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 Holocaust

Die Geschichte der Familie Weiss


Cover
Gesamt ++++-
Action
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton
Die US-amerikanische Serie "Holocaust" war, als sie im Januar 1979 an vier aufeinanderfolgenden Tagen erstmals in Deutschland ausgestrahlt wurde, ein Straßenfeger: Holocaust-Dokus gab es bereits, aber noch nie zuvor hatte sich eine fiktive Geschichte mit dem Schicksal der Juden während des Nazi-Regimes auseinandergesetzt. Sie wurde mit Lob und Preisen überhäuft, Kritiker, die eine Trivialisierung befürchteten, waren nach der Sichtung von der Serie überzeugt. Jetzt erscheint sie bei Polyband in Zusammenarbeit mit dem WDR auf DVD.

Auf vier Discs verteilt wird in 415 Minuten das Schicksal der jüdischen Familie Weiss zwischen 1935 und 1945 erzählt. Arzt Josef Weiss und seine Frau Berta leben in Berlin mit ihren drei Kinder Karl, Rudi und Anna. Schon bald spüren sie die ersten antisemitischen Tendenzen der Nationalsozialisten: Künstler Karl heiratet die Deutsche Inga Helms, eine Mischehe, die bald als "Rassenschande" unter Strafe gestellt wird, während Josef keine deutschen Patienten mehr behandeln darf. Langsam und schleichend bauen die Nazis eine antijüdische Stimmung in Berlin auf, die sich in der Kristallnacht am 9. November 1938 entlädt: Der Reichstagsbrand wird den Juden in die Schuhe geschoben, bald darauf brennen die ersten Synagogen. Karl wird verhaftet und in das Arbeitslager Buchenwald abgeschoben, Josef nach Polen deportiert, Rudi flüchtet aus Deutschland und schlägt sich als Partisanenkämpfer in Osteuropa durch. Berta und Anna kommen zunächst bei Ingas Eltern unter, die darüber alles andere als glücklich sind. Als Anna unter tragischen Umständen stirbt, folgt Berta ihrem Mann nach Polen. Im Warschauer Ghetto organisieren die beiden mit Josefs Bruder Moses mit der Zeit den Widerstand.
Karl wird mit Ingas Hilfe vom Steinbruch in Buchenwald ins Künstleratelier des "Vorzeigeghettos" Theresienstadt verlegt, wo er Vorzeigebilder über glückliche Juden malen soll. Insgeheim fertigt die Künstlergruppe aber auch eigene Malereien an, die die Judenverfolgung thematisieren. Als diese Bilder in die Hände der Gestapo fallen, wendet sich für Karl das Blatt, er wird gefoltert und nach Auschwitz geschafft.
Heißsporn Rudi lebt gefährlich, ist aber zumindest frei. In Prag lernt er die schöne Helena kennen und lieben, gemeinsam schließen sie sich einer Gruppe Widerständler an, nachdem sie in Babi Yar die Massenerschießung von Juden miterleben mussten. Sie gehen gegen deutsche Stellungen vor, ein Kampf, der auch nicht dauerhaft gut gehen kann.
Und noch eine Geschichte wird erzählt, die Einblick in die Seite der Judenverfolger gewährt: Der kleine Jurist Erik Dorf lässt sich von seiner Frau beschwatzen, eine Karriere bei der SS zu machen. Unter Reinhard Heydrich, der die Vernichtung der Juden vorantreibt, kann er sich bald einen Namen machen und rückt zum Obersturmbandführer auf. Zugleich fällt die anfängliche Schüchternheit und Menschlichkeit allmählich von ihm ab und er wird zur treibenden kreativen Kraft bei der Tötung der Juden. Allerdings macht er sich auch Feinde und als Heydrich bei einem Anschlag stirbt, muss er unter dessen Nachfolger täglich um Job und Ansehen kämpfen.

