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 Zu Gast bei Freunden

Schimpfen und fluchen in 114 Sprachen

Autoren: Jule Philippi
Verlag: Rowohlt Tb

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Flüche, Beleidigungen und Kraftausdrücke sind gesellschaftlich verpönt. Wer sie in aller Öffentlichkeit benutzt, wird nicht selten zurecht gewiesen, sich doch zu benehmen. Nicht selten unterstellt man Menschen mit einem "dreckigen Mundwerk" einen Hang zur Aggressivität. Doch vielleicht ist das Gegenteil der Fall? So schreibt zumindest die Linguistin Jule Philippi im Vorwort ihrer kleinen Zusammenstellung von Kraftausdrücken aus 114 Sprachen. Verbalaggressionen sind wichtig, um der Wut ein Ventil zu bieten, um Dampf abzulassen, damit es gerade nicht zu einem physischem Ausdruck der Aggressionen kommt. In allen bekannten Sprachen gibt es Flüche und Beleidigungen. Sie stellen also durchaus ein Kulturgut dar, das so verbreitet ist wie der Mensch selbst auf dieser Welt. Dass sie auch eine positive Funktion haben müssen für das menschliche Zusammenleben, liegt daher eigentlich auf der Hand. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus erhellend herauszufinden, auf welche verschiedenen Arten und Weisen auf der Welt geflucht wird. Und zumindest im Auslandsurlaub ist es sicher auch mal hilfreich die einheimischen Kraftausdrücke zu verstehen.

Der ironische Titel des Büchleins "Zu Gast bei Freunden" lädt zum Blättern ein. Es besteht aus einem kurzen zweiseitigen Vorwort und dem Haupteil, in dem jede der 114 verwerteten Sprachen ein bis zwei Seiten einnimmt. Einem kleinen fünf- bis zehnzeiligen Einführungskommentar zu jeder Sprache folgt eine Liste von Flüchen, Kraftausdrücken und Beleidigungen mit deutscher Übersetzung.

Schnell merkt man beim Durchblättern die durchaus witzige Auswahl. Da finden sich in dem alphabetisch geordneten Konvolut zwischen den Klassikern Französisch, Englisch, Spanisch und so weiter Exoten wie Afrikaans, Gujarati, Bisaya oder Xhosa, tote Sprachen wie Latein und Altgriechisch oder erfundene Sprachen wie Esperanto, Klingonisch oder Elbisch.

Schaut man sich die einzelnen Sprachen genauer an, ist man aber häufig enttäuscht. Das fängt schon bei den Einführungskommentaren an. Es ist zwar beispielsweise interessant auf der Seite zum Latein zu erfahren, dass bereits im alten Rom das Zeigen des Mittelfingers als vulgäre Geste galt, aber was die Fischfangtechnick des Khasi sprechenden Volkes im indischen Bundesstaat Maghalaya mit seiner Fluchkultur zu tun hat, erschließt sich dem Leser nicht. Die Qualität dieser kurzen Kommentare ist durch den ganzen Band hindurch sehr wechselnd. Aus manchen Kommentaren kann man nicht mal herauslesen, wo die Sprache genau gesprochen wird.

Leider zeigt sich auch in der Quantität ein Ungleichgewicht zwischen den Sprachen. So hat die Autorin für das auch in deutschen Landen recht verbreitete Englisch 40 Begriffe aufgenommen und übersetzt, aber für das hierzulande recht unbekannte kapverdische Kreol nur einen. In der Tendenz sind die Sprachen aus Europa mit besseren Kommentaren und einem größeren Umfang an Vokabeln vertreten als die Sprachen Asiens, Afrikas und der Karibik. Das ist schade, weil gerade die Flüche und Beleidigungen aus entfernteren Regionen interessant gewesen wären. Denn wie Jule Philippi selbst im Vorwort schreibt, kann man anhand der Flüche, die in einem Kulturraum benutzt werden, Rückschlüsse auf dortige Tabus ziehen. So wird zum Beispiel in Ländern, in denen Religion noch eine große Rolle spielt, besonders blasphemisch geflucht. Eine größere Recherche für die entfernteren Sprachräume wäre daher interessanter gewesen als zu erfahren, dass es im Englischen einige Flüche gibt, in denen die Worte "shit" und "fuck" vorkommen.

Bei den Übersetzungen fällt positiv auf, dass oft sowohl semantische als auch wortwörtliche Übersetzungen dabei stehen. Das hilft sehr die Flüche aus fremden Sprachräumen zu verstehen. Negativ fällt dafür aber auf, dass alle Texte nur in lateinischer Schrift gedruckt wurden. Kyrillische oder griechische Buchstaben wurden konsequent lateinisiert. Auch wenn es kein wissenschaftliches Wörterbuch ist, hätte man doch gerade angesichts der oft großzügig frei gelassenen Flächen in dem Buch durchaus noch die Originalschriftzeichen mit abdrucken können.

Etwas verwirrend ist auch manchmal die Auswahl der Beleidigungen und Flüche. Es finden sich nicht nur kurze Aussprüche, die spontane Reaktionen auf Missgeschick und Unrecht darstellen, sondern auch mehrsätzige Beleidigungen, die schon die Länge von Witzen haben. Diese sind häufig auch unterhaltend, lassen aber die unbeantwortete Frage aufkommen, nach welchem Prinzip die Autorin die Auswahl vorgenommen hat.

Insgesamt ist das kleine Büchlein trotz der wechselnden Qualität der Einführungen und der Vernachlässigung so mancher außereuropäischer Sprache zu empfehlen. Denn das Preis-Leistungsverhältnis stimmt letztlich. Für 5 Euro bekommt man eine unterhaltende Zusammenstellung von Kraftausdrücken aus der ganzen Welt und vergangenen Zeiten. Der Unterhaltungswert ist recht hoch und die schönsten Bonmots merkt man sich auch gerne mal für den nächsten Stammtisch. So drückt doch beispielsweise nichts die Weisheit der alten Römer besser aus als der Satz: "Semper in excremento, sole profundum qui variat."

Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite: "Zu Gast bei Freunden"

Andreas Schmidt



Taschenbuch | Erschienen: 14. Juli 2010 | ISBN: 9783499626036 | Preis: 5,00 Euro | 153 Seiten | Sprache: Deutsch

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