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 Die Suche nach der letzten Zahl


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Im September 1919 trifft der Südpolbezwinger Roald Amundsen in einer Bucht an der großen Halbinsel Tschukotka ein, ganz im hohen Nordosten jenes Staates, der gerade vom Zarenreich Russland zur Sowjetunion geworden ist. Amundsens Schiff ankert vor einer winzigen Siedlung der Tschuktschen, eines arktischen Volkes von Jägern und Rentierzüchtern, das bislang wenig mit der "Zivilisation" in Berührung gekommen ist.

Amundsen und seine Mannschaft möchten an dieser Stelle überwintern. Der norwegische Forscher und Abenteurer plant, sein Schiff vom Packeis einschließen und mit diesem zum Nordpol treiben zu lassen. Er tritt mit den Einheimischen in Kontakt und trifft dort zu seinem Erstaunen einen Schamanen an, der gut Englisch spricht.
Praktisch zeitlich mit den Norwegern kommen Russen in die kleine Siedlung, die dort eine Basis für die "Sowjetisierung" der Tschuktschen und benachbarter arktischer Völker schaffen wollen. Zwischen Russen und Norwegern stehen die paar Bewohner, fasziniert von all den rätselhaften Dingen und Gebräuchen, die von den Neuankömmlingen mitgebracht wurden.
Amundsen jedoch wird in dem Schamanen Kagot einen Seelenverwandten finden.

Eine indigene Kultur soll mit den "Segnungen" europäischer Zivilisation vertraut gemacht werden: Dies plant die Sowjetregierung 1919 in Bezug auf die Tschuktschen, einem seinerzeit wie heute nur etwa zwölftausend Personen umfassenden Volk, und schickt Lehrer und Dolmetscher in das unwirtliche Gebiet im äußersten Nordosten.
Der Schamane Kagot freilich hat mit einem "Mitbringsel" der Europäer oder Nordamerikaner, die zuvor bereits zu Handelszwecken in regem Kontakt mit den Tschuktschen standen, seine Erfahrungen gemacht, hat er doch in seinem Heimatdorf viele Mitbewohner und vor allem seine geliebte Frau an eine sonderbare Krankheit, die Masern, verloren. Mit seiner kleinen Tochter verlässt er die Stätte seines privaten Unglücks und lässt sich in einer gerade einmal drei Behausungen großen, anderen Siedlung nieder.

Kagot ist bereits auf einem amerikanischen Schoner zur See gefahren, sodass ihn weder die Ankunft des russischen Lehrers noch jene des Polarreisenden Amundsen allzu sehr verblüffen kann. Amundsen stellt Kagot als Koch ein, und dieser wird von Mitgliedern der Expedition in Lesen, Schreiben und Mathematik unterrichtet. Von da an ist er besessen von der Aussicht, die größte, die letzte Zahl zu entdecken. Und Amundsen erkennt in dem von seiner neuen Passion Umgetriebenen ein Stück weit sich selbst wieder.

Als Aufhänger dient dem Autor, der als erster Schriftsteller seines Volkes gilt, eine – offensichtlich wahre - Begegnung mit Kagots Enkelin in Dänemark. Daraus entsteht eine fesselnde, Amundsens Originalaufzeichnungen einbeziehende Geschichte, die den mitteleuropäischen Leser tief in eine ihm bis dato fremde Welt eintauchen lässt. (Es sei denn, er hat bereits weitere Bücher von Rytchëu gelesen, die in deutscher Übersetzung ebenfalls im Schweizer Unionsverlag erschienen sind.)

Forschungsreisende aus Norwegen, idealistische Bolschewiki aus Petrograd und zwischen ihnen ein knappes Dutzend Tschuktschen, die zu loyalen Sowjetbürgern erzogen werden sollen und sich darüber wundern, dass in Russland anders als bei ihnen Güter und Essen offensichtlich bislang nicht gerecht unter allen Mitgliedern der Gemeinschaft aufgeteilt wurden – dieses Aufeinandertreffen beschreibt Rytchëu einfühlsam und bisweilen nicht ohne eine gewisse Situationskomik. Natürlich verstehen die Tschuktschen auch Amundsens Motivation zu seiner Reise nicht. Rytchëu, dessen Vater Jäger und dessen Großvater Schamane war, vermag es, sein Volk als respekt- und schutzwürdig in seiner Individualität darzustellen, ohne in verlogener Nostalgie zu schwelgen. Dass er sich der sowjetischen Zensur fügen musste – das Buch erschien in der Sowjetunion im Jahr 1986 -, lässt sich nicht immer übersehen, dennoch gelingt Rytchëu eine sensible und glaubwürdige Darstellung der Begebenheiten im frühen 20. Jahrhundert, und das mittels einer sehr spannenden und berührenden Geschichte.

Ganz klare Empfehlung!

Weitere Informationen zu Buch und Autor werden auf der Verlagsseite angeboten.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 1. August 2018 | ISBN: 9783293200951 | Originaltitel: Magiceskie cisla | Preis: 13,95 Euro | 349 Seiten | Sprache: Deutsch

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