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 Aether


Cover
Gesamt ++++-
Spannung
Die Stadt ist ein recht beliebter Schauplatz in der Fantasy. Von Freistatt über Menzoberranzan bis hin zu Lankhmar gibt es etliche berühmte Fantasy-Metropolen; in jüngster Zeit gesellen sich weitere phantastische Städte hinzu, die allerdings eher dem Subgenre der Steam-Fantasy entstammen (berühmtestes Beispiel ist hier wohl die Stadt New Crobuzon, die der Feder China Miévilles entflossen ist).

Nun ist bei Klett-Cotta ein neuer Steam-Fantasy-Roman erschienen: "Aether" von Ian R. MacLeod. Die in diesem Buch beschriebene Stadt ist auf den ersten Blick altbekannt: Es handelt sich um die britische Metropole London, verortet im neunzehnten Jahrhundert - der Zeit, in der unter anderem Charles Dickens seine bekannten Stadtromane verfasste. Den Geist dieser Epoche atmet auch MacLeods Entwurf, allerdings versetzt mit einem Hauch purer Fantasy. Dieser Hauch wird "Aether" genannt; eine Substanz, die im siebzehnten Jahrhundert der MacLeodschen Parallelhistorie entdeckt wurde und die das Leben vollkommen verändert hat, da sich mit ihr Materialien magisch verändern lassen und Zaubersprüche "hergestellt" werden können. Verarbeitet wird der Stoff in großen Aetherfabriken, und wer hier für einen kargen Lohn arbeitet, bekommt auch die Nebenwirkungen des Aethers zu spüren - magische Mutationen, die einen Menschen zum Wechselbalg und damit zum ausgestoßenen Abschaum der Gesellschaft degradieren.
Über die Aetherproduktion wachen die Gilden. Sie stellen die Elite der neuen Gesellschaft dar; und gleich den Kapitalisten zur Zeit der Industrialisierung beuten auch sie ihre Arbeiter aus. Dementsprechend sind soziale Konflikte vorprogrammiert. In einen solchen gerät auch der Protagonist Robert Borrows, Angehöriger einer hohen Gildenfamilie. Schwer traumatisiert durch einen Vorfall in seiner Jugend, durch den seine Mutter das Opfer einer Aethervergiftung wurde, treibt es ihn in die große Stadt London. Dort knüpft er bald Kontakte zu der aufkeimenden Revolte, die sich in den ärmeren Stadtvierteln zusammenbraut - und trifft eine junge Frau aus seiner Kindheit wieder, die sich inzwischen ebenfalls in einen Wechselbalg verwandelt hat. Gemeinsam beschließen sie, der Herrschaft der arroganten Gilden entgegenzutreten ...

Ian R. MacLeod widerlegt mit seinem Roman die These, dass Fantasy per se ein eskapistisches Genre ist. "Aether" liest sich über weite Strecken wie ein sozialkritisches Werk; die klare Anlehnung an die Industrialisierung und an die Bücher von Charles Dickens, betrachtet durch die Brille des Phantastischen, kann dabei auch als Kommentar auf unsere Gegenwart gelesen werden, da Lohndumping, Ausbeutung und soziale Kälte erneut Urstände feiern. Dabei kommt freilich auch die Spannung nicht zu kurz, und die phantastische Ausschmückung der Stadt London - inklusive Geistern, geflügelten Hunden und Chamäleonmenschen - lässt den Leser mehr als einmal staunen. Zudem überzeugen die in Fantasy-Romanen eher unübliche Ich-Perspektive, der behutsame Einstieg in die Handlung und die sehr schöne Sprache, die Science-Fiction-Autorin Barbara Slawig hervorragend ins Deutsche übersetzt hat. Und auch die Aufmachung kann sich - wie von Klett-Cotta gewohnt - sehen lassen: ein ätherisch-grünes Cover, geschmückt mit dem Foto einer alten Industrieanlage, die nun gar nichts mit den süßen Elfen, kitschigen Burgen und schwertschwingenden Amazonen zu tun hat, die sich sonst auf Fantasy-Einbänden tummeln. Doch die hätten auf MacLeods Buch auch wenig verloren, denn "Aether" ist ein schneller, politischer und kompromissloser Roman, der sich nicht lange mit Klischees aufhält. Darauf muss man sich freilich einlassen - und wer dies tut, wird mit einem Leseerlebnis der besonderen Art belohnt.

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 1. September 2005 | ISBN: 9783608937725 | Originaltitel: The Light Ages | Preis: 24,50 Euro | 509 Seiten | Sprache: Deutsch

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