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 Der Wind in den Weiden

oder Der Dachs lässt schön grüßen, möchte aber auf keinen Fall gestört werden

Autoren: Kenneth Grahame
Illustratoren: E. H. Shepard
Übersetzer: Harry Rowohlt
Verlag: Kein & Aber

Cover
Gesamt ++++-
Aufmachung
Brutalität
Humor
Spannung


Mehrere Verlage hatten das Manuskript eines gewissen Kenneth Grahame bereits abgelehnt, als "The Wind in the Willows" schließlich im Oktober des Jahres 1908 vom britischen Verlag Methuen erstmals veröffentlicht wurde. Obwohl zu Beginn von Kritikern negativ bewertet, verkaufte sich "Der Wind in den Weiden" hervorragend und galt bereits gut zwanzig Jahre später als Klassiker der modernen Literatur.

Der Frühling steht wieder einmal vor der Türe und der Maulwurf steckt bereits mitten im Frühjahrsputz. Doch all das Schuften und Putzen! Das ist auch für den Maulwurf eine lästige Angelegenheit. Schließlich wirft er Besen und Pinsel hin, kriecht aus seinem kleinen Haus hinaus ins Freie und macht sich auf den Weg, die Welt zu erkunden. Da gelangt der Maulwurf an einen Fluss - all das Wasser, wie es plätschert und gurgelt! Für den Maulwurf ist dies eine gänzlich neue Erfahrung, doch die Wasserratte, mit der sich der Maulwurf schnell anfreundet, ist ein erfahrener Flussbewohner und nimmt den Maulwurf mit zu einem ausgiebigen Picknick. Von nun an lebt der Maulwurf im Haus der Ratte und lernt eine ihm völlig fremde, aber auf ihre Weise sehr faszinierende Welt kennen. Er hört Geschichten über den Wilden Wald, in welchem die Hermeline und Wiesel ihr Unwesen treiben, er lernt den Kröterich kennen, der eines der schönsten Häuser am ganzen Fluss besitzt - vielleicht sogar das schönste überhaupt?! - und er begegnet dem Dachs, einem brummigen, alten Tier, das die Gesellschaft anderer allerdings meist ablehnt. Eines Tages beschließt der Maulwurf jedoch, den Dachs einmal zu besuchen und ihn näher kennenzulernen. Da dieser aber mitten im Wilden Walde wohnt, warnt ihn die Ratte vor diesem Vorhaben, doch der Maulwurf lässt sich nicht beirren und stiehlt sich kurzerhand davon - und verläuft sich im dunklen, verschneiten Wilden Wald. Als die Wasserratte das Verschwinden des Maulwurfs bemerkt, ahnt sie Böses. Schnell rüstet sie sich mit zwei Pistolen und zieht los, ihren Freund zu suchen. Als sie den verängstigten, bibbernden Maulwurf endlich findet, ist es schon spät, doch durch einen glücklichen Zufall finden die beiden den Eingang zum Bau des Dachses, der seine Freunde über Nacht beherbergt und sie am nächsten Morgen durch einen Gang bis an den Rand des Wilden Waldes führt.
Zwar haben Ratte und Maulwurf dieses Abenteuer wohlbehalten überstanden, doch nun macht ihnen ihr Freund, der Kröterich, Sorgen. Nachdem dieser nämlich seine Leidenschaft für Ruderboote aufgegeben hat und sein Zigeunerwagen durch das waghalsige Überholmanöver eines Automobils im Straßengraben gelandet ist, geht ihm letzteres Gefährt nicht mehr aus dem Kopf. Genauso schnell, wie er fortan mit einem Automobil über die Landstraße braust, genauso oft enden diese Fahrten mit einem Unfall. Und dies zieht harte Konsequenzen nach sich. Selbst als der Dachs, die Ratte und der Maulwurf eingreifen und den Kröterich zur Vernunft bringen wollen, hilft aller Tadel nichts. - Ehe es sich der Kröterich versieht, steht er vor Gericht, weil er ein Auto gestohlen und Polizeibeamte beleidigt hat, und soll für zwanzig Jahre ins Gefängnis wandern. Das haben auch die Wiesel und Hermeline aus dem Wilden Wald gehört, die daraufhin kurzerhand den Landsitz Krötinhall stürmen und sich im Haus des Kröterichs behaglich einrichten ...

