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 Der blutig=obszön=banale 3-Groschen-Roman namens "Geschichte"

Gesellschafts- und Zivilisationskritik in den Romanen Reinhard Jirgls


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
An wohl wenigen zeitgenössischen Autoren scheiden sich die Geister so wie an Reinhard Jirgl. Der ostdeutsche Autor fordert - und überfordert - mit seinem Stil, seiner Themenwahl, seiner literarischen Konsequenz manch einen Leser. Seine Romane und Erzählungen sind ebenso sprachgewaltig wie düster, ihr Aufbau ebenso raffiniert wie komplex, und Jirgls Angewohnheit, Sätze und Worte durch Frage- und Ausrufezeichen zu zerhacken, Ausdrücke zu verfremden, Konsonanten zu tauschen und das gesamte Schriftbild in eine sperrige Textruine zu verwandeln, entspricht so gar nicht der stromlinienförmigen Belletristik, die heute die Bestsellerlisten anführt. Umso mehr wird Jirgl in literarischen Kreisen geschätzt; sein Werk besitzt eine einmalige Stellung in der deutschen Literatur nach der Wende, die Jirgl übrigens immer wieder thematisiert und ihr dabei einen düsteren, fast dämonischen Anstrich verleiht.

Karen Dannemann, Literaturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität Berlin, hat Jirgls Gesamtwerk zum Thema ihrer Dissertationsarbeit gemacht. Sie legt mit "Der blutig=obszön=banale 3-Groschen-Roman namens 'Geschichte'" die wohl umfassendste Monographie vor, die bisher zu diesem Autor verfasst wurde. Von den Frühtexten über Jirgls erfolgreichsten Romanen "Abschied von den Feinden" und "Hundsnächte" bis zu den neuen Werken "Abtrünnig" oder "Die Unvollendeten" stellt Dannemann knapp und einprägsam die Werke Reinhard Jirgls vor, ordnet sie in den Kontext der deutschen Zivilisationskritik ein, beschäftigt sich mit dem Metaphernreichtum des Autors, seinem Geschichtsbild und seiner imaginativen Sprache. Auch Jirgls Position in der literarischen Debatte, seine Stellung in der deutschen Gegenwartsliteratur und innerhalb des Literaturbetriebs werden verortet. Schlussendlich liefert Dannemann eine umfassende Bibliographie zum Werk Jirgls, die zukünftig als Referenz für weitere Forschungen dienen dürfte.

Bedingt durch den Aufbau und die Zielsetzung der Monographie kommen die einzelnen Werke Jirgls freilich recht kurz; die Romane werden skizzenhaft dargestellt, die Interpretationen sind teilweise sehr eigenwillig und erklärungsbedürftig. Das macht es der anvisierten Leserschaft - Germanistikstudenten, Jirgl-Forschern und interessierten Lesern - nicht gerade einfach, in den finsteren Kosmos des Autors einzudringen. Dannemann scheint in ihrem Bestreben, alle Aspekte des Jirglschen Werks abzudecken, oft wichtige Aspekte aus den Augen zu verlieren. Das änderte nichts daran, dass ihre Dissertation eine wichtige Lücke füllt und Jirgl endlich die Würdigung zuteilwerden lässt, die ihm oft verwehrt geblieben ist. Für jene, die sich näher mit ihm und seinen Büchern beschäftigen wollen, ist Dannemanns Buch auf jeden Fall ein guter Begleiter und Ausgangspunkt.

Hagen Hoffmann



Taschenbuch | Erschienen: 1. Juni 2009 | ISBN: 9783826040429 | Preis: 36 Euro | 354 Seiten | Sprache: Deutsch

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