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 Im Wandel der Zeiten

Eine Geschichte der Zivilisation


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie
Anfang der achtziger Jahre erschien ein Spiel, das die Welt der Spiele bis heute nachhaltig veränderte. Die Rede ist von "Civilization" von Francis Tresham. Einerseits diente es als offensichtliche Inspirationsquelle für das gleichnamige, wegweisende Computerspiel von Sid Meier, andererseits hatte es auch einen großen Einfluss auf die Welt der Brettspiele. Mit seinen schlanken Mechanismen, die Strategie und Können mehr belohnten als Glück und Zufall, aber trotzdem thematische Tiefe zuließen, war es seiner Zeit voraus. In erster Linie übte jedoch das Thema selbst eine unvergleichliche Faszination aus: die Entwicklung der menschlichen Zivilisation von ihren primitiven Anfängen bis hin zur Errichtung der ersten prächtigen Städte, der Wiege von Kultur, Wissenschaft, Handel und Kriegsführung. Ein Prinzip, das sich in vielen modernen Spielen wiederfindet, von "History of the World" über "Antike", "Vinci" und "Twilight Imperium", ja sogar in einem eher misslungenen Brettspielableger des Computer-"Civilization". Mit "Im Wandel der Zeiten" ist das Beste aller Spiele des klassischen Civilization-Themas nun nach fast einjähriger Verspätung endlich auch auf Deutsch erschienen.

[imgleft]images/UploadGrafiken/WandelZeiten1.jpg[/imgleft]Dabei werden Civ-Puristen - egal, ob sie vom Brett oder vom PC kommen - zunächst misstrauisch sein, wenn sie die Schachtel öffnen. Wo ist das Brett mit der Landkarte? Wo sind die Einheiten-Counter oder -Figuren, die man in große Schlachten gegeneinander führt? Beides gibt es in "Im Wandel der Zeiten" nicht, denn hierbei handelt es sich im Grunde um ein Kartenspiel. Zwar liegt auch hier ein fast schon überdimensioniert großes Brett bei, doch dies wird nur verwendet, um die Karten des Spiels zu lagern und einige der wichtigsten Informationen darzustellen. Jeder der bis zu vier Spieler erhält außerdem ein Startbrett, das seine Zivilisation zu Beginn des Spiels darstellt. Mehr als ein paar Farmen und Minen sowie ein Labor und eine Kriegereinheit hat am Anfang noch niemand, bei der Regierungsform muss sich jeder mit dem Despotismus zufrieden geben.

Ziel des Spiels ist es, in den bis zu drei Zeitaltern des Spiels von der Antike bis zur Moderne die meisten Kulturpunkte zu produzieren. Dies erreicht man durch den Bau von Tempeln, Theatern, Bibliotheken, Weltwundern, später auch durch Kriegsführung und durch spezielle Ereignisse - man sieht schon, auf einen Spielplan und physische Einheiten muss man verzichten, auf alles andere nicht.
Wie für Vlaada Chvátil, den Designer des Spiels, üblich, führen die Regeln den Spieler behutsam durch Varianten in aufsteigender Komplexität an das umfangreiche Spiel heran. In der einfachsten Variante spielt man nur das erste der drei Zeitalter, das aus einem großen Kartenstapel besteht, von dem einige Karten auf die Kartenreihe in der Mitte des Bretts gelegt werden. Das Voranschreiten des Zeitalters wird dadurch simuliert, dass Karten immer mal wieder am einen Ende "runterfallen", während neue von hinten nachgelegt werden, so lange, bis der Stapel leer ist.
Wenn ein Spieler am Zug ist, erhält er durch seine Regierung eine bestimmte Zahl von Zivil- und Militäraktionen. Mit Zivilaktionen kann man unter anderem neue Karten von der Reihe in der Mitte nehmen und ausspielen oder Gebäude wie Farmen und Minen bauen, die einem Nahrung und Rohstoffe produzieren. Nahrung braucht man, um die eigene Bevölkerung zu erhöhen und neue Arbeiter zu erstellen, die man dann durch das Bezahlen von Rohstoffen auf die verschiedenen Karten schicken kann, wo sie dann zu neuen Farmen, Minen, Laboren, Tempeln oder auch Kriegern werden. Labore produzieren Wissenschaftspunkte, die man ausgeben kann, um neue, bessere Technologien auszuspielen, die einem beispielsweise eine erhöhte Nahrungsproduktion bescheren, Krieger erhöhen die Militärstärke.
Unter den Karten befinden sich ansonsten noch Weltwunder, die schwer zu bauen sind, jedoch enorme Vorteile verschaffen, Anführer wie Aristoteles, Julius Cäsar oder Leonardo da Vinci, die ebenfalls spezielle Boni bieten, Aktionskarten, neue Technologien und Regierungsformen.
[imgright]images/UploadGrafiken/WandelZeiten2.jpg[/imgright]Bei dieser Auswahl wird jeder einzelne Spielzug zu einer kniffligen Angelegenheit. Soll man jetzt doch lieber das Taj Mahal fertigstellen und viel Kultur produzieren? Oder doch lieber die Alchemie-Karte vom Brett nehmen, um dann mehr Wissenschaftspunkte produzieren zu können und später einen Vorteil zu haben? Irgendwann muss man außerdem noch mehr Nahrung produzieren, denn die wachsende Bevölkerung hat dort einen steigenden Bedarf.

