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 Abenteuer in Mittelerde


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie
Die Flut an Lizenzprodukten zu Tolkiens fiktiver Welt Mittelerde will selbst sechs Jahre nach dem Erscheinen des letzten Films der "Herr der Ringe"-Trilogie noch kein Ende nehmen. Und mit der 2011 oder 2012 zu erwartenden Verfilmung von "Der kleine Hobbit" ist auch lange noch kein Schlussstrich in Sicht – erst recht nicht dann, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Tolkiens Mittelerde-Universum noch so viel mehr umfasst als nur die Geschichte von "Der Herr der Ringe". Das große Brettspiel "Abenteuer in Mittelerde" ist dabei einer der ersten Titel, der sich auf einen eher obskuren Bereich der Story konzentriert: jene 17 Jahre, die im Buch zwischen Bilbos einhundertelfzigsten Geburtstag und Frodos Aufbruch zu seinem großen Abenteuer liegen. Im Roman war das der Teil, wo die meisten Leser abgebrochen haben, weil es ihnen zu langweilig war – doch dabei ist, wie man in diesem Spiel erleben kann, in Mittelerde währenddessen doch so viel passiert!

[PIC]Eigentlich könnte man die restliche Rezension des Spiels auf den Satz "'Arkham Horror' in Mittelerde mit einem Gegenspieler" beschränken, aber das wäre nicht gerade die feine journalistische Art. Die Ähnlichkeiten zum Lovecraft-Horror-Spiel sind jedoch mindestens auffällig – Portale werden zu Plots, Hinweismarker zu Gunstmarkern, quadratische Monsterplättchen zu … na ja, quadratischen Monsterplättchen. Zugegeben, ganz gerecht wird das "Abenteuer in Mittelerde" nicht, schließlich gibt es einige durchaus gravierende Unterschiede.
Zum einen spielen nicht mehr alle zusammen gegen das Spiel. Einer, der sich besonders böse fühlt, übernimmt die Rolle von Sauron, der seine dunklen Fühler immer weiter über Mittelerde ausstreckt, während die bis zu drei weiteren Spieler je einen Helden spielen, der die Pläne des Bösen durchkreuzen muss. Prinzipiell versuchen dabei beide Seiten, ihre Fortschrittsmarker ins Ziel zu bringen und währenddessen noch ein geheimes Ziel zu erfüllen. Während der Marker der Helden als eine Art Timer jede Runde automatisch vorwärts rückt, muss Sauron Ränke schmieden, um seine Marker voran zu treiben.

Die beiden Parteien spielen sich dabei vollkommen unterschiedlich. Sauron hat jede Runde zwei oder drei Aktionen zur Verfügung, mit denen er seinen Einfluss auf dem riesigen Spielplan ausbreiten, neue Karten ziehen oder seine Monster und Schergen bewegen kann. Besonders wichtig sind dabei für ihn die Plots, die seine Fortschrittsmarker bewegen und einen Brennpunkt für die Helden darstellen. Saurons Spielzug läuft mit seinen Aktionen noch recht traditionell ab, dafür hat sich in die Züge der Helden und in den Kampf ein gutes Stück Innovation eingeschlichen. Vieles von dem, was die Helden machen, wird über einen Kartenstapel gesteuert, der für jeden Charakter einzigartig ist. Der Zwerg Thálin etwa kann sich viel schneller durch Berge bewegen als die anderen, denn die Bewegung wird in erster Linie über Symbole auf den Karten gesteuert, die die Spieler abwerfen müssen, um sich über passende Pfade zu bewegen. Gleichzeitig braucht man die Karten für den Kampf gegen Monster und Schergen Saurons. Und schließlich stellen sie noch die Lebenspunkte des Helden dar, denn wenn er keine Karten mehr zum Nachziehen und auf der Hand hat, gilt er als besiegt – ein sehr cleveres System.

[PIC]Das Ziel der Helden ist jedenfalls, über die große Landkarte zu reisen und Hinweis- … Verzeihung, Gunstmarker zu sammeln, um mit ihnen Saurons Plots zu vereiteln, damit das Böse seinen Fortschrittsmarker möglichst nicht vor den Helden ins Finale zieht. Häufig liegen die Gunstmarker an bestimmten Orten auf dem Spielplan, müssen bekannte Figuren wie Gandalf oder Aragorn aufgesucht oder Questen bestritten werden. Doch dabei lauert natürlich überall die Gefahr. In gefährlichen Orten können die Helden fiese Verderbnis-Karten aufgebrummt bekommen, Monster und Schergen wie die Nazgûl warten ebenfalls allerorten und suchen Streit. Der Kampf stellt dabei ein weiteres interessantes Element in "Abenteuer in Mittelerde" dar. In jeder Kampfrunde spielen sowohl der Held als auch sein Gegner geheim eine Handkarte aus, deren Angriffs- und Verteidigungswerte miteinander verglichen werden. Zusätzlich gibt es jedoch noch Dutzende von Effekten auf den Karten, die andere Karten blocken oder Einfluss auf kommende Kampfrunden haben. Je besser die gespielt Karte, desto mehr Stärkepunkte verbraucht man, bis man irgendwann erschöpft zusammenbricht, während der noch muntere Gegner weiter auf einen einprügelt. Dadurch wird der Kampf wie zu einem kleinen Sammelkartenspiel, über dessen Ausgang eine gesunde Mischung aus Glück und dem gekonnten Einsatz der Karten entscheidet.

