen Geschicklichkeitswert ablegen, um die eingeschlagene Karriere zu "überstehen". Misslingt dieser, kann es zum Beispiel zu einem Streit mit dem Offizier kommen, oder man wird versehentlich im Kälteschlaf vergessen und erleidet gesundheitliche Einbußen. Gelingt der Überstehenswurf, können weitere Ereignisse auftreten - man wird vielleicht am Bord seines Dienstraumschiffs zum Glücksspieler oder missbraucht sein Amt zum persönlichen Vorteil.
Auf diese Weise erhält der Spieler eine Figur mit Vorgeschichte, Ecken und Kanten. Das Auswürfeln der Karriere macht riesigen Spaß, und zugleich nimmt es die Philosophie dieses Spiels vorweg: alles ist möglich, der Weltraum ist riesig, die Anzahl an Abenteuern unendlich.
Das Regelwerk selbst ist ebenso schlicht und elegant wie das Cover, frei von Fett und Ballast. Jeder Charakter besitzt sechs Attribute, die einen Würfelmodifikator von -3 bis +3 auf entsprechende Proben einbringen. Diese werden mit zwei sechsseitigen Würfeln abgelegt, wobei in der Regel ein Wert von 8 oder höher erzielt werden muss. Verrechnet werden jeweils ein Attribut und eine Fertigkeit. Die Liste dieser Fertigkeiten ist reichhaltig, aber nicht ausufernd, und umfasst von Biowissenschaften über Bordschätze bis zu Überleben und Taktik alles, was ein Traveller im Weltraum braucht. Ausrüstung und Bewaffnung lassen sich rasch zusammenstellen und +ber das Attribut Sozialstatus erwerben, darunter auch einige kybernetische Körperverbesserungen (die allerdings in "Traveller" unüblich sind und nicht die Vielfalt eines Cyberpunksystems aufweisen).
Der folgende Regelabschnitt ist kurz und knackig. Die grundlegenden Kampfregeln werden auf zwei Seiten erklärt, jede Menge Sonderregeln folgen und erfassen jede denkbare Situation, vom Einsatz diverser Schlachtfeldsensoren über Sprengstoff- und Ringkampfattacken. Ebenso elegant wird der Fahrzeugkampf erklärt. Ein paar PSI-Talente wie Teleportation, Gedankenlesen und Psychokinese werden ebenfalls dem Spieler zugänglich gemacht.
Der Rest des Buchs ist ganz dem Spiel und seinen unendlichen Möglichkeiten gewidmet. Hier kann sich der Spielleiter, wie bereits erwähnt, bei der Entwicklung seiner Kampagne nach Herzenslust austoben. Zahlreiche Tabellen zu Umweltgefahren, zufälligen Begegnungen, originellen Nichtspielercharakteren und möglichen Missionen ermöglichen gar ein Ad-hoc-Abenteuer am Spieltisch. Ein paar markante Auftraggeber werden vorgestellt, so etwa der Markgraf von Vilmaer. Nicht fehlen darf auch ein üppiges Kapitel zu den Raumschiffen, mit denen die Traveller umherreisen dürfen. Diverse Modelle mit unterschiedlichen Warp-Antrieben, Geschütztypen und Besatzungen werden vorgestellt - und zu jedem Raumschiff gibt es ein zwei- bis dreiseitiges Unterkapitel, mit Abbildung, Ausrüstungstabelle und Bordplänen. Vor allem letztere sind zu loben, da diese sicher bei manchem Raumkampf - einer Meuterei, einem Piratenangriff oder anderen Aktionen - zum Einsatz kommen werden. Das Kapitel deckt übrigens vom Frachter bis zum leichten Raumjäger alle wichtigen Schiffstypen ab. Ein eigenes Kapitel behandelt die wichtigsten Raumschiffoperationen und natürlich den Raumkampf. Dann folgen die - für Traveller nicht minder wichtigen - Handelsregeln. Wer eine Handels- oder Schmuggelkampagne à  la Elite und Frontier spielen will, findet hier alle nötigen Elemente dazu. Verfügbarkeitstabellen, Passagiertransporte, Verkehrsrouten und ein simples, aber effektives Angebots- und Nachfragesystem lassen sich leicht entwerfen und einsetzen. Den Abschluss bildet die "Weltenerschaffung" auf einer Blanko-Hexfeldkarte, mit deren Hilfe der Spielleiter den Zufall entscheiden lassen kann, welche Welten sich in welchem Raumsektor auffinden. Dass sich dadurch natürlich ganz neue Konstellationen zwischen den Sektoren ergeben - Verkehrsrouten, Rivalitäten und Bündnisse - versteht sich von selbst.
Genau dies ist es, was "Traveller" zu einem grossartigen und originellen Spiel macht. Auch wenn der Rezensent die älteren "Traveller"-Fassungen nicht kennt, scheint diese Neuauflage doch die besten Tugenden des Klassikers zu vereinen. Die Auswahl der Kapitel ist klug, das Buch lässt keine Fragen offen und bietet ein komplettes, in sich rundes System mit einem eleganten, einfach zu erlernenden Regelwerk, üppigem Handwerkszeug für Spieler und Spielleiter und jeder Menge Anregungen für grossartige Kampagnen. Der Stil ist klar und flott, der Aufbau überzeugend, und klappt man das Buch am Ende zu, will man am liebsten sofort loslegen und den Weltraum erkunden.
Kritik gibt es keine, wenn man von dem etwas schlecht kopierbaren Charakterdokument absieht. Ansonsten bleiben keine Wünsche offen. Das neue "Traveller" schafft es tatsächlich, alle erforderlichen Informationen und Regeln auf 215 Seiten zu packen - und dabei mehr Atmosphäre zu erzeugen als mancher 350-Seiten-Ziegelstein. Wer dennoch Nachschlag will, muss auf die bald erscheinenden Söldner- und Ehrengarde-Zusatzbücher warten. Wenn diese es schaffen, den hier gesetzten Standard zu halten, haben die 13Mann einen Zusatzapplaus verdient, der das Universum erschüttert. Die beste Rollenspielproduktion des Jahres, und das obendrein zu einem mehr als fairen Preis. Also: Kaufpflicht für alle, die ein Herz für die Science Fiction haben. "Traveller" - jetzt oder nie!

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 1. Juni 2008 | ISBN: 9783981171846 | Originaltitel: Traveller | Preis: 24,90 Euro | 224 Seiten | Sprache: Deutsch

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