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 Nachtrag zur S-Bahn

Autoren: Renate von Mangoldt
Verlag: Steidl

Cover
Gesamt ++++-
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
"Trostlos" ist vielleicht das erste Attribut, was dem Betrachter in den Sinn kommt, wenn er die größtenteils verwaisten und verfallenen Westberliner S-Bahnhöfe betrachtet, die Renate von Mangoldt für den Bildband "Nachtrag zur S-Bahn" fotografiert hat. Und doch steckt natürlich mehr in den nostalgischen Fotografien der S-Bahn in den 1970er und 1980er Jahren: Wer den bei Steidl erschienenen Bildband durchblättert, begibt sich auf eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit, zurück in die Zeit des Kalten Krieges, als die DDR das Betriebsrecht für das gesamte Berliner Streckennetz inne hatte. Das bedeutete nichts anderes, als dass auch Westberliner sich quasi auf Ostberliner Terrain begaben, sobald sie in die Züge stiegen. Viele Fahrgäste boykottierten die S-Bahn aus diesem Grund und stiegen auf andere Verkehrsmittel um. Damit waren die Stationen, die Bahnhofsgebäude und Gleisanlagen dem schleichenden Verfall preisgegeben.

"Nachtrag zur S-Bahn" lässt, bis auf ein Vorwort von Uwe Johnson und ein (leider) sehr kurzes Nachwort der Fotografin Renate von Mangoldt, die Bilder völlig für sich sprechen. Lediglich in einer einzigen kurzen Unterzeile sind der Ort und das Jahr der jeweiligen Fotografie festgehalten.

Da alle Fotografien schwarz-weiß gehalten sind, wird der Eindruck eines Zeitzeugnisses noch verstärkt. Die Bilder sind schlicht und still und gleichzeitig ungemein spannend in den kurzen Momentaufnahmen, die sie zeigen. Am meisten springen der allgegenwärtige Verfall, die verwaiste Stimmung der S-Bahnhöfe ins Auge. Hier wuchert Unkraut im Gleisbett, blättert Farbe von den Wänden, verblassen Beschriftungen; beim S-Bahnhof "Botanischer Garten" ist das "G" im Schriftzug irgendwie verloren gegangen; die Uhr am S-Bahnhof Beusselstraße hat keine Zeiger mehr.
Nur äußerst selten sind Menschen zu sehen – wartend, vorbeischlendernd oder sogar nur als Schattensilhouetten eingefangen –; die meisten Aufnahmen zeigen die Bahnhöfe "nackt" und völlig unbelebt, was eine durchaus melancholische Stimmung beim Betrachter erzeugt. Man könnte anhand der Motive fast meinen, Berlin sei in den 1970er und 1980ern vollkommen menschenleer gewesen: Der S-Bahnhof Wedding wirkt feindselig-verrammelt, am S-Bahnhof Jungfernheide sind alle Tische im Freien unbesetzt, im S-Bahnhof Heerstraße sind die meisten Scheiben eingeschlagen. Dass hier in Kürze eine Bahn vorbeifahren könnte, scheint dem Betrachter äußerst unwahrscheinlich.

Fazit: Mit "Nachtrag zur S-Bahn" begibt sich der Berlinkundige, der vielleicht sogar die hier fotografierte Zeit aus erster Hand miterlebt hat, auf eine sehr spannende (Zeit-)Reise quer durch Westberlin, jedoch ohne den Weg über die Schienen zu nehmen; vielmehr springt man von Foto zu Foto und damit von Bahnstation zu Bahnstation. Ob "Spandau-West", "Südende", "Yorckstraße" oder "Sonnenallee": Trotz der Unbelebtheit und Verlebtheit der Szenerien geben die Fotografien sehr viel an Atmosphäre preis, wenn man die Bilder auf sich wirken lässt. Ein gelungener Bildband mit tollen Eindrücken für eine kleine, interessierte Zielgruppe.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 1. Oktober 2010 | ISBN: 978-3869301907 | Preis: 30,00 Euro | 128 Seiten | Sprache: Deutsch

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