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 Die gordische Schleife


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Georg Polger ist 38 Jahre alt und pleite. Vor zwei Jahren hat er Karlsruhe, seine geschiedene Frau, eine Anwaltskanzlei und sein Leben in Deutschland hinter sich gelassen, um in Frankreich glücklich zu werden. Doch als freier Übersetzer verdient man zu wenig, seine Partnerin Hannah hat ihn vor Monaten Richtung Deutschland verlassen und das hübsche kleine Haus in Quequignon wird langsam zu teuer. Und zu allem Überfluss hat Mermosse, das Büro für das er meistens arbeitet, keine neuen Aufträge für ihn hat.
Da erhält er einen Anruf. Er erhält einen sehr gut bezahlten Übersetzungsauftrag und fährt noch am selben Wochenende mit der Sekretärin seines Auftraggebers auf eine Tagung nach Lyon. Francoise, eine hübsche junge Frau, wird seine Geliebte und nur eine Woche später ist er plötzlich Chef von Mermosse. Dessen Chef ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und alle scheinen nur auf Georg gewartet zu haben.
Er hat mit einem Mal sehr viel zu tun, bekommt militärische Geheimaufträge, die er persönlich zu übersetzen hat, und zum ersten Mal in seinem Leben liebt er eine Frau so sehr, dass er glücklich ist.
Der Traum zerplatzt eines Nachts, als er aufwacht, in sein Arbeitszimmer geht und dort seine geliebte Francoise dabei erwischt, wie sie die Konstruktionspläne, die er zur Übersetzung erhalten hat, mit einer kleinen Kamera fotografiert.

1989 wurde "Die gordische Schleife" von Bernhard Schlink mit dem angesehenen "Friedrich Glauser-Preis" ausgezeichnet. So renommierte Kriminalschriftsteller wie Jörg Fauser, Ingrid Noll und Leonie Swann ("Glennkill") wurden mit diesem bekanntesten Preis für Kriminalromane geehrt. Im Juli 2006 wurde dieses Buch als Sonderausgabe (für äußerst günstige 14,95 Euro) von "Hörbuch Hamburg" auf sechs CDs mit Heikko Deutschmann als Sprecher vertont.

Die 442 Minuten lange Hörbuch-Fassung erweist sich als Überraschung. Zunächst scheint es sich um eine kitschige Liebesgeschichte zu handeln. Mit wachsendem Erstaunen hört man diese lockere Geschichte, fragt sich, ob man einen Unterhaltungsroman gekauft hat und runzelt schon die Stirn über allzu viel seichte, wenn auch eloquent zu Papier gebrachte (und vertonte) Schwärmerei. Da setzt mit der zweiten CD der Schock ein: Alles war nur schöner Schein, in Wahrheit ist dies ein handfester Geheimdienstroman. Dank Heikko Deutschmann gelingt dieser Bruch perfekt, er vermag sowohl die romantische Seite von Georg, die verletzliche, sinnsuchende Seite, als auch die aktive, verzweifelte und panische Facette dieses "Aussteigers" zu vermitteln.
Doch wiederum wird der Hörer an der Nase herumgeführt. Aus dem Agententhriller wird urplötzlich eine Sinnsuche. Der Protagonist reist in die USA und ergeht sich in philosophischen Betrachtungen über Aktion und Reaktion, Vertrauen und Vertrauensverlust, Selbstmitleid und Abstumpfung. Dem Autor gelingt es, trotz der seltsamen Geschichte, die weder Krimi noch Liebesgeschichte noch Agententhriller zu sein scheint, die Balance zu halten. Die eigentliche Qualität der Geschichte liegt darin, dass es dem Hörer nicht gelingt, die Ereignisse auch nur der nächsten zwei Minuten vorherzusehen. Dies ironisiert der Autor zusätzlich geschickt, indem er seinen "Helden" die Ereignisse immer wieder fortspinnen lässt und die Unmöglichkeit einer Vorhersage der Wirklichkeit damit bloßlegt. Trotz der Ungereimtheiten der Geschichte, der allzu unwahrscheinlichen Ereignisse, des seltsam verwinkelten und verworrenen Plots, gelingt es Schlink mit diesem klugen Schachzug, eine Realität zu vermitteln, die ihresgleichen sucht. Immer stärker hat der Hörer das Gefühl, einem Tatsachenbericht zu lauschen.

Fazit: Mit traumwandlerischer Sicherheit vermag Bernhard Schlink den Hörer zu fesseln. Seine Geschichte vermischt Liebesroman mit Krimi, Dokumentation mit Agententhriller und Kitsch mit Philosophie. Trotz eines ruhigen Aufbaus und einer gemächlichen Entwicklung der Handlung kommt keine Langeweile auf. Der Hörer will einfach wissen, wie sich diese seltsamen Ereignisse erklären lassen. Und reibt sich, ob des fulminanten und packenden Endes, verwundert die Augen. Dank Heikko Deutschmann wächst einem Georg Polger ans Herz, hängt man verzweifelt an seinen Lippen und betet fast, dass er seine Francoise wieder in die Arme nehmen wird - auch wenn es nicht danach ausseiht und man sich innerlich auf ein trauriges Ende vorbereitet. Diese 442 Minuten vergehen wie im Flug und sind den "Sonderpreis" allemal wert. Auch wenn es eigentlich kein Kriminalstück ist, was und Bernhard Schlink da serviert hat.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 6 | Erschienen: 01. Juli 2006 | ISBN: 3899037235 | Laufzeit: 442 Minuten | Preis: 14,95 Euro

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