"Der Wind in den Weiden" ist - obwohl es sich ursprünglich um eine Reihe von Erzählungen für Kenneth Grahames Sohn Alastair handelte - durchaus nicht nur ein Buch für jüngere Leser; im Gegenteil, auch Erwachsene können sich hier in einer Welt verlieren, die den Leser verzaubert und ihn für einige Stunden vom Alltag befreit - "Der Wind in den Weiden" ist also eine Geschichte, die sich ihren Status als Klassiker mehr als verdient hat. Und obwohl viele skeptische Kritiker die Mischung aus kindgerechtem, fröhlichem Erzählen und mystisch angehauchten oder nachdenklichen Kapiteln - von denen die Geschichte jedoch nur wenige enthält - sowie die Darstellung und das Verhalten der Tiere nach Erscheinen des Romanes als untauglich abstempelten, musste der Verlag noch im selben Jahr eine zweite Auflage nachdrucken lassen, während im darauffolgenden Jahr drei weitere Auflagen folgten. Und auch heute noch wird "Der Wind in den Weiden" vielfach verkauft.
Um die Meinung einiger zeitgenössischen Kritiker Grahames zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um einige Aussagen - die sich auch in Brian Sibleys Nachwort zu dieser Ausgabe von "Der Wind in den Weiden" finden lassen - aufzuführen. So bezeichnete beispielsweise der Punch Kenneth Grahames Roman als "eine Art verantwortungsloser Feriengeschichte, deren Protagonisten Tiere des Waldes sind, die sich der meisten Segnungen der Zivilisation erfreuen". The Times Literary Supplement ging sogar noch einen Schritt weiter und riet seinem Leser, "das Werk als Beitrag zur Naturgeschichte zu vernachlässigen", denn ein Tier wie die Wasserratte würde "nie ein Boot benutzen, um auf einem Bach zu navigieren". Des weiteren bemerkte das Magazin in Bezug auf den Frühjahrsputz des Maulwurfs folgendes: "Ohne Zweifel mögen Maulwürfe ihre Behausungen reinlich; aber weiße Tünche? Sind wir sehr dumm, oder ist dieser Scherz einfach von minderer Güte?"
Im Gegensatz dazu erkannte der Kritiker Richard Middleton in Vanity Fair richtigerweise: "Letzlich sind der prahlerische, unstete Kröterich, die gastfreundliche Wasserratte, der scheue, weise, kindhafte Dachs und der Maulwurf mit seiner angenehmen Angewohnheit, tapferen jungenhaften Impulsen zu folgen, weder Tiere, noch Menschen, sondern Archetypen jener tieferen Menschlichkeit, die uns alle umtreibt." Ähnlich drückt es auch A.A. Milne, der später mit "Pu der Bär" ("Winnie-the-Pooh") ebenfalls einen Klassiker schreiben sollte, in der Einleitung zu "Toad of Toad Hall", seiner Bühnenbearbeitung von "Der Wind in den Weiden", aus und geht dabei sogar noch einen Schritt weiter: "Er [der Maulwurf] ist ein Feenwesen, wie so viele unsterbliche Figuren der Belletristik; und als Feenwesen kann er machen oder sein, was er will." Von A.A. Milne, der von Beginn an Gefallen an "Der Wind in den Weiden" gefunden hatte, konnte man des öfteren derartig lobende Worte über Kenneth Grahames Roman lesen. So schrieb Milne einmal scherzhaft über die Geschichte: "Sollte ich je vor Gericht landen, und man weiß ja nie, würde meine Antwort auf die Frage, ob ich noch etwas zu sagen hätte, lauten: ‚Nun, Herr Richter, wenn ich, bevor man mich abführt, den Geschworenen noch rasch ein Buch empfehlen dürfte ...’". Ein anderes Mal drückte er seine Begeisterung folgendermaßen aus: "Man diskutiert nicht über den Wind in den Weiden. Der junge Mann schenkt das Buch dem Mädchen, in das er verliebt ist, und wenn sie es nicht mag, bittet er sie, ihm seine Briefe zurückzugeben. Der ältere Mann probiert es an seinem Neffen aus und ändert entsprechend sein Testament. Das Buch ist ein Charaktertest ... Wenn Sie es sich vornehmen, machen Sie sich bitte nicht lächerlich und glauben, Sie säßen über meinen Geschmack zu Gericht oder über die Kunst von Kenneth Grahame. Sie sitzen lediglich über sich selbst zu Gericht. Vielleicht sind Sie es wert: ich weiß es nicht. Aber Sie sind es, der vor Gericht steht ...". Und auch C.S. Lewis, aus dessen Feder die "Chroniken von Narnia" stammen, äußerte sich positiv über das Buch und sagte, dass daraus "eine Kenntnis der Humanität und englischen Geschichte" hervorgehe, die man "von irgendeiner Abstraktion gewiss nicht hätte lernen können".

