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 Deine kalten Hände

Autoren: Kang Han
Übersetzer: Kyong-Hae Flügel
Verlag: Aufbau Verlag

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Zufällig lernt eine Schriftstellerin einen Bildhauer persönlich kennen, dessen Werke ihr bereits hier und da begegnet und aufgefallen sind. Möglicherweise wäre diese Begegnung ohne Bedeutung geblieben, doch bald danach verschwindet der Künstler spurlos. Seine Schwester sucht nach ihm und wendet sich an alle Menschen, die je mit ihm zu tun hatten, darunter auch die Autorin. Die Schwester vertraut der Schriftstellerin das von ihr gefundene Tagebuch des Skulpteurs an, und diese findet sich beim Lesen tief in einem verstörenden Leben wieder.

Denn Jang Unhyong war offensichtlich ein sehr einsamer Mann, in der Zeit vor seinem Verschwinden nacheinander und parallel mit zwei höchst unterschiedlichen, jedoch letzten Endes ebenso verlorenen Musen gesegnet, die ihm Körperteile für Gipsabdrücke zur Verfügung gestellt haben – und den gesamten Körper für eine Illusion von Nähe. Die eine gehörte nie wirklich zu ihm, die andere ist offensichtlich zu traumatisiert für eine Bindung.

Als die Ich-Erzählerin das Tagebuch des Bildhauers Jang Unhyong erhält und sie ihn suchen soll, weiß sie so gut wie nichts über ihn. Sie hat einige seiner Skulpturen gesehen: fein ausgearbeitete Gipsabdrücke und -ausgüsse von Händen und diversen anderen Körperteilen, die erstaunlich authentisch und intensiv wirken. Das Tagebuch erzählt allerdings von einem suchenden, an sich und den Menschen um sich leidenden Mann. Er will das Echte, das Wahrhaftige, und meint, es in den Händen mancher Menschen zu finden. Doch die zwei Menschen, denen er am nächsten kommt, verbergen sich lange vor ihm, sie scheinen Masken zu tragen, die in Gips festzuhalten schier unmöglich erscheint. Als er endlich den Wunsch verspürt, ein Gesicht abzubilden, wird daraus eine regelrechte Totenmaske.

"Deine kalten Hände" lässt den Leser immer wieder erschauern. Der Roman vermittelt eine klirrende Kälte in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen, eine Abspaltung der Figuren von sich selbst. Sie existieren, offensichtlich, ohne zu leben. Jang Unhyong, selbst ein von Kindheitstraumata Gezeichneter, sucht nach einem Anker in Form von Wahrem und Echtem. Seine Abbildungen von Körperteilen berühren: Anders als das Gesicht können Hände nicht gut lügen. Doch die persönlichen Kontakte zu seinen Modellen führen lediglich zu flüchtiger erotischer Befriedigung, nicht zu der so sehr ersehnten Nähe – allenfalls zu einer kurzen Illusion davon.

Langsam, von leise ziehendem Schmerz bis hin zu gewaltigen Eruptionen der Gewalt begleitet, entwickelt sich die Geschichte. Die Inhalte wirken gar nicht unrealistisch, lässt die Autorin doch die verstörenden Hintergründe und Erfahrungen ihrer Protagonistinnen recht klar durchscheinen. So handeln die Figuren in ihrer als Schutz aufgebauten Isolation gut nachvollziehbar, gleichzeitig sind sie für den Leser so wenig wie für den ja gleichfalls vorbelasteten Jang Unhyong fassbar; wie Schemen oder beinahe materielose Geister durchstreifen sie das Buch und Unhyongs Leben trotz der Abdrücke, die er von ihnen nimmt. Bis es zum Eklat kommt.
Unschwer lässt sich die Gesellschaftskritik in dem Werk erkennen, gleichzeitig aber skizziert die Autorin ganz individuelle Schicksale mit zahlreichen Facetten. Der Einzelne rudert im Strom des Lebens angestrengt und mit ungewissem Ausgang um sein Leben. Lange klingt die Lektüre nach, lässt sinnieren und grübeln. Kein einfaches Buch. Aber ein gutes.

Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. Februar 2019 | ISBN: 9783351037628 | Preis: 22,00 Euro | 312 Seiten | Sprache: Deutsch

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