Ein beeindruckendes Projekt hat Regisseur Marvin J. Chomsky da mit Drehbuchautor Gerald Green realisiert: Präzise wird die heraufziehende Finsternis nachgezeichnet, von den ersten Anfeindungen über Progrom und Deportation bis zur fabrikmäßigen Massenvernichtung der Juden in den Konzentrationslagern. Die fiktive Geschichte wird in historische Tatsachen eingebettet: Die Enteignung und Abschiebung der Berliner Juden, die Reichskristallnacht, das Massaker im russischen Babi Yar Ende September 1941, bei dem rund 33.000 Juden, vielleicht mehr, fließbandartig erschossen wurden, der wochenlange Widerstand der Juden im Warschauer Ghetto ab dem 19. April 1943, alle diese Stationen werden durchlaufen. Dass dabei die Mitglieder der Familie Weiss vornehmlich als treibende Kräfte agieren - sowohl die Anführer des Warschauer Widerstands als auch die Initiatoren des Aufstandes, der 1943 das Ende des Vernichtungslagers Sobibor einleitete, sind bekannt und heißen nicht Weiss -, ist nebensächlich, denn in der Hauptsache geht es hier um die Judenvernichtung. Und die wird anschaulich gezeigt. Schauspieler wie James Woods (Karl), Meryl Streep (Inga) und Fritz Weaver (Josef) geben hier alles und zeigen herausragende Leistungen. Letzteres lässt sich auch über Michael Moriarty sagen, der den Wandel des Erik Dorf - auch eine fiktive Figur - vom normalen Familienmenschen und Karriere-Opportunisten zum gewissenlosen Judenmörder sehr gelungen darstellt. Auf Seiten der Nazis fällt darüber hinaus David Warner als Heydrich auf, der trotz seiner Aktivitäten gegen die Juden ein starkes Charisma ausstrahlt. Auch Ian Holm als Heinrich Himmler gefällt: Er zeigt einen Reichsführer, dem beim Anblick der Ermordung von Juden schlecht wird, was zugleich absurd und nachvollziehbar ist und verdeutlicht, dass die Judenvernichtung auf höchster Ebene von realitätsfremden Theoretikern geplant wurde. Erfreulich ist, dass auch das Setting sehr detailgetreu ist: Nahezu alle Schriftzüge im Hintergrund sind auf Deutsch oder Polnisch verfasst, für eine amerikanische Produktion keine Selbstverständlichkeit. So weit, dass im Originalton die deutschen Soldaten auch Deutsch sprechen, geht der Film dann aber doch nicht.

Die Serie beschönigt nichts, stellt die Judenvernichtung als nüchtern geplantes Projekt dar, lässt Nazis über effizientere Formen der Tötung diskutieren, als seien Juden keine Menschen, sondern Ungeziefer - der Vergleich findet auch mehrmals Anwendung. Das Ganze kommt mit sehr wenig Filmmusik aus, erstaunlicherweise wird im ersten und dritten Teil völlig darauf verzichtet, was den Bildern eine stärkere Realitätsnähe und Eindringlichkeit verleiht, während in den anderen beiden Teilen öfters melancholische Orchestermusik zum Einsatz kommt. Allerdings stört sie eher, man hätte, wie es im ersten Teil bisweilen geschieht, die Musik als Teil des Geschehens einbauen können, durch Klavierspiel oder Grammophon etwa.
Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass die DVD-Fassung der Fernsehfassung entspricht, die damals in Deutschland ausgestrahlt wurde. Diese ist im letzten Teil um sieben Minuten kürzer als das Original: Die wenigen Überlebenden der Familie Weiss werden dort in Israel gezeigt, wo sie bei der Staatsbildung helfen. Diedeutsche Fassung endet dagegen mit der (Selbst-)Anklage von Erik Dorfs Onkel Kurt und hat natürlich eine ganz andere Wirkung auf das deutsche Publikum als die Szenen in Israel, die nach den düsteren Bildern der Serie deren Ende sehr positiv einfärben. Wenigstens für die DVD hätte dieses Ende wieder eingefügt werden können.

