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 Der englische Patient

Autoren: Michael Ondaatje
Sprecher: Ulrich Matthes
Verlag: Roof Music

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Die Sonne scheint durch die zerstörten Fenster der toskanischen Villa. In der gleißenden Sonne rührt sich nichts, Hana sitzt ruhig bei ihrem Patienten und liest ihm vor. Stundenlang lauscht der verbrannte und dem Tod geweihte Mann ihrer Stimme. Stundenlang lauscht die Krankenschwester den Schilderungen des Patienten. Der Mann erinnert sich anfangs an nichts und muss erst mühsam sein vergangenes Leben wiedererlangen. Der Krieg ist vorüber, die Deutschen sind abgezogen und die Landschaft liegt wieder verlassen da.
Zu den Zurückgelassenen gesellt sich Caravaggio, ein Mann, den nur der Name der Krankenschwester aus seiner Lethargie reißt. Er bricht sein Schweigen und fragt, wo die Frau ihren Patienten betreut. Kurz darauf erscheint er in der Villa. Er kennt Hana noch aus glücklicheren Tagen, war ein Freund ihres Vaters und bewunderte damals schon das kleine, selbstbewusste Mädchen. Doch nicht nur er, auch Hana ist innerlich zerstört. Der Krieg hat sie innerlich, ihren Patienten äußerlich verbrannt. Auch Caravaggio ist grau geworden. Die Deutschen folterten ihn, schnitten ihm die Daumen ab und ließen ihn laufen.
Vierter und letzter Gast in der Villa ist der Sikh Kip, ein Bombenentschärfer. Überall haben die Deutschen ihre Bomben hinterlassen, als sie abzogen. Die vier Menschen sind einsam, haben niemanden mehr, und erst die Ruhe und Melancholie der Villa lassen sie ein wenig zur Ruhe kommen. Ihre Lebensgeschichten, ihre Ängste und vielleicht auch ihre Hoffnungen kommen zögerlich, fast ohne es zu wollen, ans Tageslicht. Ihre Lebensgeschichte verläuft einige Wochen parallel, nicht gemeinsam, und sie verlieren sich wieder in eine unbestimmte, einsame Zukunft.

Mit ruhiger Stimme erzählt Ulrich Matthes die Geschichte von vier Menschen. Der Roman von Michael Ondaatje, ein äußerst komplexes Meisterwerk voller Versatzstücke, Rückblenden, Monologe, Erinnerungen, philosophischen Gesprächen und ruhigen Betrachtungen verschiedenster Sujets, wird - allerdings stark gekürzt - zu einer Studie der Zerstörung. Der Krieg hat nicht nur die Landschaft vernarbt, die Villa zerstört, sondern auch die Menschen, die in ihr Zuflucht gesucht haben. Ihre Wunden werden in leisen, fast unmerklichen Einblicken offenbart und ohne Voyeurismus und Sensationsgier, ohne Effekthascherei oder vordergründige Freud’sche Analyse ausgebreitet.
Es entsteht ein Mosaik von Erinnerungen, Gedanken und Betrachtungen, das nur das Ziel hat, die Menschen und ihr Leid in und nach einem Krieg darzulegen. Das Leid des Menschen durch den Menschen. Die Sinnlosigkeit dieses Leidens, betrifft es doch alle Menschen. Sieger und Besiegte, Gewinner und Verlierer gibt es nicht, sondern nur Betroffene und Zerstörte.
Ondaatje gelingt das Kunststück, dies sichtbar zu machen. Die leise Melancholie des Textes wird wundervoll von Matthes in das Medium Hörbuch transportiert. Ja, der Zuhörer gewinnt den Eindruck, dass dieses Buch erst durch den ruhigen, emotional tief beeindruckenden Berichtcharakter, den Matthes Stimmmodulation hervorruft, seine volle Entfaltung erfährt.
Ist das Buch oft zu geschwätzig, sind viele Monologe irreleitend und führen fort vom Grundgedanken des Buches, erreicht der dramaturgisch wohlüberlegte Aufbau dieses Hörbuches mit seiner Straffung der Erzählung, seiner Betonung auf den Gedanken der vier Protagonisten und seiner Fokussierung auf ihren inneren Wunden beinahe Perfektion.
Vor allem im Vergleich zum Film, der sich auf die allzu plakativ ausgestaltete Liebesgeschichte des "englischen Patienten" mit einer verheirateten Frau und deren Schicksal konzentriert, beweist dieses Hörbuch seine Qualitäten. Es reißt mit, bewegt den Zuhörer zutiefst, vermeidet aber in Kitsch und reine emotionale Betroffenheit abzugleiten.

Fazit: Dieses Hörbuch ist in meinen Augen ein Meisterwerk. Es ist dem Film in seiner literarischen Wertigkeit meilenweit überlegen, übertrifft sogar das Buch, weil es dessen Geschwätzigkeit und einige langatmige Passagen auslässt und sich auf das Wesentliche der Geschichte konzentriert. Negativ anzumerken ist einzig die bereits dem Buch zugrunde liegende Beliebigkeit der ausgewählten Figuren. Weder dem Buch noch dem Hörspiel gelingt es, diese vier Personen und ihre Lebensgeschichten als notwendige Auswahl begreiflich zu machen. Die Beliebigkeit, zweifellos Kunstgriff des Autors, um die grundsätzlich zerstörerische Wirkung des Krieges begreiflich zu machen, lässt die Figuren seltsam isoliert im Raum stehen und verhindert eine Identifikation mit ihnen. Der Grundgedanke das Autors ist also zugleich Haupthindernis, sich vollends in das Geschehen und die vier Charaktere einzufühlen. Der Abstand, den diese vier Menschen zwischen sich aufbauen und niemals ganz aufzugeben bereit sind, scheint auch zwischen ihnen und dem Zuhörer zu bestehen. Aber auch das trägt zur Melancholie, dieses Hörbuchs bei. Das zugrundeliegende Buch von Ondaatje ist eben kein Unterhaltungsroman - auch wenn der Film diesen Eindruck erwecken könnte - sondern er ist ein komplexes Kunstwerk, teils sperrig, teils unverständlich, immer aber tief bewegend.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. Februar 2006 | ISBN: 3938781114 | Laufzeit: 270 Minuten | Originaltitel: The english patient | Preis: 19,95 Euro

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