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 Paradise Ost

Autoren: Jo McMillan
Übersetzer: Susanne Höbel
Verlag: Ullstein

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Jess lebt mit ihrer Mutter Eleanor, einer Lehrerin, in einer englischen Kleinstadt. Jeden Samstag versuchen die beiden, in der Innenstadt eine kommunistische Zeitung zu verkaufen. Das macht sie in den Augen ihrer Mitbürger und nicht zuletzt des Lehrerkollegiums von Jess' Schule äußerst suspekt. Jeder Samstag bedeutet Ausharren und Kampf.

Als Mutter und Tochter im Rahmen eines Komintern-Austauschs die Ferien in der von der Mutter als Ort des real existierenden Sozialismus verehrten DDR verbringen dürfen, bricht in der kleinen Familie Begeisterung aus. Am liebsten würde Jess sofort in die DDR auswandern. Doch ihre Hingabe an die sozialistische Sache schwindet mit den Jahren, als sie lernt, ihre Welt differenzierter zu betrachten.

Es ist nicht nur die Möglichkeit, ausgewählten DDR-Bürgern in den Sommerferien Englisch beizubringen und den real existierenden Sozialismus hautnah zu erfahren, die die glühende englische Sozialistin Eleanor keine zehn Jahre vor der "Wende" dazu bringt, mit ihrer Tochter Jess alljährlich nach Potsdam zu fahren: Eleanor hat sich in Peter verliebt, der ebenfalls zum Komintern-Austauschprogramm gehört.

Doch, während sie zwischenzeitlich samstags rührend eigensinnig in der Fußgängerzone ihrer englischen Provinzstadt und sehr zum Verdruss des Metzgers, vor dessen Laden sie mit Jess immer steht, versucht, einzelne Exemplare der linken Zeitung "Morning Star" zu verkaufen, setzen Peters Vorgesetzte alles daran, die Beziehung zwischen Peter und ihr zu unterbinden.

Jess, von klein auf entsprechend erzogen, steht zunächst kritiklos an der Seite ihrer Mutter und freut sich auf die DDR-Aufenthalte. Sie begreift allerdings, während sie sich aus der Pubertät löst, dass im sozialistischen Deutschland beileibe nicht alles Gold ist, was glänzt - zu viel Glanz bekommt sie im Übrigen gar nicht zu sehen -, und dass sich ihre Mutter einem Traum verschrieben hat, dessen Scheitern sie nicht einzusehen bereit ist: Nicht einmal, als klar wird, dass Peter nach Laos zwangsversetzt wurde, damit ein weiterer Kontakt unmöglich würde.

War es zunächst Jess, die schon allein aufgrund ihrer Freundschaft mit Peters fast gleichaltriger Tochter Martina unbedingt in die DDR auswandern wollte, so kann diese Eleanor nicht verstehen, die schließlich tatsächlich nach Ostdeutschland zieht. Die einst so innig miteinander verbundenen Frauen sind einander fremd geworden. Jess hat sich ein kräftiges Rückgrat zugelegt, anders als ihre gefallsüchtige Mutter.

Mit einem ordentlichen Schuss englischem Humor würzt Jo McMillan ihre Ausführungen, die allerdings primär von den Schwierigkeiten handeln, im konservativen England der 70er- und 80er-Jahre sozialistisches Gedankengut zu pflegen und möglichst zu verbreiten. McMillan zeigt einige recht absurde Aspekte der Parteiarbeit auf und schenkt dieser doch ein anrührendes Flair. Einblicke in das typische Leben in der DDR, wie der potenzielle Leser sie primär erwarten würde, gibt es jedoch kaum, denn die Sommercamps können kaum als DDR-Alltag angesehen werden, und viel mehr Zugang erhalten Jess und Eleanor nicht, jedenfalls nicht vor Eleanors Immigration, die ganz am Ende steht. Das enttäuscht, wäre es doch gerade ebendieser Alltag, der, aus der Perspektive einer jungen, mit guter Beobachtungsgabe ausgerüsteten Engländerin, überraschende und differenzierte Eindrücke ermöglicht hätte. Stattdessen kann der Leser miterleben, wie sich sozialistische Jugendarbeit in einem westeuropäischen Umfeld gestaltete, in dem kaum jemand Interesse an dieser Ideologie hatte und deren Angehörige mit massiven Anfeindungen und Verächtlichmachung zu kämpfen hatten.

Viel Raum nimmt die unterbundene Liebesgeschichte ein, und so manche Entwicklung der Hauptfigur macht "Paradise Ost" zu einem unterhaltsamen und auch gehaltvollen "Coming of Age"-Roman - aber eben nicht zu einer Erzählung über die DDR.



Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 14. März 2016 | ISBN: 9783550081071 | Originaltitel: Motherland | Preis: 20,00 Euro | 350 Seiten | Sprache: Deutsch

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