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 Résonances

Herausgeber: Ute Eskildsen
Illustratoren: Valérie Jouve
Verlag: Steidl

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Der urbane Mensch und seine Umgebung bedingen einander wechselseitig, stehen in einem engen, von Wechselwirkungen geprägten Verhältnis zueinander. Was auf den ersten Blick austauschbar wirken mag, scheinbar gleichförmige Siedlungen und die Menschen, die dort leben, gewinnt einen individuellen Charakter, wenn man genauer hinschaut – man kann und sollte differenzieren.
Valérie Jouve, eine zeitgenössische französische Fotografin, fotografiert bevorzugt komplexe Stadtlandschaften, Produkte der seit Jahrzehnten betriebenen Verdichtung der Metropolen, und die Menschen darin in ihrem Umfeld. Das hier besprochene Buch zeigt eine Auswahl ihrer Fotografien aus verschiedenen Serien, zum Teil auch allein stehende Arbeiten, die aus den 1990er- und den 2000er-Jahren stammen. Mehrere Essays fügen sich harmonisch und informativ in diese Gesamtheit ein.
Eine Kurzbiografie und eine Übersicht über Jouves Bücher und Kataloge sowie ihre Ausstellungen, Sammlungen ihrer Werke und Aufträge schließen das Buch ab.
Sämtliche Texte liegen in englischer Sprache vor.

In Valérie Jouves Werk muss sich der Betrachter einfinden. Es handelt sich nicht um "schöne" Fotos, sondern um meist komplex aufgebaute Bilder mit einer tief gehenden Aussage. Die Komplexität und Vielschichtigkeit der Fotografien erschließt sich häufig erst auf den zweiten Blick, auf den ersten sieht man einfach heruntergekommene Vorstadt-Wohnsilos und ihre Bewohner, im Hintergrund darf man auch einmal etwas Natur erahnen.
Der zweite Blick, optimal ergänzt durch die Informationen aus den Essays – jener von Michel Gaillot, betitelt "The City as Spacing of Existence", sei stellvertretend hervorgehoben -, zeigt, wie geschickt und ungeschminkt die Fotografin Gebäude portraitiert, manchmal von mehreren Seiten, ohne Hässlichkeit an sich dokumentieren zu wollen; es geht ihr darum, den Charakter von Gebäuden zu erfassen, ihr "Flair", selbst wenn der Betrachter sie spontan als abstoßend empfinden möchte; sie als Teil ihrer Umgebung aufzufassen. Viele Bilder haben ein Gebäudedetail zum Motiv.
Besonders spannend wirken natürlich jene Fotos, auf denen Menschen mit eingebunden sind – entweder als eher beigeordnetes Element, etwa als kleine Figur auf einem Balkon, der zu einer riesigen Fassade gehört; oder aber, wie in den Serien "Personages" und "Walkers", vor und in Gebäuden der tristen Vorstädte. Die Menschen sind aktiv, huschen großformatig durchs Bild, schütten sich schier aus vor Lachen, schicken sich an, über ein Geländer zu klettern. Oder sie befinden sich kontemplativ, dem Betrachter zugewandt und doch ohne Blick-kontakt oder von ihm abgewandt, auf Brücken und Balkonen vor einem grauen Betonpanorama.

Wie in einer Ausstellung sind die Fotos in einer wohlüberlegten Reihenfolge angeordnet: Man kann sie einzeln für sich betrachten oder als Teil eines größeren Kontextes. Während die meisten Fotos eine Seite für sich haben, die hochformatigen mit einem inhaltlich passenden Gegenüber und dem Titel unmittelbar neben dem Bild, die querformatigen, das Albumformat nutzend, allein auf einer Doppelseite mit dem Titel vis-à-vis, findet man einige Serien von Bildern auf einzelnen Seiten oder Doppelseiten – solche, denen ein kleineres Format nicht schadet.
Anders als viele Portraitisten unter ihren Kollegen fotografiert Valérie Jouve farbig, was ihrem Sujet enorm entgegenkommt, kann man doch mit einem bunten Detail in einem Bild, das vor allem graue Betonfassaden zeigt, die Aufmerksamkeit des Betrachters enorm bündeln. Manche Bilder zeigen so geringe Farbnuancen, dass gerade die Farbfotografie die Tristesse der Gebäude betont. Natürlich gibt es auch andere Beispiele, etwa die verschatteten Silhouetten vorübereilender Menschen vor knalligen Graffiti.
Jouves Bilder haben, wenn der Betrachter dazu bereit ist, sich länger, vielleicht auch mehrmals mit ihnen auseinanderzusetzen, sich auf sie einzulassen, eine außergewöhnliche Kraft und Aussage, nicht selten eine regelrechte Sogwirkung. Sie wollen jedoch aufmerksam erkundet und ein Stück weit erfühlt werden, bis die Resonanzfrequenz gefunden ist.
Ein Buch, das eine erstaunliche Verbindung zwischen Portrait- und Architekturfotografie herstellt und den Blick des Betrachters und Lesers auf beide Genres ändert und erweitert. Die hochwertige und durchdachte Aufmachung begeistert ebenfalls. Für Freunde der Fotografie, die sich gern intensiv mit hinsichtlich ihrer Motive und ihrer Gestaltung außergewöhnlichen Bildern befassen, die sich von Menschen und ihren Lebenswelten fesseln lassen, sicherlich ein Muss.

Auf der Verlagsseite zum Buch können Sie einige Buchseiten ansehen.

Regina Károlyi



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