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 Sturmflut


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Ende Januar 1953: Ein kleines Tief setzt sich von Grönland in Richtung Westeuropa in Bewegung. Zur gleichen Zeit überredet die neunzehnjährige Armanda ihre zwei Jahre ältere Schwester Lidy, stellvertretend für sie ihr Patenkind in Zeeland zu besuchen und ihr ein Geburtstagsgeschenk zu bringen. Armanda selbst wird in dieser Zeit Lidys zweijährige Tochter Nadja hüten und mit deren Mann Sjoerd auf eine Party im Familienkreis gehen.

Lidy findet Gefallen an der Idee, weil sie sich freut, endlich mal wieder Auto fahren zu können. Doch mit diesem Rollentausch wird sich das Schicksal beider Frauen auf grausame Weise für immer verändern. Lidy fährt der historischen Sturmflut entgegen, die vom 31. Januar zum 1. Februar 1953 den Südwesten der Niederlande bedeckte und 1.835 Menschen das Leben nahm.

Die holländische Schriftstellerin Margriet de Moor verarbeitete dieses Ereignis in ihrem neuen Roman "Sturmflut". Abwechselnd erzählt sie von Lidys letzten Stunden und vom Leben Armandas, die nach dem Tod ihrer Schwester Sjoerd heiratet und auf diese Weise das Leben von Lidy weiterlebt. Dabei bedient sich die Autorin einer bedrückenden Erzählform.

Als allwissender Erzähler, der bereits weiß, was passieren wird, berichtet sie von dieser tragischen Geschichte: "Es war der letzte Tag im Januar. Wenn ihr jemand gesagt hätte, daß sie sich, Nadja fest im Arm, alles noch einmal genau ansehen solle, weil ihr Abschied ein Abschied für immer war, hätte sie im Innersten zwar gewußt, daß so etwas jederzeit möglich ist, im Leben, aber sie hätte es nicht geglaubt. Sie war schließlich erst dreiundzwanzig."

Auf diese Weise erzeugt der Erzähler ein Unbehagen beim Leser, bindet ihn aber sofort als "Mitwisser" in die Geschichte ein und wirkt in seiner Allmacht fast gottgleich - so wie auch die Jahrhundertflut eine Macht besaß, die von keinem Menschen beeinflusst werden konnte.

Während Lidy mit einer Gruppe ihr kaum bekannter Menschen in die todbringende Sturmflut gerät, versucht Armanda das Leben ihrer vermissten Schwester wie ihr eigenes fortzuführen. Hierbei arbeitet die Autorin mit unterschiedlicher Verwendung der Erzählzeit. Das Ende Lidys wird sehr detailliert erzählt, die Jahrzehnte, die Armanda ihre Schwester überlebt, jedoch in großen Zeitsprüngen. Sie heiratet Sjoerd, wird für Nadja zur Ersatzmutter, setzt selbst zwei Kinder in die Welt und lässt sich nach ein paar Jahren wieder von ihrem Mann scheiden.

Diese Zeitwahl hat einen besonderen Reiz, weil der Figur Lidy die angemessene Zeit zugestanden wird, die sie in ihrem kurzem Leben nicht hatte. Allerdings hat dieser erzähltechnische Kniff auch einen Nachteil. Armandas Gefühle - die Trauer über den Tod ihrer Schwester, die Schuldgefühle wegen des vorgeschlagenen Rollentausches, die Schwierigkeit, nicht ihr eigenes Leben, sondern das ihrer toten Schwester weiter zu führen - werden zwar angesprochen, kommen aber zu kurz. Hier wird der Spannungsbogen nicht gehalten und die Neugier des Lesers nicht befriedigt. Nur im letzten Teil des Buches, dem Responsorium, in dem die mittlerweile senile Armanda Zwiegespräche mit Lidy führt, kommen einige verdrängte Probleme zur Sprache.

Etwas befremdlich wirken die Überschriften einiger Kapitel, wie zum Beispiel "Dann fahr doch du" oder "Meine Frau versteht mich nicht", die eher an ein Lifestyle-Magazin erinnern als an einen Roman mit solch ernstem Inhalt. Dies kann jedoch auch an einer missglückten Übersetzung aus dem Holländischen ins Deutsche liegen.

Insgesamt ist "Sturmflut" ein Roman, dessen Inhalt Spannung und die interessante Auseinandersetzung mit Problemen verspricht. Zu Beginn des Buches gelingt der Autorin dieser Anspruch auch, aber leider hält sie dieses Niveau nicht bis zum Ende durch.

Nikola Poitzmann



Hardcover | Erschienen: 01. Februar 2006 | ISBN: 3446207139 | Originaltitel: De verdronkene | Preis: 21,50 Euro | 352 Seiten | Sprache: Deutsch

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