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 Verlorene Bilder, verlorene Leben

Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Manches Kunstwerk in Museen und privaten Sammlungen hat eine sehr wechselhafte Geschichte, und kaum ein Ausstellungsbesucher macht sich darüber Gedanken, unter welchen Umständen ein Bild oder eine Skulptur möglicherweise in den Besitz eines Museums gelangt ist. Dabei ist es heute kein Geheimnis mehr, dass sich unter den Vermögenswerten, die Juden während des Dritten Reiches abgenommen wurden, auch zahlreiche wertvolle Kunstwerke befanden.
Um die Sammlungen einiger großer jüdischer Kunstsammler geht es in diesem Buch, wobei der Schwerpunkt meist auf einzelnen, besonders geliebten Werken liegt, zum Beispiel Lilly Cassirers "Rue de Saint-Honoré" von Pissaro, jenem wunderbaren Stück, das auf dem Titelbild von "Verlorene Bilder, verlorene Leben" im Wohnzimmer der Cassirers zu sehen ist. Ein bemerkenswertes Werk von Otto Dix, "An die Schönheit", schmückt heute das Von der Heydt-Museum in Wuppertal; es wurde dem Kunstsammler und Mäzen Paul Westheim von einer illoyalen Vertrauten unterschlagen, nachdem er gezwungen gewesen war, vor seiner Flucht jemanden zu finden, der seine Sammlung für ihn aufbewahrte.
Auch viele Werke aus dem Besitz des Schuhfabrikanten und Sammlers Alfred Hess und seiner Frau (und Witwe ab 1931) Tekla gingen in den Besitz von Museen über, nachdem Tekla Hess sich auf erpresserische Machenschaften seitens des NS-Regimes hatte einlassen müssen, um fliehen zu können.
Zu den berühmtesten Portraitierten gehören Adele und Ferdinand Bloch-Bauer. Eines der weithin bekannten Klimt-Portraits von Adele befindet sich heute nach hartem Ringen in New York. Doch auch Alma Mahler-Werfel, die mit ihrem jüdischen Ehemann, dem Schriftsteller Franz Werfel, notgedrungen ins Exil gegangen war, gehört zu den Geschädigten, ebenso der Wiener Zweig der Familie Rothschild.
Insgesamt fünfzehn solche "Fälle" schildern Melissa Müller und Monika Tatzkow. Sie stehen für ungezählte weniger prominente Schicksale und für Verluste, die nicht ersetzt, durch ein wenig Gerechtigkeit aber anerkannt und abgemildert werden könnten.

Die fünfzehn Lebensbilder werden behutsam nachgezeichnet. Es gelingt den Autorinnen, die verschiedenen Epochen im Leben der Portraitierten, Erben eingeschlossen, anschaulich nachzuzeichnen; das Wilhelminische Zeitalter, die Weimarer Republik und der Beginn der NS-Zeit, aber auch das Wirtschaftswunder beziehungsweise deren österreichische Pendants werfen in wechselnden Verhältnissen Licht und Schatten auf die Lebensläufe in diesem Buch.
Heute größtenteils vergessen, haben sich die vorgestellten jüdischen Kunstsammler, seinerzeit zumeist bekannte und angesehene Industrielle und Bankiers, um die Förderung zeitgenössischer Künstler verdient gemacht, insbesondere der Expressionisten. Was den Nazis als "entartete Kunst" galt, erkannten sie weitsichtig als eine Weiterentwicklung der bis dahin anerkannten Strömungen innerhalb der bildenden Kunst, und sie setzten sich durch Ankäufe und anderweitig für die Künstler ihrer Zeit ein, mit denen sie zum Teil auch befreundet waren; bei etlichen von ihnen gingen Größen wie Kandinsky, Feininger und Rohlfs ein und aus.
Ginge es nicht um wahrlich verlorene Leben, teils im Wortsinn, teils insofern, als Familien, Karrieren, Lebensinhalte und -mittelpunkte mitsamt Vermögen von einem Tag auf den anderen zerstört wurden, könnte man das Buch lesen wie einen Krimi: Spannend gestalten sich die Recherchen bezüglich verschollener und geraubter Kunstwerke, unwürdig freilich das juristische Nachspiel in den meisten Fällen. Selten erhielten Erben geliebte, wertvolle Stücke zurück, etwa im von der Öffentlichkeit halbwegs wahrgenommenen Fall der Spitzweg-"Justitia", die von Leo Bendel unter Zwang und natürlich weit unter Wert veräußert wurde und jahrzehntelang zum Interieur der Villa Hammerschmidt, des Sitzes der deutschen Bundespräsidenten, gehörte.
Reich bebildert und ohne unangemessene Sentimentalität, sachlich und respektvoll, lassen die Kurzbiografien Menschen auferstehen, die Deutschland und Österreich erfolgreich mit gestalteten, die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Kunst, Finanz und Kultur bildeten, ehe sie von einem totalitären Regime verjagt und zum Teil physisch oder psychisch vernichtet wurden - wobei es einem Göring oder Hitler nicht zuletzt um ihre wunderbaren Sammlungen ging.
Dieses aufwändig gestaltete Buch legt den Finger in eine offene Wunde der neueren deutschen und österreichischen Geschichte und zeigt nicht nur Einzelschicksale auf, sondern lässt den kunstinteressierten Leser auch die Geschichte so manchen Museums und Exponats kritisch hinterfragen. - Ein wichtiges und bemerkenswertes Buch!

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 01. Oktober 2008 | ISBN: 9783938045305 | Preis: 34,00 Euro | 249 Seiten | Sprache: Deutsch

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