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 Necrologio

Deutsche Phantastik der Gegenwart


Cover
Gesamt +----
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
THE HOUSE OF USHER ist nicht nur der Name einer genialen Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, sondern auch einer deutschen "Gothic Rock"-Band. Deren Gründungsmitglied und Leadsänger Jörg Kleudgen gibt seit 1994 ein Periodikum namens Necrologio heraus, in dem er sowohl die Ereignisse rund um die Band dokumentiert als auch Erzählungen abdruckt. Zum 15-jährigen Jubiläum erschien der hier vorliegende Band im BLITZ Verlag.

Nach einem Vorwort von Kleudgen folgen ein Essay und die zehn Kurzgeschichten. Der Essay von Martin Schemm, An Anomalous Species of Terror, befasst sich mit der Komposition von The House of Usher (diesmal der Kurzgeschichte) und ähnlicher Geschichten.

Schattenlieder von Michael Knoke steht ganz im Erbe von The House of Usher, denn hier eilt der Erzähler einem alten Schulfreund zu Hilfe, der unter dem Bann einer eigentümlichen Tonaufnahme steht.

Necrologio (Walter Diociauti) spielt im Italien der 60er Jahre: Eine Gruppe von Hippies, die sich zu einer Band zusammengeschlossen haben, lernen einen außergewöhnlichen Mann kennen, der ihnen zu Erfolg verhilft. Doch leider kommt dieser mit einem Preis ...

Ebenfalls um eine Musikgruppe dreht sich Der Fall der Gruppe US & HER (Tobias Bachmann) - der Sänger erwirbt ein altes Haus in Versailles, um dort mit seiner Band ihr neues Album aufzunehmen. Das Gemäuer allerdings gehörte vormals einer Adelsfamilie: ebenjenen Ushers, die eine so große Rolle in Poes Geschichte spielen ...

Die Rote Maske des Todes wurde von Dominic Flenner und Jörg Kleudgen verfasst. Hierin findet diese Maske (ebenfalls aus einer von Poes Geschichten) ihren Weg in die Hände eines jungen Sängers und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Auch an Kein Gott auf Erden hat Jörg Kleudgen mitgearbeitet, diesmal mit Heiko Haas. Ein junger Mann nimmt eine Stelle als Sekretär cum Krankenpfleger an. Doch das Land und der Besitz der Familie sind verflucht ...

Arnold Reisner erzählt in Entschleiert von einem Theologen, der eigentlich seine Heimatstadt besucht, um dort einige alte Kirchen zu untersuchen. Aber er findet etwas ganz Anderes vor ...

Transmutation II (Markus K. Korb & Jörg Kleudgen) spielt zum größten Teil in Cathay: Ein Mann wurde zu einem parapsychologischen Kongress dorthin eingeladen. Er ahnt jedoch nicht, dass er zu einem ganz anderen Zweck dort erscheinen soll ...

Der Raub der Zeit (Christian von Aster & Jörg Kleudgen) dagegen ist in Wien angesiedelt: Jemand stiehlt Uhren - doch wozu?

Jörg Kleudgen hatte auch bei der nächsten Geschichte wieder seine Finger im Spiel: Zusammen mit Boris Koch schrieb er Morphin, die Geschichte einer Reihe von bestialischen Morden.

Mark Freiers Subinfernal handelt von einem von Gewissensbissen und Geistern geplagten Mörder.

Das Nachwort wurde verfasst von Kai Meyer. Das Buch wurde zusätzlich von Jörg Kleudgen illustriert.

"Deutsche Phantastik der Gegenwart" steht auf dem Cover zu lesen - doch die sucht man vergebens. Alle Geschichten kopieren Poe und stehen ganz in der Tradition von dessen Gothic Stories. Jede einzelne Geschichte wartet mit einem Ich-Erzähler auf, was ungefähr anderthalb Geschichten lang gutgeht und dann langweilig wird. Subinfernal macht's am Schluss ein wenig besser, denn hier wird in Form von Tagebucheinträgen erzählt, was zumindest etwas Erleichterung bringt.

Auch der Inhalt "orientiert" sich an Poe. Schattenlieder imitiert recht plump Poes großartige Erzählung, die Ereignisse seiner Geschichten werden als wahr angesehen und dementsprechend in Der Fall der Gruppe US & HER und Die Rote Maske des Todes benutzt. Man könnte diese Fixierung auf Poe aufgrund des Hintergrunds dieses Kompendiums noch gütlich werten, wenn die Geschichten wenigstens gut wären. Sind sie aber nicht.

Die beste der Geschichten ist bei weitem noch Morphin; sie hört zwar recht abrupt auf, hat aber wenigstens das Element des Schauers. Was hier geschrieben steht, ist allzu oft vorhersehbar, langatmig und kein bisschen gruselig. Anscheinend bestand beim Einsenden der Geschichten der Zwang, so altmodisch wie möglich zu beschreiben: Der Inhalt wird in die Länge gezogen wie Nudelteig. Da kann man zwischendrin schon mal zehn Seiten überspringen und verpasst nix.

Das, was Poe richtig gut konnte, nämlich seinen Leser gefangenzunehmen, zu faszinieren und zu fesseln, ist ausgerecht das, woran all diese Geschichten scheitern. Es schmerzt schon fast, denn einige Geschichten fangen gut an, verwursteln sich dann, weil die gruselige Atmosphäre zu Tode gequatscht wird, und immer wieder geschehen einfach Dinge, die so abstrus und absurd sind, dass man als Leser unweigerlich aus der Geschichte geworfen wird. So kann Der Raub der Zeit nur verwirren (zwecks Beurteilung wurde selbige Geschichte mehrere Male gelesen und immer noch herrscht Chaos).

Wenn das der Zustand der deutschen Phantastik der Gegenwart ist, dann prost Mahlzeit. Die Tatsache, dass Kleudgen nicht nur Herausgeber, sondern auch Illustrator ist und dann noch an fünf (!) der zehn Geschichte mitgewirkt hat, macht auch keinen sonderlich guten Eindruck.

Warum dann ausgerechnet der Kai Meyer das Nachwort schreibt, erfährt man, wenn man es liest: Er ging mit Kleudgen auf die gleiche Schule. Na denn.

Fazit: ... Nein. Das will man nicht lesen und sollte man auch nicht kaufen, es sei denn, um es seinem Erzfeind zu schenken.

Sabine Hunsicker

Probe


Hardcover | Erschienen: 1. November 2009 | ISBN: 9783898402859 | Preis: 17,95 Euro | 317 Seiten | Sprache: Deutsch

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