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 Dann bin ich eben weg

Geschichte einer Magersucht

Autoren: Christine Feher
Verlag: cbt

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Sina wiegt knapp über sechzig Kilogramm, doch die Hose, die ihre schlanke Freundin Melli ihr schenkte, passt ihr nicht mehr, sondern spannt an den Oberschenkeln und an der Taille. Doch Taille ist schon zu viel gesagt - wie ein unförmiger Mehlsack fühlt sich Sina. Sie beschließt eine Diät, um nur ein paar Kilo zu verlieren und schlanker, beliebter und begehrenswerter zu werden. Letzteres vor allem für Fabio, den sie schon seit einem halben Jahr mit glühenden Blicken verehrt, der sie aber nicht wirklich beachtet.
Tatsächlich verliert sie schnell ein paar erste überflüssige Pfunde, doch das reicht ihr nicht. Aus der anfänglichen Diät, die durchaus gesund war, da Sina lediglich auf Süßigkeiten verzichtete und mehr Obst aß, wird eine ungesunde Fastenkur: Sina beginnt zu hungern und zählt manisch Kalorien, aus Angst, zu viel zu sich zu nehmen. Jetzt hält sie nichts mehr auf ihrer Spirale in die Schwerelosigkeit auf: Kilo um Kilo verliert sie, doch sie fühlt sich immer noch zu dick. Immer weniger isst sie, immer exzessiver werden ihre sportlichen Aktivitäten. Schnell lässt sie den Status des schlanken, gesunden Mädchens hinter sich und magert ab. Auch Fabio, der sie auf ihre dünnen Hände anspricht, kann ihr nicht helfen.
Sina verändert sich nicht nur körperlich, auch ihr Charakter leidet. Die ehemalige Musterschülerin erlebt einen heftigen Leistungsabfall, sie verschließt sich vor ihren Freunden und ihrer Familie, die ihr helfen wollen und doch hilflos sind. Als sie schließlich, mit einem Gewicht von nur noch 38 Kilo im Schwimmbad zusammenbricht, erscheint vieles zu spät ...

Dieses Buch schildert auf eindrucksvolle Art und Weise, wie aus einer harmlosen Diät Magersucht entstehen kann. Zuerst ernährt man sich gesund, doch dann, wenn die ersten Pfunde purzeln, packt einen der Ehrgeiz, man will noch schlanker werden. Egal wie wenig man wiegt, man fühlt sich zu dick und hungert weiter. Der Hunger wird auch für Sina zum einzigen Freund und Begleiter, den sie noch hat, da sie allen Menschen in ihrer Umgebung niedere Beweggründe unterstellt. Die beste Freundin ist eifersüchtig, der Schwarm ist oberflächlich, die Mutter neidisch auf die Figur der Tochter. Dass nichts davon zutrifft, merkt Sina erst viel zu spät nach einem langen Kampf.
Auch sehr gut ist, dass Sina nicht sofort nach ihrer Krankenhausentlassung geheilt ist. Sie hat zwar wieder zugenommen, dies aber nur aus Zwang und nicht aus freiem Willen. Monatelang war der Wille zum Abnehmen vorherrschend, nun wird auf einmal versucht, diesen Willen von außen zu brechen. Das kann nicht gut gehen ...

Die einzelnen Kapitel liegen teilweise Tage, teilweise auch Wochen auseinander und beschreiben stets einen Tag in Sinas Leben. Zu Anfang findet sich immer eine Gewichtsangabe und eine Tabelle, was genau Sina gegessen hat. Es ist erschreckend zu sehen, wie sich dies verändert, bis sie kaum noch Nahrung zu sich nimmt.
In einigen Kapiteln finden sich Träume und Vorstellungen Sinas, wie sie ihr Leben gerne erlebt hätte. Diese sind mit leicht veränderter Schriftart hervorgehoben.
Diese Träume handeln von ihrer Kindheit, von ihren verliebten Tagträumen und von ihrer Zukunft. Bemerkenswert an diesen ist, dass es nicht immer positive Träume sind und dass die meisten in Sinas Alltag eine Entsprechung finden, sei es der Traum vom Singen oder die erste Beziehung.

Da das Buch aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, erlebt der Leser Sinas Gefühle hautnah mit. Die Probleme und Sorgen, die andere Charaktere haben, bemerkt der Leser nur am Rande, wenn er Bemerkungen richtig interpretiert. Sina empfindet die Sorge ihrer Mutter und ihr Drängen, mehr zu essen, als Bevormundung, der Leser wird hierin eine Mutter erkennen, die unfähig ist, ihrer Tochter zu helfen. Doch durch diese Perspektive entsteht auch die Gefahr, dass Hungern als positiv empfunden wird. Sina wird tatsächlich anfänglich fröhlicher und offener, bevor die Magersucht sie wieder verschließt. Doch die Schilderung des rauschhaften Hungergefühls könnte bei Mädchen in einer ähnlichen Situation wie Sina bewirken, dass sie es auch "nur mal ausprobieren" wollen. Dieser Effekt wird aber durch den dramatischen Verlauf und durch die Beschreibung der körperlichen Folgen hoffentlich wieder größtenteils rückgängig gemacht. Einem Menschen, der sowieso schon mit seinem Gewicht hadert, sollte man dieses Buch nicht unüberlegt in die Hand drücken, zu groß ist die Gefahr, dass die eigentlich abschreckenden Elemente wie die Tagebuchaufzeichnungen der Essensmengen verlockend wirken.

Hier wird auch gezeigt, wie familiäre Probleme und schulischer Druck alles verschlimmern können. Sina leidet unter ihrer weiblichen Figur, als ein Onkel sie auf einem Familiengeburtstag an der Brust berührt. Dieses Erlebnis erfüllt sie mit einem solchen Ekel, dass sie allein, um die verhasste Figur loszuwerden, abnehmen will.
In der Schule werden von ihr überdurchschnittliche Leistungen erwartet, diesen Standard kann Sina einfach nicht dauerhaft aufrechterhalten, doch wenn ihre Leistungen abfallen, enttäuscht sie ihre Familie, die sie sowieso nur noch über Noten wahrnimmt. Vor allem der Vater kümmert sich kaum um die Tochter, Sina fühlt sich als kompletter Außenseiter.
Der Verlauf der Geschichte erscheint zwar vorhersehbar, doch ist es immer wieder erschreckend zu lesen, wie ein junges Mädchen, und mittlerweile auch immer mehr Jungs, in diese Krankheit abstürzen kann.

Fazit: Ein verstörendes Buch über die Gefahr der Magersucht und über die enorme Kraftanstrengung, die benötigt wird, um den Fängen der Sucht zu entfliehen. Doch wie Sina auch am Ende des Buches merkt: Der Kampf hört nie auf. Nicht nur gefährdeten Mädchen kann man dieses Buch empfehlen, auch ihr Umfeld sollte es lesen, da es zeigt, wie man nach Möglichkeit nicht mit Magersüchtigen umgehen sollte.

Anja Thiemé



Taschenbuch | Erschienen: 1. November 2005 | ISBN: 9783570301708 | Preis: 5,95 Euro | 186 Seiten | Sprache: Deutsch

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