Media-Mania.de

 Weltkrieg. Spaltung. Revolution

Sozialdemokratie 1916–1922


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Das große Unglück der deutschen und europäischen Linken war die Spaltung während des Ersten Weltkrieges, die bis heute spürbar anhält. Sozialdemokratie und Kommunismus gingen getrennte Wege. Der neue Sammelband von Thilo Scholle und Uli Schöler geht abermals der Entstehung des großen Schismas der Linken nach.

Auf fast fünfhundert Seiten in über dreißig Aufsätzen schreiben verschiedene Historiker von unterschiedlichen Aspekten der Spaltung. Dabei geht es etwa um außenpolitische Fragen, um den Einfluss der Gewerkschaften und die Vorstellungen zum politischen System. Die meisten Beiträge haben dabei, und das ist Konzept des Bandes, einen biografischen Ansatz und entwickeln ihre Sichtweisen auf die Spaltung an Hand eines oder mehrerer Akteure der Zeit.

100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges sind diverse Arbeiten zur Geschichte der Linken in Deutschland wie in Europa zu dieser Zeit erschienen. Dennoch ist die Frage der Spaltung und ihrer Ursache weiterhin kontrovers und wird nicht ohne Schuldzuschreibungen geführt. Sie scheint auch angesichts der aktuellen Spaltung innerhalb der Linken aktueller denn je. Der neue Sammelband von Scholle und Schöler will, so im Vorwort formuliert, einen differenzierten Beitrag zu der Debatte leisten, ohne einseitige Schuldzuschreibungen.

Das gelingt sehr gut. Im Vorwort werden sowohl die Positionen als vereinfachend und einseitig zurückgewiesen, die das Agieren der sozialdemokratischen Führung als Verrat an der Arbeiterklasse und der Revolution 1918 anprangern, als auch jene, die den Befürwortern einer durchgreifenden Revolution und späteren Kommunisten demokratiefeindliche Absichten unterstellen. Alle Seiten haben Fehler gemacht, so könnte wohl die Arbeitsthese dieses Bandes lauten.

So zieht sich durch die Beiträge der Autoren ein sachlicher Ton und der Verzicht auf zu eindeutige und einseitige Urteile über die Verantwortung für die Spaltung wie für die Belastungen, die der ersten gesamtdeutschen Demokratie aufgebürdet wurden. Vielmehr geht es den Autoren darum zu zeigen, dass die Konfliktlinien sowieso komplexer verliefen als allgemein angenommen, eben nicht nur zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Je nach Frage kommt es zu erstaunlichen Übereinstimmungen und Unterschiede in den Meinungen damaliger Akteure.

Das bekannteste und einprägendste Beispiel dafür ist, dass die führenden Köpfe der drei großen Strömungen der Vorkriegssozialdemokratie, Bernstein, Kautsky und Luxemburg sich alle drei 1917 in der USPD wiederfanden, geeint in ihrer Ablehnung des Krieges. Die Welt war damals nicht weniger komplex als heute und es ist eine nachträgliche Vereinfachung zu meinen, dass die Positionen von Sozialdemokraten und Kommunisten immer so klar zu trennen waren.

Dies wird umso deutlicher durch den biografischen Ansatz der meisten Beiträge. Der Leser erfährt so die Komplexität, die bereits die Position einzelner Akteure hatten. Manche mögen sich leicht eingeordnet haben in die neuen Strukturen, andere mussten harte Entscheidungen treffen, sahen sie in allen linken Parteien Richtiges und Falsches vertreten.

Ebenfalls positiv hervorzuheben ist die Themenwahl des Bandes. Sicher sind einige Aufsätze zu Altbekanntem geschrieben, etwa wenn es um gewerkschaftliche Positionen geht oder dem Streit um das richtige politische System. Aber, dass etwa der Außen- und Europapolitik ein ganzer Teil gewidmet wird, zeigt, dass es auch heute noch Bereiche der Geschichte der Arbeiterbewegung gibt, die noch nicht ausgeforscht sind und noch neue Aspekte hervorbringen. Insbesondere der eigenständige Diskurs innerhalb der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zur Schaffung einer Europäischen Union ist ein solcher noch relativ unbekannter Aspekt.

Letztlich ist der Band ein Gewinn für den seit 100 Jahren existierenden Diskurs über die Spaltung der deutschen Linken. Er differenziert und hilft zu versachlichen. Der Preis dafür ist die Umschiffung der Frage nach der großen Verantwortung. Denn auch wenn alle Fehler gemacht haben, nicht alle trugen gleichermaßen Verantwortung und waren gleichermaßen wirkmächtig. Angesichts der gespaltenen Gegenwart der Linken, ist es aber wahrscheinlich im Interesse aller, diese Frage weniger heftig zu diskutieren.

Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.

Andreas Schmidt



Taschenbuch | Erschienen: 19. März 2018 | ISBN: 978-3801242602 | Preis: 30,00 Euro | 472 Seiten | Sprache: Deutsch

Bei Amazon kaufen


Ähnliche Titel
August BebelVerratStalinRevolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920Friedrich Engels