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 Der Anfang am Ende der Welt

Geschichte einer wahren Liebe

Autoren: Patrick Bauer
Verlag: Rowohlt Tb

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Als der Zweite Weltkrieg endet, ist Helene, die aus dem Schwäbischen stammt, Mitte vierzig und blickt auf zwei gescheiterte Ehen in Hamburg und Berlin zurück, aus denen je ein Sohn hervorging. Den ersten hat sie bei seinem Vater zurückgelassen, ihn aufgegeben - umso mehr klammert sie sich an den jüngeren, Wilhelm.
Dieser entzieht sich als Heranwachsender und junger Mann dem mütterlichen Würgegriff durch immer neue Liebesaffären. In seinem Kielwasser schwimmen gebrochene Herzen. Dann erhält Wilhelm durch seinen Arbeitgeber, Bosch, den Auftrag, auf Trinidad und Tobago Kühlschränke zu verkaufen. Er nimmt an, entflieht so der Mutter, einer nur noch lästigen Verlobung und einer Dauerfreundin und beginnt ein neues Leben in der Karibik, voller erstaunlicher und verstörender Eindrücke.
Da tritt Louise auf die Bühne seines Lebens, ein noch sehr junges, aber energisches und willensstarkes junges Mädchen. Der Deutsche und die "Trini" verlieben sich ineinander und heiraten. Als sein Arbeitgeber Wilhelm nach Stuttgart zurückbeordert, zieht das Ehepaar mit der inzwischen geborenen Tochter nach Deutschland zurück. Dort aber hat sich etliches verändert, und während Wilhelm sich seiner Karriere widmet, kämpft Louise verzweifelt mit so mancher deutschen Eigenart, während noch zwei weitere Kinder hinzukommen. Die Ehe muss sich bewähren, zumal Louise in der linken Öko-Szene eine innere Heimat findet, die Wilhelm nicht teilt.

Patrick Bauer hat seine Erzählung in drei Teile gegliedert - der erste wird aus der Perspektive von Helene erzählt, der zweite aus jener ihres Sohnes Wilhelm, der dritte spiegelt das Erleben von Louise wider. Er verwendet jeweils die dritte Person mit einem etwas distanzierten "Sie" oder "Er", um die Perspektive herzustellen. So lässt sich der Leser nicht unmittelbar auf den jeweiligen Protagonisten ein, kann aber durchaus ein Stück weit an dessen Gefühlsleben teilnehmen; nur bei Helene mit ihrer Bindungsunfähigkeit in Bezug auf Männer beziehungsweise ihrem Klammern am Sohn fällt dies manchmal schwer, da der Leser sie gern bemitleiden würde, wenn sie ihn nur ließe in ihrer Sturheit und Abschottung. Mit Wilhelm, dem einerseits die übermäßige mütterliche Präsenz und andererseits der fehlende Vater zu schaffen machen, ist eine Identifikation eher möglich; hier kommt auch echtes Mitgefühl auf angesichts von Wilhelms rastlosen Fluchten in - für ihn - belanglose Affären und schließlich dem Aufbruch nach Trinidad, der ebenfalls einer Flucht gleicht.
Ganz anders präsentiert sich schließlich Louise, die nicht versteht, dass in Deutschland oder zumindest in Schwaben keine Unterwäsche draußen auf der Wäscheleine hängen darf und dass die Polizei ihre etwas leichtfertige Tochter als Terroristin verdächtigen kann.

Jeder Teil des Buchs hat seinen Charme und seine Schattenseiten, und es ergibt sich in der Gesamtheit ein sehr stimmiges Bild. Bauer pflegt einen unkomplizierten, klaren Stil, der sich gut liest und der die Gedanken, Gefühle und Aktionen der Protagonisten bestens darstellt. Es ergibt sich eine lange Entwicklung von der Geschichte vor Wilhelm, die Helene verantwortet, bis hin zu den ersten Wolken am Ehehimmel, die Louise intuitiv zu vertreiben weiß, zumal Wilhelm ihr dabei behilflich ist, Wilhelm, der zu viele Verluste hinnehmen musste, um auch sie entbehren zu können.
Zwei Kriege, die Weimarer Republik und die Nachkriegszeit samt Wirtschaftswunder gehen an Helene vorbei, während Wilhelm seine Zeit intensiv erlebt und dank Louise Halt im Leben findet. Patrick Bauer hat intensiv recherchiert und schildert die vergangenen Zeiten und die von ihnen bestimmten Orte der Erzählung glaubwürdig und stimmig, ebenso versteht er es, die Charaktere und ihre Verflechtungen authentisch darzustellen und so diese Familiensaga vor dem Auge des Lesers sehr lebendig abzubilden. Es stört wohl die eine oder andere Länge ein wenig; eine Straffung wäre möglich und vermutlich auch sinnvoll gewesen. Insgesamt aber ist das Buch spannend und angenehm zu lesen und enthält eine außergewöhnliche Geschichte.

Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 28. August 2015 | ISBN: 9783499611988 | Preis: 14,99 Euro | 414 Seiten | Sprache: Deutsch

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