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 Kennedys Hirn

Autoren: Henning Mankell
Übersetzer: Wolfgang Butt
Verlag: Zsolnay

Cover
Gesamt ++++-
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Louise Cantor ist Archäologin mit Leib und Seele. Als sie von einer Ausgrabung aus Griechenland nach Schweden zurückkehrt, bricht ihre Welt mit einem Mal in Stücke: Sie findet Henrik, ihren einzigen Sohn, tot im Bett in seiner Wohnung. Mit seinem Tod stirbt auch Louise innerlich. Die Untersuchungen der Polizei ergeben, dass keinerlei Gewalt oder erkennbare Fremdeinwirkung bei Henriks Tod im Spiel war. Doch Louise glaubt nicht daran, sucht nach Hinweisen und Spuren, die das Unfassbare fassbar machen können. Wie die Scherben einer antiken Vase, die es in mühevoller Kleinarbeit zusammenzusetzen gilt, macht Louise sich daran, den Tod ihres Sohnes aufzuklären. Denn dass Henrik sich nicht einfach umgebracht hat, erscheint ihr trotz ihres Schmerzes glasklar - Henrik wurde ermordet.

Im Zuge ihrer mühsamen Recherchen wird ihr klar, wie wenig sie ihren Sohn kannte. Er scheint mehrere, ihr völlig unbekannte Leben geführt zu haben. Geheimnisvolle Tagebücher von verstorbenen Frauen, Aufzeichnungen von fernen Reisen und vor allem rätselhafte Unterlagen über das gestohlene Gehirn des ermordeten Präsidenten Kennedy bringen die Archäologin auf eine ungeheure Fährte. Ihre Nachforschungen, in die sie auch ihren Ex-Mann mit einbezieht, führen sie schließlich nach Afrika. Es wird eine albtraumhafte Reise, die Louises Leben von Grund auf verändert und ihre alten Werte und Vorstellungen in Frage stellt. Sie entdeckt geheime Orte, an denen jede Menschlichkeit fehlt, trifft Menschen, die dunkle Geheimnisse verbergen, und wird schließlich selbst von Verschwörung, Verfolgung und Mord bedroht.

In "Kennedys Hirn" verbindet der schwedische Schriftsteller Henning Mankell seine beiden favorisierten Themen: Mord und menschliche Abgründe auf der einen Seite und Afrika und das dort herrschende Elend auf der anderen. Ein wichtiger Hinweis für Mankell-Fans: Es handelt sich hierbei nicht um einen Wallander-Krimi, obwohl etwa ein Drittel des Romans in Schweden spielt.

Henning Mankell ist ein ungeheuer präziser, kluger Beobachter der Menschen und ihres Wesens. Sachlich, nüchtern, glasklar beschreibt er Louises Suche, ihr Innenleben, ihre Verzweiflung. Ohne sprachlich jemals ins Dramatische oder stark Emotionale abzurutschen, kann Mankell mit seinen Worten unfassbaren Schmerz, unglaubliche Spannung heraufbeschwören. Er nutzt vorwiegend kurze, knappe Sätze ohne jede Verschachtelung. Gerade sein unprätentiöser, stellenweise kühler Schreibstil macht seine Bücher so attraktiv, dass man sie praktisch nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man sie einmal aufgeschlagen hat - spielen sie doch trotz ihrer Fiktivität im wahren Leben, im Hier und Jetzt, und nicht in irgendeinem versponnenen Romanentwurf. Sicherlich trägt auch die ausgezeichnete Übersetzung ins Deutsche ihren Teil zum Erfolg von Mankells Romanen bei.

Optisch reiht sich der im Zsolnay Verlag erschienene Roman nahtlos in die anderen dort erschienenen Romane von Henning Mankell ein: ein gut gewähltes Titelbild, das zwar vage ist und die Handlung nicht unmittelbar wiedergibt, das jedoch symbolhaft die vielen Verwirrungen und die düstere Stimmung des Buches verdeutlicht. Die qualitativ hochwertige Hardcover-Ausgabe rechtfertigt insgesamt den Preis von 24,90 Euro für 400 Seiten durchaus.

Zurück zum Buch: Henning Mankell hat selbst viel Zeit an den Schauplätzen seiner Erzählung in Afrika verbracht und lebt auch heute noch zeitweilig in Mosambik. Im Nachwort deutet er an, dass ihn beim Verfassen von "Kennedys Hirn" auch eine große persönliche Wut angetrieben hat - Wut über die herrschenden Missstände in großen Teilen Afrikas, die Mankell schonungslos und realitätsnah schildert. Es ist anzunehmen, dass viele Teile des Romans den wahren Gegebenheiten entsprechen: die Beschreibungen von Armut, Prostitution und Aids, obgleich die eigentliche Handlung fiktiv ist - aber durchaus nicht undenkbar.

Fazit: ein spannender Thriller über Mord und Geheimnisse, verbotene Medikamentenforschung und Aids, menschliche Abgründe und Verzweiflung. Wie gewohnt nutzt Henning Mankell seine kluge Beobachtungsgabe, seine Menschenkenntnis und seinen sachlichen, prägnanten Erzählstil, um den Leser in seinen Bann zu ziehen. "Kennedys Hirn" ist vielleicht nicht Mankells bester Roman, aber dennoch sehr lesenswert. Das Ende ist ungewohnt offen; Mankell scheint leider in den letzten Kapiteln von Eile getrieben worden zu sein, nachdem der Mittelteil einige Längen enthält - er dreht plötzlich auf, reiht spannende und gefahrvolle Szenen rasch aneinander. Immer neue Bedrohungen treten auf den Plan, ohne dass am Ende jedoch eine befriedigende Auflösung präsentiert wird. Doch vielleicht ist dies nur ein weiterer stilistischer Kunstgriff: Der Leser bleibt am Ende mit einer gewissen Ratlosigkeit und einem Gefühl des Unbehagens zurück, das die Ausweglosigkeit und Thematik des Romans, die selbst keine Lösung bietet, gut einfängt. Für "Mankell-Einsteiger" vielleicht nicht der Roman der Wahl - obwohl das Buch für sich allein steht und Louise Cantor eine vollkommen neue Romanfigur Mankells ist -, für Fans des schwedischen Schriftstellers jedoch ein sehr empfehlenswertes Buch.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 01. Januar 2006 | ISBN: 3552053476 | Originaltitel: Kennedys hjärnä | Preis: 24,90 Euro | 400 Seiten | Sprache: deutsch

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