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 Tiefe Wunden


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Die Situation erscheint den Ermittlern Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff völlig absurd: Schon allein der Umstand, dass jemand kaltblütig einen 92-jährigen Holocaust-Überlebenden erschossen hat, wirkt grotesk. Dann zeigt sich anhand einer Tätowierung, dass David Josua Goldberg der SS angehört haben muss. Ein weiteres Rätsel stellt die Zahl 16145 dar, die der Mörder mit Goldbergs Blut auf einen Spiegel geschmiert hat. Verwunderlich scheint außerdem, dass den Polizisten weitere Ermittlungen im Fall Goldberg von höchster Instanz untersagt werden.
Innerhalb weniger Tage kommt es in nahe gelegenen Ortschaften zu gleichartigen Hinrichtungen zweier weiterer Menschen in Goldbergs Alter, und auch die geheimnisvolle Zahl taucht in beiden Fällen auf. Bei einem der Opfer handelt es sich offenbar um einen unverbesserlichen Nazi, der in seinem Keller Erinnerungen an die NS-Zeit gehortet hat. Die danach ermordete alte Dame scheint keine Angehörigen mehr zu haben, sie lebte in einer noblen Seniorenresidenz im Vordertaunus, und all ihre persönliche Habe wurde offensichtlich im Zusammenhang mit dem Mord entwendet.
Rasch erkennen die Ermittler, dass die drei Mordopfer eine gemeinsame, ebenfalls betagte Bekannte hatten, Vera Kaltensee, eine bekannte Firmeninhaberin und, wenn man es so ausdrücken möchte, "Clanmutter". Schon die ersten Befragungen fördern tiefe Risse im Familien- und Firmengefüge zutage, und rasch beobachten die Ermittler, dass ihnen mächtige Gegner entgegenstehen. Allzu bequem wird ihnen ein Mordverdächtiger serviert, der dann praktischerweise Selbstmord begeht. Oder auch nicht, wie sich dank der Rechtsmedizin problemlos herausstellt.
Als es zu dramatischen Verwicklungen kommt, muss Pia Kirchhoff unerwartet die Ermittlung im ehemaligen Ostpreußen fortsetzen, und ein dramatischer Showdown nimmt seinen Lauf.

Bereits von Anfang an fesselt dieser Krimi die Aufmerksamkeit des Lesers, denn der scheinbar völlig sinnlose Mord an einem Hochbetagten ohne Raubabsicht und die anschließend bewiesene SS-Zugehörigkeit des "Juden" Goldberg ergeben zunächst keinerlei Sinn. In rascher Folge treten weitere Personen auf den Plan, so viele, dass sich der Leser konzentrieren muss und womöglich befürchtet, es zeichneten sich Verhältnisse wie in einschlägigen russischen Romanen ab. Doch mit der Zeit erhält jede Figur ihren Platz. Den ändert sie freilich einige Mal, denn so einfach macht es Nele Neuhaus ihren Lesern nicht: Verblüffende Wendungen und "Red Herrings" gibt es reichlich in diesem Roman, der indes nie zum reinen Action-Klamauk abdriftet, sondern stets Unterhaltung auf hohem Niveau bietet.
Die Charaktere wurden differenziert ausgearbeitet und wirken, jeder für sich, sehr authentisch – eine bemerkenswerte Leistung angesichts der erwähnten Fülle an Figuren, die letztlich alle eine Rolle bei den Morden spielen. Eine stimmige, nach Eindruck der Rezensentin völlig widerspruchsfreie, schlüssige Handlung und ein unkomplizierter, angenehmer Stil sowie hervorragend konstruierte Spannungsbögen machen diesen Krimi zu einem echten Meisterwerk des Genres, das trotz des beträchtlichen Umfangs von fast fünfhundert Seiten keinen Augenblick langweilt. Hierzu tragen sicher auch die gut nachvollziehbaren zwischenmenschlichen Probleme innerhalb des Ermittlerteams bei, denen eine angemessene Bedeutung zuteil wird.
Wer den Vordertaunus kennt, dürfte beim Lesen manches Mal eine Art Déjà-vu-Erlebnis haben, denn die erwähnten Örtlichkeiten und sogar manche Einrichtung gibt es wirklich wie beschrieben, und man mag auch die ein oder andere Nebenfigur schon einmal gesehen haben. Das Lokalkolorit wird aber auch auf Leser außerhalb der Gegend zwischen Frankfurt und Königstein sympathisch wirken, und diese werden zudem durch das überregionale Ostpreußen-Thema – die fiktive Figur Vera Kaltensee gehört zu den Vertriebenen – angesprochen. Möglicherweise würde sich mancher jenseits des Taunus beheimatete Leser allerdings eine Karte des Main- und südöstlichen Hochtaunuskreises wünschen.
Ein hervorragender Roman, der alle Elemente eines guten Regionalkrimis enthält, jedoch auch spannende Unterhaltung auf hohem Niveau für Leser außerhalb Mittelhessens bietet!

Link zum Interview mit der Autorin

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 1. September 2009 | ISBN: 9783548609027 | Preis: 8,95 Euro | 479 Seiten | Sprache: Deutsch

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