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 Brandstifter und Biedermänner

Deutschland 1933-1939


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Am 30.01.1933 übertrug der Reichspräsident Paul von Hindenburg die Reichskanzlerschaft an Adolf Hitler. Binnen kürzester Zeit etablierte dieser in Deutschland eine "Weltanschauungsdiktatur" und leitete einen Radikalisierungsprozess ein, der schlussendlich nicht nur im Zweiten Weltkrieg endete, sondern auch den Holocaust ermöglichte. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung von Führungskräften und Anhängern der Nationalsozialisten, die voll hinter Hitlers Ideologie standen. Sie waren in Anlehnung an den Schriftsteller Max Frisch die "Brandstifter" der NS-Diktatur. Aber auch die diejenigen, welche sich durch den Rückgang der Arbeitslosenzahlen und anderweitigen Verbesserungen blenden ließen, waren ein Teil des Systems. Denn ohne die stillschweigende Duldung dieser "Biedermänner" hätten die Nationalsozialisten Deutschland in so kurzer Zeit nicht derart umgestalten können. Doch selbst wenn "Brandstifter" und "Biedermänner" - so Michael Grüttner, der Autor des vorliegenden Bandes - der "Glaube an den Hitler-Mythos" einte, war diese neue "Volksgemeinschaft" keine homogene Gruppe.

Erfolgreich konnten die Nationalsozialisten aber nur deshalb sein, weil sie in der Lage waren, sehr unterschiedliche Teile der deutschen Gesellschaft den Glauben zu geben, dass der NS-Staat bereit war, sich ihrer Interessen anzunehmen.


Ganz in diesem Sinne unternimmt der an TU Berlin lehrende Autor den Versuch, die unterschiedlichen Akteure dieser "Volksgemeinschaft" differenziert zu betrachten. Dabei geht er sowohl auf die Personen und Strukturen des nationalsozialistischen Herrschaftsapparats ein, welche diesen gewaltsam sicherten, als auch auf die unterschiedliche Haltung innerhalb der deutschen Gesellschaft. Angefangen bei den Eliten über den Mittelstand bis hin zu den Arbeitern. Hinzu kommen geschlechtsspezifische und konfessionelle Unterschiede. Zum anderen blickt Michael Grüttner aber auch auf die einzelnen Entscheidungsfelder wie Wirtschaft, Medien, Kultur und Erziehung, welche mit der "Nazifizierung" massive Veränderungen erfuhren, ohne dass sich dabei ein nennenswerter Widerstand reckte.

Abgerundet wird der Band durch einen Anmerkungsapparat, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister.

Mit diesem Buch blickt Michael Grüttner ins Innere des nationalsozialistischen Staates. Wer waren die treibenden Kräfte, die "Brandstifter", in diesem Staat? Und welche Bevölkerungsgruppen waren lediglich die Mitläufer und Opportunisten, die "Biedermänner", welche sich mit einem Mal einfach den neuen Gegebenheiten anpassten?

Selten ist es einem Autor derart gut gelungen, die unterschiedlichen Haltungen und Interessen einzelner sozialer Gruppen innerhalb des NS-Staates für den Zeitraum zwischen 1933 und 1939 derart überzeugend und markant herauszuarbeiten. Grüttner sucht dabei nicht die einfachen Antworten, sondern weiß um die Unterschiede und erklärt beispielsweise, worauf es zurückzuführen ist, dass innerhalb der Eliten die Militärs und Unternehmer die NS-Herrschaft befürworteten, während Hochschullehrer eine deutliche Skepsis zeigten. Doch selbst innerhalb der zuletzt genannten Gruppe gab es - so Grüttner - Unterschiede. Ähnliche Differenzen lassen sich auch bei den Bauern oder bei anderen Bevölkerungsgruppen beobachten. Grüttners Verdienst ist es hierbei nicht nur, genau diese feinen Unterschiede offenzulegen, sondern auch die Gründe für diese Abweichungen zu benennen.

Immer wieder bezieht der Autor bei seiner Darlegung auch neue Forschungsergebnisse mit ein und räumt so mit falschen Vorstellungen auf. Nicht selten unterfüttert er dazu seine Argumentation mit entsprechendem Datenmaterial wie im Falle der Gestapo, die im Jahre 1937 lediglich über etwa 7000 Mitarbeiter verfügt habe und so keineswegs die deutsche Gesellschaft flächendeckend überwachen konnte.

Trotz der mehr als 500 Textseiten ist das Buch sehr gut lesbar, da Grüttner seine Erkenntnisse stets nachvollziehbar und gut strukturiert darlegt. Hinzu kommt eine klare Kapitelstruktur, die handbuchartige Züge aufweist, was insofern nicht verwunderlich ist, weil das Buch auf dem 2014 erschienenen Band 19 des traditionsreichen "Gebhards", dem wohl bekanntesten Handbuch zur Deutschen Geschichte, basiert. Ergänzt wurden dabei lediglich das Kapitel über den Sport im Dritten Reich sowie einzelne Abbildungen. Hinzu kommen vor allem einige sprachliche Präzisierungen.

FAZIT: Mit diesem außergewöhnlich differenzierten und klugen Buch legt Michael Grüttner nicht nur auf überzeugende Weise offen, wer die Stützen der nationalsozialistischen Bewegung waren, sondern auch, warum die Nationalsozialisten in vielen Teilen der Bevölkerung auf keinen nennenswerten Widerstand stießen. Unzweifelhaft ein Standardwerk für alle, die sich näher mit der inneren Struktur der NS-Gesellschaft beschäftigen wollen.


Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.

Matthias Jakob Schmid



Hardcover | Erschienen: 25. April 2015 | ISBN: 9783608949162 | Preis: 32,95 Euro | 607 Seiten | Sprache: Deutsch

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