Noch einmal: Die Serie beschönigt nichts. Und damit muss ein wichtiger Punkt angesprochen werden: Die Altersfreigabe. Laut FSK-Empfehlung können Jugendliche ab zwölf Jahren die Serie sehen. Allerdings können die Einstellung, dass man mit der Abschreckung zum Thema Holocaust nicht früh genug anfangen kann, und der historische Wert des Ganzen diese Freigabe nicht rechtfertigen. In fast sieben Stunden erleben die Zwölfjährigen eine - wenn auch nur angedeutete - Vergewaltigung, ausführliche Folterszenen, die massenhafte Vergasung und Erschießung von Menschen, Kriegsszenen, Psychoterror und mehr. Ganz zu schweigen von der Art und Weise, wie auf Seiten der Nazis mit dem Thema umgegangen wird: Hier wird darüber geplaudert, dass das Atemgift Zyklon B doch verglichen mit der Erstickung durch Motorabgase die effizientere Art der "Sonderbehandlung" sei, hier rühmt man sich, täglich mehrere tausend Juden erschossen zu haben - diese Art des Umgangs mit dem Thema sowie die lange Liste direkter oder angedeuteter Darstellung physischer und psychischer Grausamkeiten, insgesamt eine Verfilmung des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, sollte nicht für Zwölfjährige zugänglich sein. Am Ende werden hier Originalbilder aus den Konzentrationslagern mit Kinderleichen und ähnlichem gezeigt, die dem Ganzen die Krone aufsetzen. Eltern seien hier ausdrücklich zur Vorsicht gemahnt: Was man hier zu sehen bekommt, kann einen bis in die Träume verfolgen, das sollte man zu jungen Jugendlichen nicht zumuten. Wer immer die Serie ab zwölf Jahren freigegeben hat, hat sie sich scheinbar vorher nicht angeschaut.

Schade ist, dass die Box keinerlei Extras bietet. Ein Making-of, ein Feature über historische Hintergründe oder wenigstens Interviews mit den Akteuren, die zum Teil viel durchmachen mussten für diese Serie, hätten das Ganze abgerundet. Nicht einmal eine Kapitelwahl steht zur Verfügung. Aber Kurzbeschreibungen zu den vier Teilen der Serie gibt es in der Box, und die verraten dem Zuschauer, welches Mitglied der Familie Weiss wann und wo stirbt. Na vielen Dank ...

Man kann hier noch einiges lernen über die systematische Judenverfolgung im Dritten Reich. Die Serie "Holocaust" geht mit drastischen Bildern durch diese finstere Epoche der deutschen Geschichte, gibt eine Vorstellung von dem Elend, in dem die Juden gelebt haben mussten, und schafft ein konkretes Bild von dem abstrakten Begriff "Vernichtungslager". Nüchtern und sachlich werden die einzelnen Abschnitte von der Verfolgung bis zur Endlösung verfolgt, die dramatischen Erlebnisse der jüdischen Familie Weiss stehen dem trockenen fabrikmäßigen Ausrotten durch die Nazis gegenüber. Es war ein geschickter Schachzug, beide Seiten darzustellen. Die Serie lohnt sich, allerdings sollten Eltern der FSK-Freigabe keine Beachtung schenken, wenn sie nicht wollen, dass ihre Kinder nächtelang an Alpträumen leiden.

Stefan Knopp



DVD | Disc-Anzahl: 4 | Erschienen: 1. April 2009 | FSK: 12 | Laufzeit: 415 Minuten | Originaltitel: Holocaust | Preis: 28,95 Euro | Untertitel verfügbar in: Deutsch für Hörgeschädigte | Verfügbare Sprachen: Deutsch, Englisch

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