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 Der Judas-Schrein

Unheimlicher Thriller


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Andreas Gruber ist dem Liebhaber moderner unheimlicher Literatur längst kein Unbekannter mehr. Der österreichische Schriftsteller hat sich vom Insidertipp zur wertvollen Bereicherung der deutschsprachigen phantastischen Szene gemausert. Sein - noch! - recht überschaubares Werk spricht ebenso für sich, wie die zahlreichen Nominierungen und Auszeichnungen mit allen bedeutenden deutschen Phantastik-Literaturpreisen. Wer die Erstauflage seines Romandebüts versäumt hat: Don’t panic!, wie der Weltraumtramper so schön sagt. Festa hat "Der Judas-Schrein" als Taschenbuch neu aufgelegt - damit man sich aus erster Hand überzeugen kann, wieso Gruber zu den kräftigsten Zugpferden des Leipziger Verlags zählt.

In Grein am Gebirge, einem abgeschiedenen Dorf an der niederösterreichisch-burgenländischen Grenze, wird ein vierzehnjähriges Mädchen brutal ermordet. Mit der Untersuchung betraut wird der Wiener Kripokommissar Alex Körner, der den Fall nur widerwillig annimmt: In Grein hatte er als Kind seine Eltern bei einem Brand verloren, seither hat er den Ort stets gemieden. Doch Körner hat keine Wahl; nach einer Geiselnahme mit von ihm verschuldetem unglücklichem Ausgang muss er mit Erfolgen aufwarten, will er seine Suspendierung verhindern. Vor Ort stoßen Körner und sein Ermittlungsteam auf eine Mauer des Schweigens, die Einwohner der verschworenen Gemeinde behandeln sie wie Fremdkörper. Was verbergen sie vor den Ermittlern? Als durch den anhaltenden Regen der Fluss über die Ufer tritt und Grein von der Außenwelt abschneidet, sitzen die Ermittler in dem abgeschiedenen Ort fest - zusammen mit dem Mörder! Und welches Motiv ihn auch immer treibt: Er hat noch nicht genug …

Die Tatsache, dass Grubers Romandebüt erstmals in "H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens" erschienen ist, ist kein Zufall: Der Name der Reihe ist Programm in dem vorliegenden Thriller. Anders als seine beiden nachfolgenden Romane im Festa-Verlag - "Schwarze Dame" und "Die Engelsmühle" - bleibt "Der Judas-Schrein" nur zu Beginn in der allseits bekannten Realität verhaftet, um dann langsam - man möchte schon sagen: behutsam - in ein morbides Universum lovecraftesken Grauens hineinzuschlittern. Körner und sein Team versuchen einen bestialischen Mord in einem fiktiven abgelegenen Dorf in der Alpenrepublik aufzuklären, doch der Pfad, welcher auf der Jagd nach dem Täter eingeschlagen wird, führt die Protagonisten immer näher an den finsteren Schlund cthuloiden Wahnsinns.

"Der Judas-Schrein" ist nicht Grubers erster Ausflug in die Gefilde des supernatural horror: Schon in mancher seiner Kurzgeschichten hat er bewiesen, dass er ein glückliches Händchen für die Zeichnung unheimlicher Szenarien, welche sich spannend wie einfallsreich gestalten, besitzt. Mit dem vorliegenden Buch, in welches er nach eigenen Angaben fast zweieinhalb Jahre investiert hat, wagte sich der Autor nun in buchstäblich umfangreichere Gefilde.

Die Lektüre des Romans zeigt: Es hat sich gelohnt - für den Autor wie für die Feinschmecker cthuloider Unterhaltungskost! Gruber zeigt sich auch in seinem bis dato größten schriftstellerischen Weitsprung stilistisch versiert: Er versteht es, wie Sätze formuliert, Situationen beschrieben und bei Dialogen Regie geführt werden müssen, um den Appetit des Lesers anzuregen. Egal ob ein grausam ermordetes Mädchen in einer heruntergekommenen Dorfdiskothek vorgefunden wird, Körner in einem Tagebuch verstörende Dingen liest oder die Wiener Ermittler erkennen müssen, welch sinistres Geheimnis Grein am Gebirge verbirgt - der Autor erlaubt sich kaum stilistische Schnitzer und sorgt für einen ungestörten Lesefluss.

Was sich diesem stellenweise in den Weg zu stellen droht, ist der Umfang des Romans - oder genauer gesagt, wie der Autor die gut 460 Seiten nutzt: Gruber lässt sich viel Zeit, um seine Charaktere eindringlich wie auch lebendig zu zeichnen und zeigt sich niemals geizig, wenn es darum geht, den einzelnen Figuren für ihre Entwicklung Platz einzuräumen. Er verzichtet bei der Zeichnung der Charaktere auf abgenutzte Schablonen und bis zum Exzess durchgekaute Stereotypen. Dies gilt für die Protagonisten ebenso wie für mehrere Randfiguren des lovecraftschen Spiels, welches der Autor Schritt für Schritt und ohne übereilige Hast eröffnet. Damit gewinnt der Roman auf der einen Seite an Lebendigkeit und Abwechslung fernab der 08/15-Horrorliteratur, wie sie den Buchmarkt bedauerlicherweise überschwemmt. Gleichzeitig liegt hier aber auch der Hund begraben: Zu bedächtig wirkt der Übertritt vom "normalen" Krimi zum cthuloiden Thriller, eingefleischten Liebhabern von Geschichten rund um die Großen Alten mag es vielleicht einen bis zwei Ticks zu lange dauern, bis sich der Roman seines Whodunit-Korsetts endgültig entledigt hat. Auch das letzte Drittel des Romans beherbergt Kapitel, denen eine sorgsame Kürzung nicht geschadet hätte. Angesichts der Auflösung und der Ideen, welche Gruber in "Der Judas-Schrein" verarbeitet, schaut man aber gerne darüber hinweg.

Den Vorwurf, der Roman wirke, als habe Gruber sich während des Schreibens vom Kriminalroman weg- und zur Lovecraft-Hommage hingewandt, kann man so nicht gelten lassen, denn dafür ist der Plot einfach zu durchdacht und die einzelnen Handlungselemente zu souverän miteinander verflochten. Gleiches gilt für die Beziehungen zwischen den einzelnen Charakteren, welche lebensnah und nachvollziehbar vor der atmosphärisch dicht gezeichneten Kulisse eines von Inzest geplagten Dorfes - Jean-Christophe Grangé lässt grüßen! - agieren.

Mit seinem Romandebüt beweist Andreas Gruber, dass die phantastisch-unheimliche Literatur auch im deutschsprachigen Raum - und sogar im geradezu notorisch an der Hochliteratur fixierten Österreich! - lesenswerte Werke hervorbringen kann. Und ganz nebenbei liefert er einen spannenden Thriller ab, der im Gegensatz zu manch anderem Werk den Cthulhu-Mythos problemlos ins 21. Jahrhundert transferieren kann.

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 01. November 2008 | ISBN: 9783865520685 | Preis: 13,95 Euro | 464 Seiten | Sprache: Deutsch

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