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 Angst

Autoren: Robert Harris
Übersetzer: Wolfgang Müller
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Alex Hoffman hat alles, was ein erfolgreiches Leben ausmacht: eine attraktive und intelligente Frau, ein beträchtliches Vermögen, eine 60-Millionen-Euro-Villa in der Schweiz und eine Reputation als brillanter Wissenschaftler; allerdings ist er nicht in der Forschung tätig, sondern an der Börse. Der menschenscheue, hochintelligente Eigenbrötler hat ein geniales Programm entwickelt, das menschliches Verhalten in den algorithmischen Aktienhandel einbezieht - konkret menschliche Angst, die ja bekanntermaßen große Auswirkungen auf die Weltmärkte hat. So ist Hoffman gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Hugo Quarry in der Lage, einen unglaublich rentablen Hedgefonds zu verwalten, in den nur die Reichsten der Reichen investieren.
Auf der Erfolgsleiter geht es also steil bergauf - doch dann schleicht sich die Angst, die für Hoffman und Quarry ja eigentlich ein gewinnbringender Faktor ihres Geschäfts ist, auch in Alex' Leben ein, und zwar auf sehr konkrete Art und Weise: Eines Nachts verschafft sich ein Einbrecher Zugang in die Genfer Villa; Hoffman überrascht den schmuddelig wirkenden Mann, als er gerade in der Küche die Messer schärft. Hoffman wird niedergeschlagen, landet im Krankenhaus, wird wieder entlassen - und von da an geht es bergab. Immer mehr mysteriöse Ereignisse passieren und bald weiß Hoffman nicht mehr, wem er trauen kann - oder wird er langsam verrückt? Hat der Schlag auf den Kopf ihn ernster verletzt als gedacht, leidet er gar an Demenz? Und während Alex Hoffmans wohlorganisierte Welt Stück für Stück auseinander bricht, entwickelt der von ihm entwickelte Algorithmus ein bedrohliches Eigenleben ...

"Angst", der neueste Thriller von Robert Harris, kommt wohlkalkuliert genau zur richtigen Zeit, nämlich zur Eurokrise - einer Zeit, in der die Menschen weltweit zunehmend beunruhigt sind, einer Zeit, in der Europa um seine Zukunft als Wirtschaftsverbund kämpft, einer Zeit, in der Bilder von brennenden Gebäuden und gewaltsam protestierenden Massen in Griechenland über die Bildschirme flimmern.
Angst, eine der stärksten Emotionen des Menschen, taucht hier in vielerlei Facetten und Gestalten auf: als machtvoller Faktor, um die Tendenzen an den weltweiten Aktienmärkten vorauszusagen und eine unverschämte Menge Geld zu verdienen, als Furcht um das eigene Leben und den eigenen Verstand, und, am stärksten, als Angst vor abstrakten und (für den Normal-Verbraucher) unbegreiflichen Mächten, die unser Leben entscheidend beeinflussen, ohne dass wir es wollen.

Geschickt beschreibt Harris mit den beiden gegensätzlichen Hauptfiguren Hoffman und Quarry privilegierte (und teils sehr unmoralisch handelnde) Vertreter einer Gesellschaftsschicht, bei der sich alles um Geld dreht und um den Nervenkitzel des Börsenhandels, nicht aber um gesunden Menschenverstand. Die beiden agieren so selbstverliebt (Quarry) wie weltfremd (Hoffman), mit teilweise unfassbaren Auswirkungen auf das Leben aller Menschen, vor allem derer, die überhaupt nichts von jenen Geschäften verstehen, die Tag für Tag an den Börsen weltweit abgeschlossen werden.
Die Idee, die hinter dem Roman steckt, ist clever gewählt und trifft den Zeitgeist, denn tatsächlich haben wohl immer mehr Menschen heutzutage das Gefühl, sie könnten wichtige Bereiche des Lebens nicht mehr mit beeinflussen, während hinter den Kulissen die Mächtigen und Reichen die Strippen ziehen und Milliarden verpulvern.

Harris bringt eine ordentliche Portion Technikangst mit ins Spiel und zeigt in einer Art Horrorvision, wie der Mensch an Bedeutung verliert und schließlich entmachtet wird. Tatsächlich liest sich "Angst", einmal in Schwung gekommen, streckenweise wie ein B-Horrorfilm, etwa wenn sich eine Fahrstuhltür öffnet und ein Mann ins Leere tritt, weil die Kabine gar nicht da ist. Man verzeiht Harris die teils reißerische Art und Weise, weil er einfach verdammt fesselnd schreiben kann und den Leser von den allerersten Szenen an packt. Zwar schwirrt allen, die nichts von Börsen und Aktien verstehen, bald der Kopf vor lauter Fachchinesisch, aber dieser Effekt ist gewollt und verstärkt noch das Misstrauen vor den komplizierten Mechanismen, die bald aus dem Ruder laufen und zum zerstörerischen Selbstläufer werden. Besonders packend ist der Roman, weil die hier beschriebenen Ereignisse im Prinzip innerhalb eines einzigen Tages passieren. Als Aufhänger hat Robert Harris die (realen) Ereignisse des 6. Mai 2010 genommen - an diesem Tag geriet der Aktienmarkt in den USA dermaßen ins Schwanken, dass Beobachter sich keinen Reim drauf machen konnten.

Einen Stern Abzug gibt es dafür, dass der Clou der Geschichte eigentlich ein alter Hut ist, eben nur sehr geschickt auf die heutige Zeit übertragen. Dennoch ein sehr spannender Roman, der ein hochaktuelles Thema psychologisch clever - und mit mancherlei Schockeffekten - aufgreift. Eine aktuelle Variation des Frankenstein-Motivs, die bestens unterhält und den Leser mit einem unguten Gefühl zurücklässt!

Christina Liebeck

Probe


Hardcover | Erschienen: 7. November 2011 | ISBN: 978-3453267046 | Originaltitel: The Fear-Index | Preis: 19,99 Euro | 384 Seiten | Sprache: Deutsch

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