All das kratzt nur an der Oberfläche der Tiefe und der Regeln, die "Abenteuer in Mittelerde" ausmachen – mit 40 Seiten Anleitung, vier Stunden Dauer und einer üppigen Ausstattung mit Hunderten von Karten, Markern und einigen sehr schönen Plastikfiguren ist das Spiel ein typisches Produkt des amerikanischen Verlags Fantasy Flight Games, weniger jedoch für den deutschen Vertrieb Kosmos, der sich hiermit das erste Mal an ein echtes Freak-Spiel wagt. Man sollte also unbedingt den Willen und die Zeit haben, sich in das umfangreiche Regelheft und das ungewöhnliche Spielprinzip einzuarbeiten, wird dann aber mit einem erstaunlich gut ausbalancierten und spannenden Spiel belohnt. Anfangs hat der Sauron-Spieler es zwar etwas leichter, weil die Helden noch keine wirkliche Vorstellung davon haben, was er mit seinen Plots und Karten alles anstellen kann – doch ist "Abenteuer in Mittelerde" keine so hoffnungslose Angelegenheit für die Guten wie etwa das ebenfalls semi-kooperative Spiel "Battlestar Galactica".
[PIC]Ein großer Schwachpunkt hockt jedoch wie ein fetter Ork auf dem Spielspaß, und das ist leider ausgerechnet das viel zu komplizierte Finale des Spiels. Am Ende schauen die Parteien, die mit ihrem Fortschrittsmarker das Ziel erreicht haben, ob sie ihr geheimes Ziel erfüllen konnten. Sollte das bei einer Seite der Fall sein, ist das Spiel vorbei – schön und gut. Nicht selten geschieht es jedoch, dass die Geheimziele unerfüllt bleiben oder ein Unentschieden erreicht wurde. Für diesen Fall schüttelt die Regel einen Kampf zwischen einem der Helden und den Nazgûl aus dem Ärmel, dessen Ausgang über Sieg oder Niederlage entscheidet … was mitunter die vorangegangenen vier Stunden Spiel völlig überflüssig macht. Der Kampf mag dann zwar in sich spannend sein, aber gleichzeitig wirkt er völlig antiklimaktisch zu dem, was sich stundenlang auf dem Brett abgespielt hat. Die Wartezeiten zwischen den eigenen Spielzügen können ebenfalls ein sehr nerviges Ausmaß annehmen – während Held Nummer Eins mit Sauron kämpft, können sich Nummer Zwei und Drei nur Däumchen drehend zurücklehnen.

Nichtsdestotrotz ist "Abenteuer in Mittelerde" eins der besten Brettspiele aus dem Tolkien-Universum. Das Szenario ist gleichermaßen vertraut und unverbraucht, die Mechanismen zwar hochkomplex, aber gut aufeinander abgestimmt. Es macht Spaß, beide Seiten zu spielen, und dank der vielen Karten und fünf Helden dürfte keine Partie der anderen gleichen. Gut, gelegentlich kommt es für die Guten so dicke, dass sie schon nach der Hälfte des Spiels kein Land mehr sehen. Aber die Partien, in denen der Ausgang des Spiels auf Messers Schneide steht, überwiegen.
Die Qualität der Materialien ist wie von Fantasy Flight Games gewohnt über jeden Zweifel erhaben, die Grafiken sind wunderschön gezeichnet, die schiere Masse an Chips und Karten überwältigend. Für das absurd große Spielbrett braucht man nur einen entsprechend formidablen Tisch. Wenn man den hat, kann man thematisch nach einer Partie "Abenteuer in Mittelerde" aber immerhin sofort das superbe Tolkien-Spiel "Der Ringkrieg" anschließen – denn auch wenn sich "Abenteuer in Mittelerde" bemerkenswert viel Mühe gibt, ist für vier spannende Stunden in Mittelerde immer noch nichts besser als das.

Julius Kündiger



Brettspiel | Erschienen: 30. August 2009 | Originaltitel: Middle-Earth Quest | Preis: 50 Euro | für 2 - 4 Spieler | Sprache: Deutsch

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