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 Es war wie ein Rausch

Fallada und sein Leben


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Das Buch macht auf einen Autor aufmerksam, der nun in Zeiten klammer Kassen und Massenarbeitslosigkeit vielleicht wieder mehr gelesen weden sollte: Hans Fallada, den Autor von Bestsellern der frühen 1930er Jahre, "Kleiner Mann, was nun?" oder "Wer jemals aus dem Blechnapf fraß".

Das Leben Hans Falladas schlitterte so oft am Rande der Katastrophe vorbei, dass man sich wundert, dass es 54 Jahre dauerte. Fallada wurde als Rudolf Ditzen 1893 in Greifswald geboren und zeigte schon als Kind eine unglückliche Natur. Man sieht das auf einem Bild, auf dem er als Dreijähriger traurig guckt und von Studnitz erzählt, wie häufig Fallada als Junge verunglückte und das mitunter so schwer, dass seine Schwester die Eltern mit den Worten "Er lebt noch" schon vorsorglich zu beruhigen pflegte, bevor sie schilderte, was nun diesmal wieder passiert war. Als Fallada in Berlin in eine Promi-Schule geschickt wird, verprügelt man ihn seiner lockigen Frisur und geflickten Kleider wegen und er wird schon als Frühpubertierender selbstmordgefährdet.
Mit achtzehn Jahren zieht er die Sache dann beinahe durch. Er belästigt ein Mädchen in der Nachbarschaft mit obszönen Briefen - die Polizei erkennt durch Schriftproben in ihm den Täter. Dies hat zur Folge, dass sein Vater, ein sittenstrenger, typisch wilhelminischer Beamter, ihn zu Bekannten in Pflege gibt und das weit weg, ins thüringische Rudolfstadt. Dort fordert Fallada, weil er nicht mehr leben will, seinen einzigen und besten Freund zum Duell heraus, erschießt diesen und fügt sich selbst Verletzungen zu. Nach einer Lehre als Landwirtschaftsfachmann arbeitet Fallada vorübergehend recht erfolgreich bei verschiedenen Arbeitgebern, lernt dann während eines Jobs in Berlin in einer Künstlerkommune Morphium spritzen und verfällt dem Suchtgift rasch.
Zwischen 1917 und 1919 folgen mehrere vergebliche Entziehungskuren aufeinander, bevor er sich durch Alkohol, Morphium und Kokain in eine Abwärtsspirale hinein bewegt, die 1923 in seiner ersten Gefängnisstrafe wegen Unterschlagung mündet. Nach wenigen Monaten auf Bewährung wird er 1924 erneut in seiner Heimatstadt in Haft genommen, um nach einem neuerlichen Delikt für zweieinhalb Jahre eingebuchtet zu werden. Diese Erfahrung wird Fallada später für seinen zweiten großen Erfolg "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" verwerten. Die Verlobung und Heirat mit Anna Margarete Issel 1929 rettet Fallada. Die bodenständige, einfache Frau weiß mit seiner Unbeständigkeit und seinem Suchtverhalten umzugehen. Das erste wichtige Buch "Bauern, Bonzen, Bomben" von 1931 wird vom Rowohlt-Verlag im ganzen Reichsgebiet auf Litfaßsäulen plakatiert, verkauft sich aber noch schlecht. Im folgenden Jahr erscheint dann "Kleiner Mann - was nun?", eine realistische Schilderung der damaligen Armut und Massenarbeitslosigkeit. Das Buch wird ein Welterfolg und bald verfilmt, Fallada aber gibt das Geld für Alkohol und Drogen aus und verschenkt es bündelweise in Kneipen. Die Geburt seiner Tochter Lore 1933 und der Kauf des Hauses in Carwitz bei Feldberg führen nicht zu größerer Beständigkeit. Die Nazis sind an die Macht gekommen und attackieren den Dichter Fallada, der realistische Bilder aus der Gosse zeigt. Mit dem hehren Menschenbild der Nazis lassen sich Schreibstil und Themen nicht kombinieren, obwohl Goebbels Fallada eine Weile fördert. Das letzte Jahrzehnt bis zu seinem Tod ist gezeichnet von Dauerabstürzen, Trinkexzessen und zahlreichen Frauengeschichten. Bekannte staunen, dass das menschliche und körperliche Wrack, das sie im täglichen Umgang kennen lernen, überhaupt noch fähig ist zu schreiben. Zwischendurch, in hellen Phasen, schreibt Fallada aber luzider und reicher denn je. Romane wie "Wolf unter Wölfen" und "Jeder stirbt für sich allein" gehören zum Besten, was er jemals geschrieben hat. Fallada übersteht das Dritte Reich auf seinem Landgut, in Irrenanstalten, wo er knapp der Vergasung entgeht und auf Morphiumtrips mit seiner zweiten Frau Ursula Losch, einer 24-jährigen, die er 1944 heiratet. Nach dem Kriegsende dient Fallada den Russen als Bürgermeister in Zeiten des Übergangs, wird aber nach mehreren Zusammenbrüchen suspendiert. Der Dichter Johannes R. Becher, der später in der DDR große Bedeutung erreichen wird, versucht den von ihm geschätzten Fallada mit allen Mitteln zu retten, doch dieser stirbt 1947 in Berlin. Sein Körper ist völlig abgemagert und wirkt Jahrzehnte älter.

Dieses Leben im Rausch mit rauschhaften Episoden des Schaffens wird von Cecilia von Studnitz packend und mit psychologischer Einfühlsamkeit erzählt.

Cecilia von der Studnitz ist heute eine kernige ältere Dame, die mir kürzlich bei einer Feier begegnete, wo sie mit sachlichen Anmerkungen und einem hintergründigen Witz einen derzeit sehr populären Krimi zerfetzte. Ich merkte im kurzen Gespräch, dass ich von Fallada nichts wusste und dass sich hier eine ziemlich große Wissenslücke auftat. Positiv überrascht, wenn auch nicht gewundert, hat mich dann diese äußerst lesenswerte, vergnügliche und doch einfühlsame Biographie.

Berndt Rieger



Taschenbuch | Erschienen: 1. April 2002 | ISBN: 9783770010646 | Preis: 12 Euro | 460 Seiten | Sprache: Deutsch

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