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 Die Souveränität der Kunst

Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida


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Christoph Menke ist Professor für Ethik und Ästhetik an der Universität Potsdam. Sein 1991 broschiert erschienenes Buch scheint der Ästhetik zuzugehören. Es gliedert sich in zwei Teile, die einen Dialog zweier großer Philosophen der Neuzeit versuchen: Theodor W. Adorno und Jacques Derrida.
Das Problem der ästhetischen Erfahrung sei, so Menke, durch zwei unterschiedliche Traditionslinien bestimmt. Die erste sieht die ästhetische Erfahrung als einen "Moment neben anderen Erfahrungsweisen", die zweite spricht ihr ein die "Vernunft [...] überschreitendes Potential" zu. Diese beiden Traditionen weisen auf unterschiedliche Zentren hin, die der ästhetischen Erfahrung eingeräumt werden: der ersten die Autonomie, der zweiten die Souveränität. Was, so fragt Menke, können uns Adorno und Derrida zu diesem Problem sagen?
Dies beantwortet Menke zunächst durch eine minutiöse Lektüre zunächst aus der Perspektive von Adorno. Kern dieser Auseinandersetzung mit und durch Adorno bilden Begriffkreise der Mimesis und des Verstehens. "Das mimetische Nachvollziehen ästhetischer Prozessualität", kommentiert Menke, "ist nicht das andere zum Verstehen, sondern das andere am Verstehen." Und am Ende des ersten Teils fasst Menke zusammen, dass die ästhetische Verdoppelung des Materials in der ästhetischen Erfahrung erst in der Lage ist, die Bedeutung der Zeichen so freizusetzen, dass diese nicht zur puren Dinglichkeit werden.
Im zweiten Teil wendet Menke sich stärker Derrida zu. Derrida geht, nach Menke, davon aus, dass die souveräne ästhetische Erfahrung ihren Geltungsbereich sprengt und in nicht-ästhetische Diskurse übergreift. Allerdings wird im Weiteren deutlich, dass Derridas Position sich genau deshalb in eine fehlende Begründbarkeit verstrickt. Derridas Deutungen führen zu einer Fragestellung, so der Autor weiter, die dieser nicht beantwortet. Adorno dagegen führt mit den um den Begriff der Krise versammelten Argumentationen vor, dass die nicht-ästhetischen Diskurse von außen mit Problemen konfrontiert werden, auf die sie mit "(hybriden) Postulat[en]" reagieren müssen. Die Vernunft "zerfällt" also zunächst durch den Zusammenprall mit der ästhetischen Erfahrung. Dies führt wiederum Adorno in Begründungsprobleme, doch zeigt Menke, dass sich von dessen Position aus ein Programm formulieren lässt, das eine Lösung verspricht: "Nur als Folge der ästhetischen Erfahrung für das immanente Selbstverständnis der nicht-ästhetischen Diskurse kann somit das Konzept einer negativen Dialektik der Vernunft - zwischen unendlichen Ansprüchen und endlichen Leistungen - begründet werden." Die Souveränität, die der Autor dabei der ästhetischen Erfahrung zuspricht, liegt nicht mehr darin, dass sie das andere am Verstehen ist, sondern dass sie das krisenhaft Unterbrechende zum Verstehen ist. "Schönes und Wahres", so steht im Schlusssatz, stehen nicht "in einem Verhältnis des Zusammenspiels", "sondern in dem einer unlösbar krisenhaften Spannung".

Insgesamt problematisch setzt sich Menke mit Derrida auseinander. Viele der Begriffe, die Derrida zitiert, sind Begriffe, die er zunächst von anderen Autoren übernimmt. Derrida postuliert nicht, wie Menke dies mehrfach sagt, eine "Knechtung der Kunst", sondern nimmt dies als Zwischenhalt, um bei seinen Arbeiten über Platon (La pharmacie de Platon), Jabès (La question du livre) oder Bataille (De l’économie restreinte à l’économie générale) aufzuzeigen, dass sich der Logos und die Vernunft unlösbare Probleme einhandeln, wenn sie zum Beispiel das Spiel der Vernunft unterordnen. Und im Falle Platons schreibt Derrida, dass dadurch, dass der Vernunft die mimetischen Künste, das Spiel, die Grammatik und so weiter einverleibt werden, diese die gute Ordnung von innen her bedrohen. Man könnte also sagen, dass die Vernunft gerade dadurch, dass sie die Kunst zu verknechten sucht, nicht mehr vernünftig sein kann. Deshalb betrügt sie auch nicht die Kunst um ihre Souveränität, dies schreibt Menke, sondern vor allem sich selbst.
Menkes Lektüre erscheint also bei Derrida so verzerrt wie unpräzise.

Grundsätzlich bleibt dieses Buch für einen Einsteiger schwere Kost. Zwar ist die Argumentation meist präzise und hochstrukturiert, aber sie verlässt sich auf grundlegende Kenntnisse der philosophischen Ästhetik. Bringt man diese mit, bereitet das Buch allerdings großes Vergnügen. Durch den geschickten Wechsel zwischen den Positionen Adornos und Derridas und deren kontrastierendem Vergleich führt Menke durch eine philosophische Problematik, die leicht hätte trocken werden können. Doch die gute Dramatisierung, das Spiel der Perspektiven und die übersichtlich gehaltenen Sätze machen dieses Buch, bedingt natürlich je nach den Vorkenntnissen, die man mitbringt, zu einer sogar spannenden Lektüre.

Menke jedenfalls erweist sich mit diesem Buch als einer der wichtigsten Denker und Kenner der philosophischen Ästhetik, auch wenn seine Lektüre von Derrida ungerechtfertigt ist.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 1991 | ISBN: 3518285580 | Preis: 12,50 Euro | 310 Seiten | Sprache: Deutsch

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