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 Grau

Autoren: Jasper Fforde
Übersetzer: Thomas Stegers
Verlag: Eichborn Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Der junge Eddie Russett lebt in einer Welt, in der Farben und Farbwahrnehmung die alles entscheidenden Dinge in jedermanns Leben sind. Eddie ist ein Roter, das heißt, dass er die Farbe Rot ausgezeichnet wahrnehmen kann, andere Farbtöne jedoch kaum oder gar nicht. Sein Traum vom Glück ist es, Constance Oxblood zu heiraten, eine Rote aus einer sehr einflussreichen Familie. Damit wäre Eddie ein gemachter Mann - dass er Constance nicht liebt und sie ihn nicht, spielt dabei nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Doch zunächst werden Eddie und sein Vater für einige Wochen in den kleinen, weit abseits gelegenen Ort Ost-Karmin versetzt; Eddie als Strafe, weil er sich dem Kollektiv gegenüber respektlos benommen hat, und Eddies Vater, weil er als Mustermann - eine Art Arzt - einen ausgefallenen Kollegen vertreten soll. In Ost-Karmin ticken die Uhren völlig anders, als Eddie es gewohnt ist, und er macht haufenweise merkwürdige Bekanntschaften.
Vor allem scheint es in der abgelegenen Provinz ein großes Geheimnis zu geben, denn es geschehen äußerst merkwürdige Dinge. So hat der alte Mustermann offenbar mit einer Überdosis Grün Selbstmord begangen - oder steckt etwas ganz anderes hinter seinem plötzlichen Tod?
Dann lernt Eddie die faszinierende Jane kennen, eine Graue. Graue können überhaupt keine Farben sehen und stehen deshalb ganz unten auf der gesellschaftlichen Skala - und prompt verliebt Eddie sich in Jane, obwohl er weiß, dass ihre Liebe keine Zukunft haben kann. Jane hingegen hasst Eddie und alle anderen, die im Einklang mit dem System leben, voller Inbrunst. Nach und nach kommt Eddies Janes Geheimnis auf die Spur - und damit der unbequemen Wahrheit über Ost-Karmin und einer großen Verschwörung, deren Ausmaß ihn bald zu verschlingen droht ...

Jasper Fforde hat sich mit seinen Romanen um die Literatur-Agentin Thursday Next und die Nursery Crime Division eine riesige Fangemeinde geschaffen. "Grau", sein neustes Werk, schlägt völlig neue Wege ein - und trägt doch unverkennbar die Züge von Ffordes genialem Talent, einzigartige, phantastische Welten zu erschaffen und den Leser mit intelligenten Plots großartig zu unterhalten.
"Grau" weist einerseits deutliche Parallelen zu Dystopien wie "1984" oder "Schöne Neue Welt" auf, ist aber andererseits so frisch, so originell, dass der Leser aus dem Staunen kaum herauskommt. Die Abstufung der menschlichen Gesellschaft gründet hier auf der Fähigkeit, welche und wie viele Farben man wahrnehmen kann: an der Spitze stehen die Purpurnen, ganz unten die Grauen. Geheilt wird durch Farbmuster, die gleichzeitig auch gefürchtete und begehrte Drogen und Handelswaren sind - und die einen gnädigen oder gewaltsamen Tod bringen können, wie im Fall des Mustermannes, den Eddies Vater ersetzen soll.

Zu Beginn fällt die Orientierung in diesem autoritären Regime und seinen teils sehr bizarren Regeln und Umgangsformen recht schwer. Fforde schöpft aus dem Vollen, bringt auf jeder Seite gefühlt zehn neue Ideen ins Spiel, ohne irgendetwas explizit zu erklären, und versetzt seine Leser in eine Umgebung, in der irgendwie alles völlig anders ist und vieles erst mal wirr scheint - und doch vertraut, denn Eddies und Janes Welt ist unsere Welt, nur weit in der Zukunft. Trotzdem ist es eine höchst illiberale Gesellschaft, die sich rasend schnell zurückentwickelt: In regelmäßigen Abständen wird ein "Großer Sprung zurück" angeordnet, in dessen Zuge dann technische Errungenschaften systematisch vernichtet werden und nicht mehr nutzbar sind, selbst wenn diese Anordnung keinerlei Sinn ergibt.
Ffordes Schöpfung ist komplex und unglaublich faszinierend, weil er wirklich an alle Details gedacht hat und unbekümmert eine fast tropische Fauna und Flora, Farbpigmente als Drogen, Löffel als unschätzbares Gut, halb-lebendige Straßen, Tiere mit Strichcodes, eine zum Scheitern verurteilte Liebe, Mord, Intrigen und vieles mehr zusammenmischt. Sobald man vollends in diese ungewöhnliche Geschichte eingetaucht ist, kann man sich dem Sog von "Grau" nicht mehr entziehen.

Fazit: Jasper Fforde ist mit "Grau" nochmal ein ganz großer Sprung nach vorne gelungen - zweifellos sind seine Serien um Thursday Next und die Nursery Crime Division schon genial, "Grau" ist aber noch besser, noch intelligenter und noch besser durchdacht. Ein Roman, der mühelos mit seinen großen klassischen Vorbildern im Stil von "Schöne Neue Welt" mithält und den Leser nicht mehr loslässt, bis zum bedrückenden Finale, das vieles offen lässt. Zwei weitere Romane sollen im Rahmen einer Eddie-Russett-Trilogie noch folgen.

Eine Leseprobe gibt es hier auf der Verlags-Website.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 1. September 2011 | Originaltitel: Shades of Grey | Preis: 19,95 Euro | 496 Seiten | Sprache: Deutsch

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