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 Die weiße Garde

Autoren: Michail Bulgakow
Übersetzer: Alexander Nitzberg
Verlag: Galiani

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ende 1918 versinkt Kiew im Chaos. Die Deutschen sind abgezogen, die von ihnen gestützte Marionettenregierung unter dem Hetman Skoropadskyj steht unmittelbar vor dem Scheitern, ukrainische Nationalisten und die Bolschwiken kämpfen um die Macht - oder eigentlich jeder mit jedem, denn die Fronten lassen sich in diesem Durcheinander nicht klar definieren.

Inmitten der Ereignisse versuchen die drei Geschwister Turbin, sich zurechtzufinden: der ältere Bruder Alexej, ein Arzt, die Schwester Jelena, deren Mann sich davonmacht, und Nikolka, der Jüngste, mit seinen siebzehn Jahren voller Ideale. Sie werden auseinandergerissen und treffen nach einigen Tagen wieder aufeinander, doch nichts ist mehr, wie es war, am wenigsten sie selbst.

"Die weiße Garde" existiert sowohl in einer Roman- als auch in einer Theaterstück-Fassung. Alexander Nitzberg hat den selten übersetzten Roman neu ins Deutsche übertragen: keine leichte Aufgabe angesichts der Einordnung des Buchs als "Meisterwerk des radikalen Modernismus".
Bulgakow porträtiert sich in dem 28-jährigen Arzt Alexej Turbin selbst, der mit seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder sowie einigen Freunden die Nachwehen des Ersten Weltkriegs und der russischen Revolution im Kiew des ausklingenden Jahres 1918 erlebt. Die zaristische Familie Turbin wird in den Strudel hineingezogen, den die Nationalisten unter dem fast mystischen Symon Petljura, die von den Deutschen – die aber inzwischen abgezogen sind – gestützte Regierung des Hetmans Skoropadskyj und die dräuende bolschewistische Invasion zusammen mit zaristischen Kräften bilden, eine explosive Melange. Zunächst möchten die Brüder für ihre Ideale kämpfen und halten die Schlacht von Borodino (gegen Napoleon) hoch, während ihr Schwager sich abgesetzt hat. Anders als im triumphreichen Jahr 1812 gibt es jedoch keine Einigkeit und keinen klar auszumachenden Gegner, nur die Juden erwischt es wie eigentlich immer. Im Chaos ereilt Alexej beinahe der Tod, und sein junger Bruder Nikolka verdankt sein Überleben nur einem besonnenen Kommandanten, der die ihm unterstehenden Junker zur Flucht nötigt. Letztlich bleibt allen nur die Option, sich zu verstecken und abzuwarten, um zu überleben.
Im Hause Turbin trifft sich die Gruppe wieder, jeder mit seiner eigenen Einordnung des Geschehenen, verstört, desillusioniert und verwirrt.

Bulgakow erzählt die Ereignisse jener paar Tage zum Teil brutal und ungeschminkt, oft auch mit einem Hang zur Satire und bitterer Ironie. Immer wieder dringen surreale, phantastische Elemente in die Handlung ein, mit großer Selbstverständlichkeit platziert und vom Leser alsbald auch als Teil des wunderlich-grotesken Geschehens aufgenommen. Jeder wesentliche Charakter wurde sehr plastisch gezeichnet, und über diese so unterschiedlichen Figuren lernt der Leser die verschiedensten Blickwinkel auf das Geschehen kennen, ohne dass diese eine Wertung erfahren.

Dem Übersetzer ist es offensichtlich gelungen, die mal grobe, mal geradezu lyrische Sprache, die immer wieder verblüffende Stil- und Ausdrucksmittel aufgreift, für den deutschen Leser authentisch und erfahrbar zu machen; mit Sicherheit kein leichtes Unterfangen. Nicht umsonst gibt es einen umfangreichen Anhang mit Anmerkungen zum Text sowie einem Nachwort des Übersetzers, in dem dieser Verständnishilfen anbietet sowohl für den Roman selbst als auch für die Übertragung ins Deutsche, die der Schilderung zufolge mehr einer Nachdichtung gleichkommt. Wer des Russischen nicht mächtig ist, kann allenfalls ahnen, wie viel Arbeit und Wortkunst hinter dieser Übertragung stehen. Als umso interessanter und hilfreicher erweist sich das Nachwort.

Dank der kraftvollen Übersetzung lohnt es sich definitiv, diese übrigens optisch und haptisch sehr gut gestaltete Ausgabe eines der bedeutenden Werke der modernen Weltliteratur zu lesen – ein intensives Abenteuer für den Leser wird garantiert.

Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 4. Oktober 2018 | ISBN: 9783869711591 | Originaltitel: Belaja gvardija | Preis: 30,00 Euro | 544 Seiten | Sprache: Deutsch

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