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 Die Macht um acht

Der Faktor Tagesschau


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Seit 1952 gibt es die Tagesschau, und sie ist nach wie vor die führende deutsche Nachrichtensendung. Ein Großaufgebot an Mitarbeitern sorgt dafür, dass in Deutschland alle relevanten Neuigkeiten zeitnah empfangen werden können – als reine Informationen oder, natürlich gekennzeichnet, kommentiert. Dieses "Flaggschiff" der ARD und damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gilt als seriös und neutral. Die Autoren Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam vertreten in ihrem Buch "Die Macht um acht" jedoch die Ansicht, dass davon keineswegs die Rede sein kann.

In den neun Kapiteln geht es unter verschiedenen Gesichtspunkten um die Berichterstattung der Tagesschau. Von der Geschichte der Sendung über den vermeintlichen Quotenzwang und die Macht der Agenturen spannt sich der Themenbogen hin zum Instrument der Programmbeschwerde, die im entsprechenden Staatsvertrag vorgesehen ist. Anschließend geht es um die Tagesschau-Website und weitere Möglichkeiten zum Einspruch seitens des Zuschauers sowie um die üblichen Reaktionen der Anstalt darauf.

Allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie einen nicht geringen Rundfunkbeitrag bezahlen müssen, halten viele Menschen in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Sender und vor allem eben deren Vorzeigeprodukt, die Tagesschau, für qualitativ hochwertig. Und die Zuschauer erhalten natürlich auch aktuelle Nachrichten, Interviews und Kommentare: durch das Fernsehen und, erweitert, das Online-Angebot.
Wer aber aufmerksam zuschaut und zuhört, bemerkt durchaus, dass von Neutralität bei der Berichterstattung nicht die Rede sein kann. Diese passt sich der Ausrichtung der jeweiligen Regierung an; macht sich ein neugieriger Zeitgenosse an die Lektüre seriöser Medien aus dem Ausland, so stellen sich gar manche Ereignisse völlig anders dar als in der Tagesschau. Die Autoren von "Die Macht um acht" nehmen sich dieses Sachverhaltes an und die Auswahl und Aufbereitung von aktuellen Ereignissen für die Sendung kritisch unter die Lupe. Hierbei dienen vor allem der Regierungswechsel in der Ukraine und der Krieg in der Ostukraine sowie jener in Syrien als Beispiele.

Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse der Autoren dahin gehend, dass die Tagesschau ausgesprochen manipulativ vorgeht: Nachrichten aus den wenigen großen westlichen Agenturen – die von den Autoren ebenfalls und offensichtlich zu Recht gerade in puncto Unabhängigkeit hinterfragt werden – finden sozusagen eins zu eins, ohne eigene Recherche, Eingang in die Sendung. Durch die Wortwahl (in einem Beispiel "regierungstreue Kämpfer" in der Ostukraine statt, wie nachweislich zutreffend, "Nazis") werden unangenehme Tatsachen aufgehübscht, etwa auch die mit den USA verbündeten "gemäßigten Rebellen" in Syrien, die Al-Kaida-Ablegern angehören und eigentlich im Verständnis des Normalbürgers somit militante Islamisten sein müssten. Manche Ereignisse, die welt- oder deutschlandpolitisch durchaus als relevant erachtet werden können, fallen nach Ansicht der Autoren schon mal unter den Tisch. Und in der Tagesschau mengen sich zunehmend Journalistenmeinungen ohne Kennzeichnung als solche in die Nachrichten. Die absolut legalen Programmbeschwerden werden mit nichtssagenden Antworten arrogant abgetan.

Klingt ziemlich nach den sattsam bekannten "Lügenpresse"-Aufschreien, doch in die entsprechende Ecke lassen sich die politisch aus der anderen Richtung stammenden Autoren nun wirklich nicht stellen. Sie können ihre Kritik durch gut zugängliche, sorgfältig ausgewählte Quellen belegen.
Dass am Anfang ein so wilder Beschuss der Tagesschau mit Steinen des Anstoßes erfolgt, fast schon geifernd, dass der Leser kaum zu folgen vermag, irritiert sicher den einen oder anderen. Da ließe sich der Totschlagbegriff "Polemik" platzieren. Bald aber kehrt ein sachlicher Ton ein, nur gelegentlich mit bitterer Ironie gewürzt, und die Autoren gehen ausführlich auf die verschiedenen Themen ein, beziehungsweise verwenden sie eigene Programmbeschwerden, um Beispiele zu dokumentieren.

Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen, zumindest für jene, die sich nicht davor fürchten, vom Glauben (an die Tagesschau) abzufallen. Die meisten Leser dürften nicht in allem mit den Autoren einverstanden sein, erhalten jedoch viele interessante und irritierende bis verstörende Denkanstöße.

Weitere Informationen zum Buch und den Autoren bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 25. Mai 2017 | ISBN: 9783894386337 | Preis: 13,90 Euro | 173 Seiten | Sprache: Deutsch

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