Während also zahlreiche Rezensenten und berühmte Literaten wie Arnold Bennett oder Arthur Ransome "Der Wind in den Weiden" kritisierten, wurde Kenneth Grahame von vielen seiner Zeitgenossen auch gelobt. Und das zu Recht, denn mit seiner Geschichte um den Maulwurf, die Wasserratte, den Dachs und den Kröterich schuf der Autor eine humorvolle, aber auch ernsthafte Erzählung, die ihren Leser auch fast einhundert Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen noch immer durch ihren einfach gestrickten Handlungsablauf zu faszinieren und zu verzaubern weiß. Obwohl seit seinem Erscheinen historisch einiges passiert ist - da wären zum Beispiel die beiden Weltkriege - spricht "Der Wind in den Weiden" auch heute noch Kinder, Jugendliche und Erwachsene an und ist somit nicht nur noch immer eine aktuelle Erzählung, sondern auch eine zeitlose. Während Kenneth Grahame meist mit einfachen Worten erzählt, mit schlichten Begriffen atmosphärische Szenerien entwirft und die spannenden Abenteuer und Erlebnisse seiner Helden erzählt, lassen sich in "Der Wind in den Weiden" auch zwei Kapitel finden, die mystische Anklänge haben und nachdenklich stimmen. So die Episode "Jeder ist ein Vagabund", in welcher sich die Ratte aufgrund der Tatsache, dass sich viele Tiere für den Winter einnisten oder gar gen Süden ziehen, mit der Thematik eines rastlosen Lebens auseinander setzen muss, oder das Kapitel "Der Pfeifer vor dem Tor zur Dämmerung", in welchem der Halbgott Pan dem Maulwurf und der Wasserratte hilft und einem jungen Fischotter das Leben rettet. Zwar lassen sich diese Kapitel ebenfalls wunderbar lesen, von ihrer Grundthematik her wollen sie aber - vor allem der Abschnitt über Pan - nicht so ganz in den übrigen Handlungsverlauf hineinpassen. Vielleicht macht aber genau dieser Umstand den Reiz dieser beiden Kapitel aus, doch die Frage, ob sie auch schon für jüngere Kinder zugänglich sind, bleibt unbeantwortet. Diese werden vermutlich den tieferen Sinn des Angesprochenen nicht verstehen, aber dennoch ihre Freude an diesen Abschnitten haben.
Freude an Kenneth Grahames Roman hat der deutsche Leser auch deshalb, da sich für diese Ausgabe Harry Rowohlt der Übersetzung von "The Wind in the Willows" angenommen hat. Harry Rowohlt ist bekannt für einen etwas eigensinnigen, sturen Stil, doch gerade dieser ist es, der seinen Übersetzungen Farbe und Tiefe verleiht. Beim vorliegenden Buch ist es nicht anders - Harry Rowohlt überzeugt zum wiederholten Male als genialer Übersetzer.

Eigentlich wollte Kenneth Grahame seine Geschichte unillustriert lassen, da er dachte, dies könne aufgrund der irrealen Größenverhältnisse seiner Charaktere zu menschlichen Gegenständen gar nicht gehen. Dennoch versuchten sich eine ganze Reihe Künstler immer wieder daran, die Erzählung des Romanes mit Bildern zu begleiten, viele jedoch scheiterten an dieser Aufgabe. Die Illustrationen von Ernest H. Shepard hingegen - welche auch Teil der vorliegenden Hardcover-Ausgabe des Klassikers sind - schienen den Kern der Geschichte zu treffen und verhalfen ihrem Künstler zu großer Bekanntheit. Groß befriedigen konnten mich persönlich die Illustrationen jedoch nicht. Zwar befinden sich darunter einige sehr schöne Zeichnungen, meist jedoch störte mich die grobe Federführung und die im Nachhinein durchgeführte, ungenaue Colorierung der Bilder, die mich im Gesamten nicht besonders von sich überzeugen konnten.

Weiterhin beinhaltet die vorliegende, großformatige Ausgabe ein Nachwort von Brian Sibley, der sich nach einigen hochlobenden Tönen der Biografie des Autors widmet und diese mit Gedanken und Kommentaren von Zeitgenossen und Freunden Grahames anreichert. Auch die Entwicklung der Illustrationen sowie die Entstehungsgeschichte von "Der Wind in den Weiden" im Speziellen kommen hier selbstverständlich zum Zuge. Besonders interessant an diesem Nachwort ist jedoch der Umstand, dass Sibley viele Zusammenhänge zwischen Grahames Leben und seinem berühmtesten Roman herstellt und sich deutlich herauskristallisiert, wie viele autobiografische Elemente "Der Wind in den Weiden" enthält. - So sind zum Beispiel die vier Hauptfiguren (Maulwurf, Wasserratte, Kröterich und Dachs) im Grunde genommen allesamt Einzelgänger und auch der Wert, den ein geschütztes, gemütliches Zuhause hat, in welches man jederzeit zurückkehren kann, kommt deutlich zum Ausdruck.

Fazit:
"Der Wind in den Weiden" ist ein wunderschönes und zeitloses Stück Literatur, welches auch beinahe einhundert Jahre nach seinem Erscheinen noch immer aktuell erscheint. Grahame erzählt mit einfachen, aber beeindruckenden Worten, welche von Harry Rowohlt zwar eigensinnig, aber gewohnt genial ins Deutsche übertragen wurden. Die Illustrationen von Ernest H. Shepard hingegen konnten mich - obwohl sie den Autor berühmt machten - nicht sonderlich überzeugen.

Valentino Dunkenberger



Hardcover | Erschienen: 01. Oktober 2004 | ISBN: 3036951237 | Originaltitel: The Wind in the Willows | Preis: 29,90 Euro | 238 Seiten | Sprache: Deutsch

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