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 Skandal im Jagdschloss Grunewald

Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich


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Gesamt +++--
Anspruch
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Preis - Leistungs - Verhältnis
1891 treffen sich im Jagdschloss Grunewald über ein Dutzend Damen und Herren der adligen Hofgesellschaft, darunter auch Verwandte des Kaisers Wilhelm II. Es kommt zu sexuellen Ausschweifungen, die in der Folge durch anonyme Briefe öffentlich bekannt werden. Dem Skandal folgen eine Jahre lange öffentliche Debatte, Gerichtsverfahren, Duelle und Reichstagsdebatten. Hohe Offiziere und Hofbeamte verlieren ihre Stellung. In der Geschichtswissenschaft wurden bislang meistens die politischen Auswirkungen des Skandals nachgezeichnet. Wolfgang Wippermann will mit seinem 2010 erschienenen Buch "Skandal im Jagdschloss Grunewald" vor allem einen kulturgeschichtlichen Aspekt des Skandals verdeutlichen. Seine These: Der Skandal, die ihm nachfolgenden Ereignisse und die mediale Diskussion am Ende des 19. Jahrhunderts leiteten eine Veränderung des Männlichkeitsideals und des Ehrbegriffs in der deutschen Gesellschaft ein.

Das 167-seitige Buch ist in sieben Kapitel unterteilt, sowie einen Anhang mit einem bibliographischen Essay und einen Anmerkungsteil. Wippermann erzählt zunächst den Kontext: von den "schmutzigen Geschichten" am Hof und dem "Klatsch und Tratsch", der durch die starke Machtstellung des Kaiserhofs im deutschen Kaiserreich immer auch mit handfesten politischen Interessen verquickt war. Dabei erfährt der Leser, dass das Treffen im Jagdschloss Grunewald im Grunde nicht außergewöhnlich waren angesichts des höfischen Alltags. Weiter geht es im Text mit der Erzählung der Ereignisse selbst und den darauf folgenden Versuchen, einen Schuldigen zu finden. Der Urheber der anonymen Briefe, die den Skandal überhaupt erst möglich machen, soll gesucht und als Verleumder verurteilt werden. Es trifft den höfischen Zeremonienmeister von Kotze, der in den folgenden Jahren in mehreren Prozessen und mehreren Duellen sowohl seine Unschuld als auch seine Männlichkeit beweisen muss.

Die letzten Kapitel beschäftigen sich mit der weiteren Entwicklung von Männlichkeit und Ehre in der deutschen Gesellschaft während des Weltkrieges, in der Weimarer Republik und im dritten Reich bis hin zu den Anfängen der Bundesrepublik. Dabei glaubt Wippermann, sich orientierend an Wilhelm Reich und Klaus Theleweit, verschiedene Männlichkeitsideale rekapitulieren zu können, die sich nach dem ersten Weltkrieg ablösten bzw. ineinander übergingen.

Unterbrochen wird der erzählerische Teil des Buches immer wieder von kurzen Exkursen, beispielsweise zur Geschichte des Ehrbegriffs seit dem Mittelalter oder dem antisemtischen Aspekt des Männlichkeitsideals im deutschen Kaiserreich. Außerdem wird der Text durch einige Abbildungen und kurzen Quellenausschnitten aufgelockert und belegt.

Wolfgang Wippermanns "Skandal im Jagdschloss Grunewald" behandelt ein spannendes und auch unterhaltsam zu lesendes Thema. Allein die Lektüre der Ereignisse im Jagdschloss und der beigedruckten Quellenausschnitte macht einfach Spaß. Wissenschaftlich gibt Wippermann eine interessante Anregung, die allerdings durch weitere Forschung erst noch zwingend bewiesen werden müsste.

Die These des Autors, dass die öffentliche Debatte des Skandals die gesellschaftliche Überhöhung eines harten und soldatischen Männlichkeitsideals sowie einen Ehrbegriff, der Männer dazu zwang sich zu duellieren, wenn sie ihre gesellschaftliche Stellung nicht einbüßen wollten, zurückdrängte, ist durchaus plausibel. Leider behauptet der Autor sie aber nur, ohne sie hinreichend beweisen zu können. Die gesellschaftlichen Entwicklungen während des Weltkrieges und danach in der Weimarer Republik waren an sich starke Umbrüche, die es veralteten Geschlechterrollen und Ehrvorstellungen ziemlich schwer machten zu überleben. Ob der Skandal im Jagdschloss Grunewald hierbei eine entscheidende Rolle spielte, müsste daher vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Entwicklungen beleuchtet werden. Der Hinweis auf die öffentliche Debatte und die Reichstagsdebatten, in denen von liberaler und sozialdemokratischer Seite natürlich massiv Kritik an den Zuständen am Hof geübt wurde, reicht hier noch nicht aus.

So bleibt eine unerfreuliche Lücke zwischen den erzählerischen und den theoretisch und bewertenden Teilen des Textes. Nicht selten wirkt die an sich interessante These der Erzählung aufgestülpt. Oft, wie in den letzten Textabschnitten zu den Männlichkeitsidealen nach dem ersten Weltkrieg, fragt sich der Leser, wie genau er sich die Brücke zum vorher Geschriebenen vorstellen soll.
Daher hätte es dem Buch besser getan, wenn an der einen oder anderen Stelle etwas weniger mutig behauptet worden wäre, dafür aber im Erzählteil manches ausführlicher behandelt worden wäre. Da sich das Buch auch an ein interessiertes Laienpublikum richtet, wären tiefer gehende Erläuterungen zu ein paar auftretenden Personen beispielsweise dem Verständnis dienlicher gewesen.

Insgesamt ist die Lektüre des Buches aber zu empfehlen. Das Thema ist unterhaltsam und spannend. Nur sollte der Leser das Buch als eine Anregung lesen, die Ereignisse so zu interpretieren, wie der Autor es tut, also als den Anfang weiterer Forschungen, nicht als ihr Ende.

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 1. August 2010 | ISBN: 978-3896788108 | Preis: 19,90 Euro | 167 Seiten | Sprache: Deutsch

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