Was im Einsteigerspiel schon nicht einfach ist, gerät im Fortgeschrittenen- und Expertenspiel zur regelrechten Qual. Dann kommen schließlich noch Militärkarten hinzu, kann man Aggressionen oder sogar verheerende Kriege gegen die Gegner ausspielen, wenn man eine höhere Militärstärke hat, kann man Pakte mit anderen Spielern schließen oder Ereignisse ausspielen. Obendrein möchte die liebe Bevölkerung noch unterhalten werden, oder sie versagt einfach die Produktion aller Rohstoffe. Da ist die Korruption, die einem bei zu hoher Produktion wichtige Rohstoffe klaut, fast noch das geringste Übel.
Das klingt wahnsinnig komplex und das ist es auch. Dennoch hat Chvátil es geschafft, das alles in einem überschaubaren System unterzubringen, welches dank der gut gemachten Spielerhilfen recht einfach zu lernen ist. Schließlich kommt es in erster Linie darauf an, mit Aktionen, Arbeitern und Rohstoffen geschickt hauszuhalten. Das zu meistern ist jedoch alles andere als einfach. Die Art, wie Rohstoff- und Nahrungsproduktion, Bevölkerung, Technologie, Glückseligkeit, Militär, Kultur und Aktionen ineinander verzahnt sind, ist nichts anderes als bewundernswert. Im vollen Spiel kann man es sich nicht leisten, auch nur einen dieser Aspekte zu vernachlässigen oder das eigene Volk gerät im Laufe der Zeit irgendwann ins Hintertreffen. Alles wirkt thematisch stimmig umgesetzt und beschwört dieses einzigartige Gefühl herauf, sich wirklich mit seiner eigenen Zivilisation durch die Geschichte der Menschheit zu bewegen - und das nur mit Karten und ein paar Holzsteinchen, ganz ohne eine große Landkarte oder Einheiten.

[imgleft]images/UploadGrafiken/WandelZeiten3.jpg[/imgleft]Das heißt natürlich nicht, dass "Im Wandel der Zeiten" ohne seine Mängel wäre. Wie bei jedem Spiel des Genres muss man viel Zeit für eine einzige Partie investieren. Während das Einsteigerspiel noch in etwa zwei Stunden zu meistern ist, muss man in voller Besetzung für alle drei Zeitalter der Expertenversion mit sechs bis sieben Stunden rechnen. Hinzu kommen fast schon pervers lange Wartezeiten zwischen den eigenen Zügen, wenn die Mitspieler lange über ihre Möglichkeiten grübeln - was sehr wahrscheinlich ist. Zu viert braucht man hier demnach ziemlich viel Geduld, zu dritt oder zu zweit ist "Im Wandel der Zeiten" entschieden schneller, jedoch nicht minder genial.
Denn selbst Glück spielt hier eine äußerst geringe Rolle. Zwar kommen die Karten eines Zeitalters immer in unterschiedlicher Reihenfolge ins Spiel, dies verlangt den Spielern jedoch nur noch mehr Flexibilität ab, da wahnsinnig viele Wege zum Erfolg führen können. Ob man nun durch viele Theater und Wunder auf eine durchgängig hohe Kulturproduktion setzt, ob man mit großen Kriegen im dritten Zeitalter einfach die kulturelle Macht vom Führenden an sich reißt oder durch Wissenschaft auf einen Technologievorsprung hinarbeitet - die Möglichkeiten scheinen vor allem dank der unterschiedlichen Anführer endlos, der wahre Sieger steht unter erfahrenen Spielern meist bis zum Schluss nicht fest.

"Im Wandel der Zeiten" ist ein Musterbeispiel für ein durchdesigntes, ausbalanciertes Spiel, das so süchtig macht, dass man ihm alle seine Schwächen gerne nachsieht. Weder die Dauer einer Partie noch die langen Wartezeiten oder die abgesehen vom wunderschönen Cover durchwachsene Präsentation sind ein Ärgernis, wenn sich hier ein so faszinierendes, involvierendes Spiel ergibt, das Civ-Fans fast alles gibt, das sie sich nur erhoffen konnten. Vlaada Chvátils "Im Wandel der Zeiten" ist daher der logische Endpunkt der Geschichte, die einst mit Francis Treshams "Civilization" ihren Lauf nahm.

Julius Kündiger



Kartenspiel | Erschienen: 1. Oktober 2008 | Originaltitel: Through the Ages: A Story of Civilisation | Preis: 40 Euro | Sprache: Deutsch

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