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 Auschwitz


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Beide haben sie ihr Leben lang geschwiegen. Nun stehen sie nach dem Krieg in Jugoslawien, ihrer neuen "Heimat", wieder vor dem Nichts. Da bricht er das Schweigen.
Sie werden nach Auschwitz gebracht. Noch bevor die verunsicherten Menschen im Lager aufgenommen werden, tötet einer der deutschen Soldaten einen der Juden aus nichtigem Anlass. Ein Häftling des Sonderkommandos nimmt sich des Mannes an und hilft ihm, zu überleben. Inmitten des Wahnsinns und der organisierten Vernichtung eine Nische zu finden, in der er vielleicht überleben kann. Doch der Mann sorgt sich um seine Frau und seine Tochter. Er ist völlig verzweifelt und versucht, sie wieder zu sehen. In einem der Krematorien - er ist als Kommando eingeteilt, dass die Leichen so schnell wie möglich aus den Gaskammern in Gruben schaffen soll, wo sie verscharrt oder verbrannt werden - findet er seine Tochter. Sie lebt noch und er versucht sie zu retten. Doch der deutsche Soldat, der Herr über Leben und Tod zu sein scheint, nimmt ihm alle Hoffnung.
Nachdem er zum ersten Mal in seinem "Leben nach dem Tod" seiner Frau berichtet hat, was er im Lager erlebte, bricht auch sie ihr Schweigen
Ihre Tochter hat den Tag der Gaskammer überlebt. Der Soldat hat sie nicht erschossen, sondern zu den Frauen gebracht. Sie hat den Lageralltag mitgemacht und bis zum Tag der Befreiung überlebt. Wenn man dieses Grauen dort als Überleben bezeichnen darf. Und doch ist sie gestorben. Und zum ersten Mal erfährt er, wie seine Tochter starb. Ihr beider Schweigen ist gebrochen. Sie leben.

Pascal Croci versucht in diesem "Comic" das Unmögliche. In einer zwangsläufig ästhetisierenden Form einer Bildergeschichte versucht er Auschwitz erfahrbar zu machen. Nicht begreifbar, nicht erklärbar, sondern nur erfahrbar. Er verwendet Grautöne und exakte Hintergrundzeichnungen, die oft wie losgelöst aus ihrem Rahmen wirken und "belebt sie mit Menschen, denen die Verzweiflung ein Antlitz des Todes, des Grauens verliehen hat".
Seine Zeichnungen vermitteln eine Stille und Schönheit, die einzigartig ist. Schönheit im Sinne von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, Einzigartigkeit im Sinne seines Versuchs, das Geschehen in Bildern einzufangen. Hinzu fügt er einen Text, der äußerst sparsam, fast wortlos, beschreibt und erläutert.
Auffallend ist die Distanziertheit, die Text und Bild emotional erzielen. Croci gelingt es, trotz aller Schrecken und notwendiger Beschreibungen - von den Vorgängen in der Gaskammer bis zum anschließenden "Vernichten" der Leichen - den dokumentarischen Charakter so deutlich hervorzuheben, den künstlerischen und dramatisierenden Ansatz eines "Comics" so deutlich in den Hintergrund treten zu lassen, dass sich "Auschwitz" liest wie ein Roman. Die Augen verweilen minutenlang auf Gesichtern, Szenerien, Textstellen, Einzelheiten, die Gedanken geraten in Bewegung, stellen sich vor, was nicht sichtbar ist, Schaudern erfüllt den Betrachter und Bilder entstehen im Kopf, die Croci nicht gezeichnet hat, die aber zwischen den Zeilen zwangsläufig entstehen.
Dieser Versuch einer grafischen Darstellung des Holocaust, einer zeichnerischen Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit, mit der immerwährenden Wunde in der Geschichte des jüdischen Volkes, ist gelungen. Jedem Menschen, der sich mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat oder noch auseinandersetzen will - hier denke ich vor allem an Schulen und ihren Geschichtsunterricht - sei dieses Werk von Croci ans Herz gelegt. Es vermittelt oft sehr viel stärker als es ein Roman kann ein Gefühl für die Wahrheit, eine Ahnung der Schrecken der Vernichtungslager.
Jedem Holocaust-Leugner sollten diese Bilder vor Augen stehen, wenn er in seiner Verbohrtheit und seinem geistigen Wahn, den modernen Brandstiftern folgen will, die alles und jeden zu instrumentalisieren trachten, um sich selbst und ihre Ideologie unbeschadet durch die Vergangenheit zu erhalten - und dabei über Leichen, sechs Millionen Leichen, gehen.
Dank einem Glossar und erläuternden Informationen kann auch der ahnungsloseste Betrachter das Gesehene einordnen - werten kann man dieses Grauen nicht.

Fazit: Grandios - und schrecklich. Dieser Band von Pascal Croci erschüttert und lässt niemanden unbewegt. Er ist uneingeschränkt jedem Menschen zu empfehlen, der sich informieren will. Ich danke dem Künstler Croci für seinen ganz eigenen Versuch, diese Vergangenheit ans Licht zu holen.

Stefan Erlemann



Softcover | Erschienen: 01. Mai 2005 | ISBN: 3770429486 | Preis: 16 Euro | 70 Seiten | Sprache: Deutsch

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