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 Fotografische Atmosphären

Rhetorik des Unbestimmten in der zeitgenössischen Kunst

Autoren: Ilka Becker
Verlag: Fink (Wilhelm)

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis
Atmosphäre, Stimmung, Aura – Schlagworte, die immer wieder zur Beschreibung bestimmter Wirkungen von Kunst herangezogen werden, vielleicht gerade weil sie zunächst für die wissenschaftliche präzise Beschreibung ungeeignet scheinen und damit das dem analytischen Verstand entrückte Besondere des Kunsterlebnisses betonen. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind es häufig Artikulationen des Unbestimmten, Rätselhaften, eben: Atmosphärischen, die die Kunstwelt beschäftigen, woran die Verwischung von Grenzen – zwischen Kunst und Pop, zwischen Ausstellungs- und öffentlichem Raum, zwischen den Künsten und Medien – nicht unmaßgeblich Anteil hat.
Eine Kunstform, die ihre Besonderheit von Anfang durch eine besondere Affinität zum Stimmungsvollen betont hat, ist die Fotografie. Sie hat die Kunstwissenschaftlerin Ilka Becker zum Gegenstand ihrer Dissertationsschrift gewählt, die unter dem Titel "Fotografische Atmosphären" 2010 im Fink Verlag erschienen ist.

Der Autorin geht es erklärtermaßen darum, "Atmosphären als Effekte im Zusammenwirken von künstlerisch-ästhetischer Bildproduktion, Rezeption und Diskursen sowie der performativ-rhetorischen Funktion der Begriffe anhand eines systematischen (Fotografie) und zeitlichen (Gegenwart) Schnitts herauszuarbeiten" (S. 15f.). Zu diesem Zwecke ist die Wahl ihres Analysegegenstandes auf einige Fallbeispiele neuerer Fotografie gefallen, bei deren Diskussion gemeinhin das Atmosphärische eine Rolle spielt.
In einem ersten Kapitel widmet sie sich zwei Fotoserien des japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto, bei dessen Aufnahmen von Landschaften bzw. Theater- und Kinoräumen sie ein spezifisches Aufeinandertreffen des Konzepts der Aura nach Walter Benjamin und des Konzepts der Dauer (durée) nach Henri Bergson gegeben sieht. Im zweiten Kapitel untersucht Becker, wie sich das Atmosphärische mit den Milieus in Verbindung bringen lässt, die Larry Clarks Fotografien einer spezifischen Jugendkultur einfangen. Eine völlig andere Herangehensweise kennzeichnet die Arbeiten Thomas Ruffs, um den es im dritten Kapitel geht: Mit seiner Nachbearbeitung im Internet aufgefundener Bilder wirft er im digitalen Zeitalter ganz neue Fragen im Hinblick auf das Atmosphärische als 'Wahrheit' der Fotografie im Gegensatz zur Malerei auf.

Berührungspunkte mit allen bislang von ihr behandelten Künstlern sieht Becker bei Wolfgang Tillman, dessen Fotografien von Künstlerateliers sie in den Mittelpunkt des vierten Kapitels stellt. Abschließend zeigt sie im fünften Kapitel anhand der Fotografien von Zoe Leonard und Carrie Mae Weems auf, auf welche Weise das Porträt an eine bestimmt Vorstellung von der Norm weißer Hautfarbe geknüpft ist. Die fünf Analysekapitel werden jeweils durch einige Abbildungen der besprochenen Fotografien illustriert; außerdem gibt es im Anhang ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Abbildungsverzeichnis.

Ilka Becker löst die nicht gerade einfach zu bewältigende Aufgabe, ausgerechnet dem "Unbestimmten" analytisch habhaft zu werden, auf überzeugende Weise, indem sie sich nämlich gar nicht erst in eine kategorische Festlegung des Atmosphären-Begriffs oder einer Art Merkmalskatalog zu dessen Bestimmung versucht. Stattdessen zeigt sie auf, dass nicht nur äußert vielgestaltig ist, was in der Kunst als 'atmosphärisch' wahrgenommen werden kann, sondern dass diese Wahrnehmung durchaus durch die Rezeption selbst mitproduziert wird: Atmosphäre entsteht im Auge und im Kopf des Betrachters.

Mit ihrem Buch leistet Becker einen Beitrag nicht nur zur Forschung zu den von ihr behandelten Fotokünstlern, es lässt sich auch als Ausgangspunkt für breitere Fragestellungen zu Phänomenen des Atmosphärischen und Stimmungsvollen nehmen, die derzeit in vielen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen diskutiert werden.

Das Inhaltsverzeichnis des Buches kann hier auf der Verlagswebsite heruntergeladen werden.

Silke Hettich



Softcover | Erschienen: 15. September 2010 | ISBN: 978-3770547074 | Preis: 29,90 Euro | 215 Seiten | Sprache: Deutsch

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