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 Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung

Zu Text und Kontext der "Protokolle der Weisen von Zion"


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"Die Protokolle der Weisen von Zion" sind das sicher bekannteste Dokument antisemitischer Verschwörungstheorien. Seit über einem Jahrhundert haben unzählige Wissenschaftler bewiesen, dass es sich um eine Fälschung handelt, dennoch glauben bis heute weltweit Menschen an den Inhalt dieser Protokolle, an eine Verschwörung der Juden gegen den Rest der Menschheit mit dem Zweck zur Weltherrschaft zu gelangen.

Eva Horns und Michael Hagemeisters Sammelband "Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung" will nicht zum ungezählten Male beweisen, dass es sich bei den Protokollen um eine Fälschung handelt. Vielmehr wird der Zweck verfolgt, anhand des Textes und der Rezeptionsgeschichte den historischen Kontext der Protokolle herauszuarbeiten. Eine literatur- und geschichtswissenschaftliche Analyse soll verstehen helfen, was die Protokolle eigentlich sind, welchen Status sie haben und wie sie überhaupt eine solch immense Wirkung entfalten konnten.

In dem gut 250 Seiten umfassenden Taschenbuch finden sich zwölf Aufsätze von verschiedenen Geisteswissenschaftlern, die unterschiedliche Aspekte der Protokolle analysieren. Eva Horn widmet sich beispielsweise der Textstruktur und kommt zu dem Schluss, dass es gerade die verwirrende Struktur und die vielen Widersprüche des Textes sind, die ihn anschlussfähig an viele Diskurse machen und so seinen Erfolg überhaupt erst ermöglichen. Stephan Gregory zieht eine Linie von den Verschwörungstheorien um 1800 zu den Protokollen, um eine Quelle ihres Inhaltes offenzulegen. Verena Kasper-Marienberg kommt mittels der rhetorischen Textanalyse zu dem Schluss, dass es sich bei den Protokollen um eine Utopie handelt.

Einige Beiträge beschäftigen sich intensiv mit den vielen Entstehungstheorien des Textes und betten diese in die Politikgeschichte ein. So untersucht zum Beispiel Markus Osterrieder die Auswirkung der Protokolle auf die Bündnispolitik der Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg, insbesondere vom Einfluss des Textes auf den Zaren, der ihre Verbreitung zunächst unterstützte, sie dann aber verwarf, als sie als Fälschung entlarvt wurden. Michael Hagemeister geht in zwei Aufsätzen auf die wichtigsten Entstehungstheorien ein und versucht den frühen Diskurs um die Protokolle zu rekonstruieren.

Im Anhang des Buches finden sich ausgewählte Literaturhinweise, ein Autorenverzeichnis sowie ein Personenregister. Außerdem wird durch Bildmaterial und einem kurzen Hinweis auf die Umschlaggestaltung des Bandes eingegangen.

Eva Horns und Michael Hagemeisters Sammelband "Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung" bietet einen neuen und spannenden Ansatz im Umgang mit den "Protokollen der Weisen von Zion". Weniger wird hier das bisher ungelöste Rätsel von der Urheberschaft des Textes in den Mittelpunkt gestellt, sondern das sehr viel interessantere Rätsel seiner eigentlichen Rolle und seines Status im 20. Jahrhundert.

Eine aktuelle Frage um die Protokolle, die von fast allen Autoren angesprochen wird, dreht sich darum, was die Protokolle eigentlich sind. Eine Fälschung oder ein Plagiat? Der Text wurde zu großen Teilen abgeschrieben aus einem französischen Buch von Maurice Joly, einem Totengespräch zwischen Montesquieu und Machiavelli. Dementsprechend spielen auch dieses Buch und seine Geschichte eine nicht unerhebliche Rolle in dem Band. Überhaupt zieht sich die Frage des Plagiats durch das ganze Buch bis hin zu Philipp Theisohns Beitrag zum Urheberrecht und der Rolle des Plagiatsbegriffes im Dritten Reich. Hier wird mit einer neuen Betrachtung auf die Protokolle aufgezeigt, welche neuen Fragestellungen noch auf die Forschung warten.

Viele innovative und bis vor kurzem noch unübliche Forschungsansätze sind in diesem Band versammelt und werden größtenteils in sehr gut lesbaren Aufsätzen wiedergegeben. Alle Aufsätze zusammen ergeben sicher kein komplettes Bild der Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Protokolle - das ist auch nicht das Ziel des Bandes -, aber lassen eine klare Richtung erkennen, wie die Forschung zu einer Einordnung und tragfähigen Interpretation ihrer Wirkung und Entstehung gelangen kann. Der Band ist daher sowohl als Einstieg ins Thema als auch als Anregung für neue Interpretationen sehr geeignet. Einzig der Preis von 29,90 Euro ist für das kleine Büchlein vielleicht etwas hoch gegriffen.

Andreas Schmidt



Taschenbuch, | Erschienen: 1. März 2012 | ISBN: 978-3835304987 | Preis: 29,90 Euro | 254 Seiten | Sprache: Deutsch

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