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 Die Metaphysik der Röhren


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Spannung
Ton


Auf drei CDs liest Marlen Dieckhoff die "Autobiographie" der ersten drei Lebensjahre von Amelie Nothomb als ungekürzte Fassung vor.

Als Amelie zur Welt kommt, kann sie mit dieser Existenz wenig anfangen. Sie beschränkt sich darauf, zu essen und auszuscheiden. Gerade wegen diesen beiden Tätigkeiten fühlt sie sich wie eine Röhre, aus der auf der einen Seite fließt, was auf der anderen hinein gegeben wurde. Ihre Eltern sind ratlos, bezeichnen ihr drittes Kind als Pflanze, da sie auch keinen Ton von sich gibt, und gehen mit ihr zu verschiedenen Ärzten, doch eine Lösung scheint es nicht zu geben.
Nach zwei Jahren beginnt Amelie plötzlich zu schreien und wenn dies auch zunächst freudig aufgenommen wird, so raubt es der Familie binnen kurzer Zeit doch auch den letzten Nerv. Erst der Besuch der Großmutter aus Belgien, die Amelie ein Stück weißer Schokolade schenkt, bringt das Gebrüll des Kindes zu verstummen.
Von diesem Moment an erwacht die Welt um Amelie herum und sie ist bereit, alles in sich aufzunehmen. Sie selbst ist Gott - beziehungsweise hält sich dafür - und hält es für ihre Pflicht, sorgsam mit den Nerven und dem Gemüt ihrer Familie umzugehen, zumindest anfangs. In ihrer eigenen Welt kann sie nicht nur fließend sprechen, sondern das auch noch fließend in zwei Sprachen, doch artig spricht sie ein Wort nach dem anderen, wie man es von kleinen Kindern erwartet.
Doch Amelie achtet nicht nur auf ihre Umwelt an sich, sondern hat sich auch mit vielem auseinander zu setzen, was sie tatsächlich nicht versteht. Darunter befinden sich interessante, spannende, langweilige, ärgerliche und auch traurige Ereignisse, an denen Amelie den Leser beziehungsweise Hörer teilhaben lässt.

Marlen Dieckhoffs Stimme, die unter anderem auch aus der Lesung Amelie Nothombs "Quecksilber" bekannt sein könnte, passt sich der gegebenen Situationen und Sichtweisen hervorragend an. Obwohl sie ihre Tonlage nicht der eines Kindes anpasst - oder gerade deswegen -, fällt es leicht, in das dargestellte Leben und Empfinden des kleinen Kindes, einzutauchen.
Die Betonungen sind hauptsächlich unauffällig, ebenso andere Modulationen, was die an sich absurde Vorstellung, einem altklugen Kleinkind zu lauschen, greifbarer macht.

Die Absurdität der ganzen Geschichte ist das, was das Hörbuch besonders schwierig macht. Gleich der Anfang ist derart abstrus, dass man sich schnell gelangweilt fühlt und sich zum Durchhalten zwingen muss. Hat man die ersten Hürden überwunden und Amelie befindet sich im Stadium ihrer ersten ausgesprochenen Worte, wird es einfacher und auch unterhaltsamer.
Man merkt fast jedem Satz die hohe sprachliche Kompetenz der Autorin an und mag sich an Satzkonstruktionen, Gedankengängen und sich aus sich selbst ergebenen Scherzen ergötzen, doch der schale Nachgeschmack lässt sich nicht völlig ausmerzen.
Dass Amelie Nothomb über eine gehörige Portion Narzissmus verfügt, ist bekannt, dass sie sich als Kind für Gott hielt oder er werden wollte, ist spätestens seit "Mit Staunen und Zittern" auch keine Neuigkeit mehr, aber genau diese Masse an Selbstverliebtheit und die ständig kollidierenden Aussagen irgendwo zwischen wirklichem kindlichen Erleben, echten Erinnerungen, erfundenen Passagen und sehr philosophischen Ansätzen macht es anstrengend, bei dieser Geschichte am Ball bleiben zu wollen.
Was bleibt, sind vor allem einige humorvolle Szenen, mit denen man sich identifizieren kann, und tragische Geschichten, denen Amelie Nothomb einen Sinn abzugewinnen versucht.
Zu ersterem zählt etwa die Erkenntnis, dass Eltern die Wichtigkeit von rosa Plüschelefanten selten nachvollziehen können, zu zweiterem die Erfahrung der kleinen Protagonistin, das geliebte Japan irgendwann verlassen zu müssen oder die Geschichten des japanischen Kindermädchens, das von Massenselbstmorden oder dem Tod ihrer Schwester erzählt.

Insgesamt erhält man mit "Metaphysik der Röhren" eine Geschichte, für die man Zeit aufbringen muss, weil sie wenig Leichtigkeit mit sich bringt. Für ihre Absurdität muss man sich ebenfalls begeistern können. Verfügt man über beides, so bekommt man beim Kauf neben einer teils tatsächlich autobiographischen Erzählung, die einem die Autorin etwas näher bringt, auch eine gute Lesung in einer ordentlichen Verpackung.

Tanja Elskamp



CD | Erschienen: 01. Januar 2002 | ISBN: 3899030923 | Laufzeit: 192 Minuten | Preis: 25,49 Euro

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