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 Theaterspiele

Spontaneität, Improvisation und die Kunst des Geschichtenerzählens


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Keith Johnstone ist der Erfinder des Theatersports, der Guru des Improvisationstheaters. Neben seinem Standardwerk "Improvisation und Theater" gibt es beim Alexander Verlag auch den Band "Theaterspiele". Eine riesige Menge verschiedener Anregungen für Improvisationen sind auf 565 Seiten versammelt.

Theatersport ist eine sportliche Art, in der zwei Improvisationsgruppen aufeinander treffen und von Schiedsrichtern bewertet werden, um Punkte zu sammeln. Wie das formal geregelt wird, beschreibt Johnstone schon in der Einleitung, um dann im zweiten Kapitel zu Feedbackproblemen zu kommen. Hier kommt schon eines der größten Probleme des Improvisationstheaters, das sehr auf das Publikum angewiesen ist. Die Publikumsreaktionen sind nicht einfach zu lenken, sind einerseits von Höflichkeit geprägt, ist andererseits gern dem billigen Gag zugeneigt, der aber den Rest der Improvisation mit großer Wahrscheinlichkeit dahinmeuchelt. Von daher ist dies ein wichtiges Kapitel, auch wenn es etwas verwunderlich anmutet, dass erst das dritte Kapitel "Grundlagen" heißt.

Hier geht es endlich um das wirklich Wichtige, so mag man meinen. Allerdings geht es erst mal wieder um die Formalitäten des Theatersports, es geht ums Mimen - Johnstone spricht nie von Pantomime, sondern nur davon, dass Sachen gemimt werden - und um die Tücken der Bühne, denn die ist klebrig und wird von Anfängern der Improvisation gern mal gar nicht verlassen. Aber das, was man sich unter den Grundlagen vorstellt, steht ja eigentlich in "Improvisation und Theater" und so ist es auch wirklich von Vorteil, wenn man in dieser Reihenfolge liest.

Das vierte Kapitel heißt "Vorschläge aus dem Publikum" - und ist eine vollständige Verdammung derselben. Obwohl sich speziell im amerikanischen Raum diese Art des Improvisationstheaters großer Beliebtheit erfreut, wendet sich der Brite Johnstone, der heute in Kanada lebt, gegen eigentlich alle Vorschläge aus dem Publikum, die einfach zu bald albern und teilweise völlig absurd werden, und dadurch auch unspielbar. So werden die Improvisateure in schlechte Gags getrieben, und der Unterhaltungswert ist eher gering.

Dann geht es mehr um die Ausbildung von Schauspielern zur Improvisation. Im fünften Kapitel geht es um Voreinstellungen und -urteile von Schülern, im sechsten und siebten Kapitel um das Erzählen von Geschichten und um das Zerstören von Geschichten - denn ohne Geschichte ist eine Improvisation ziemlich leer und langweilig, was man auch bei den momentan aktuellen Fernsehimprovisationen sehen kann. Kommt eine Geschichte zustande, ist die "Schillerstraße" von denkwürdiger Unterhaltung, kommt sie nicht zustande, ist sie eine laue Aneinanderreihung von schwachen bis brauchbaren Gags.

Wie man die typischen und häufigsten Fehler der Schauspieler bekämpft, wird vom Kapitel "Korrekturspiele" erklärt. Diese sind oft nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, geben aber Schülern die Möglichkeit, ihre Fehler zu erkennen, und das auf meistens sehr sanfte Art.

Und dann geht es in drei Kapiteln um Spiele für die Bühne. Also im Kapitel "Erzählspiele" um ebendiese, in "Da sein" um Präsenz und in "Füllerspiele", um Improvisationsspiele, die ohne Geschichte auskommen - das, was man häufig im Improvisationstheater sieht und worauf die Sendung "Frei Schnauze!" basiert. Hier gibt es viele Spiele, die sehr unterhaltsam sein können und nebenbei auch oft noch gut für die Ausbildung sind.

Dann kommen Techniken, die sich teilweise auf Johnstones interessante Theorie zum Status beziehen, die aber auch Kurzversionen von Theorien der Schauspielgurus Stanislawski und Laban anbieten. Zum Schluss kommen noch weitere Kapitel zu Technischem, zu weiteren nicht eingeordneten Spielen, zu den Schiedsrichtern - mit Gedanken zum Schluss, die noch einmal vieles zusammenfassen, was Johnstones Prinzipien sind. Zwei Anhänge bringen noch ein bisschen Arbeitsmaterial für die Praxis.

Praxis ist ein sehr wichtiges Wort für dieses Buch, es handelt sich um ein echtes Arbeitsbuch für die Theaterarbeit mit Schauspielschülern, mit Laien und Amateuren. Allerdings sollte man Johnstones erstes Buch "Improvisation und Theater" gelesen haben, um die dort eingeführten Fachbegriffe zu verstehen. Was auf den fast sechshundert Seiten steht, ist wirklich oft brillant, hat viele gute Ideen, kann eine wahre Entdeckung für Schauspieler sein, ist aber auch für Pädagogen sinnvoll, die an Gruppengefühl, am Aufeinanderhören und vielen anderen Sachen arbeiten wollen, die auch fürs ganz normale Leben wichtig sind.

Allerdings lässt die Systematik sehr zu wünschen übrig. Die Kapitel springen in den Ideen, den Spielen und den zu bearbeitenden Problemen hin und her. Das Buch wirkt sehr vollgestopft und manchmal sogar ermüdend. Aber wenn man davon ausgeht, dass man nicht unbedingt dieses Buch durchlesen muss, sondern gern auch mal blättern kann, ist dieses Argument nicht so erschreckend.

Für Schauspieler und alle, die es werden wollen, besonders aber auch für Pädagogen jeder Couleur und natürlich Schauspiel- und Theaterpädagogen muss dieses Buch eine Hilfe sein - und aufgrund der vielen bahnbrechenden Ideen und Erkenntnisse und auch der unterhaltsamen Sprache kann es auch ein echter Genuss sein.

Holger Hennig



Taschenbuch | Erschienen: 01. Juli 2004 | ISBN: 3895810010 | Preis: 24,90 Euro | 565 Seiten | Sprache: Deutsch

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