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 Roland Barthes

Eine intellektuelle Biographie


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Das schon etwas ältere Werk von Ottmar Ette bietet bisher die ehrgeizigste deutsche Einführung in das Denken des französischen Intellektuellen Roland Barthes. Intellektuellen? Man muss dies so lesen, denn Ette lässt Barthes nicht als Spezialisten, aber auch nicht als Universalgelehrten zu Wort kommen, sondern als jemanden, der beständig seine Positionen verschiebt und deshalb stets einer neuen "Fakultät" angehört: Er ist Kulturkritiker genauso wie Zeichentheoretiker, scharfer Analytiker wie hinreißender Polemiker. Barthes selber hätte sich, so vermute ich, geschmeichelt und erkannt gefühlt. Drei Ansprüche formuliert Ette an sein eigenes Buch: Er will in einem beschränkten Sinne eine Biographie BarthesÂ’ liefern, zentrale Aspekte seines Werkes erläutern und Anknüpfungspunkte an die deutsche Diskussion bereitstellen. Wie realisiert Ette seine Ziele?
Zunächst sei zu den biographischen Aspekten Stellung genommen. Vieles im Leben BarthesÂ’ erscheint erzählenswert; Ette beschränkt sich vorzugsweise auf intellektuelle Wandlungen in der Biographie BarthesÂ’, wie dies der Untertitel des Buches verspricht. Ette ist hier einerseits sehr detailliert. Zum Beispiel zeichnet er den Streit um Racine, der das intellektuelle Frankreich in den sechziger Jahren polarisierte, genau nach. Andere Auseinandersetzungen, etwa um den Platz des Schreibenden, um seine Berechtigung, um seinen Aufenthalt im allgemeinen Sprechen der Kultur, werden immer wieder aufgegriffen. Einerseits also detailliert, klug, kenntnisreich; andererseits aber fehlen nicht nur die genaueren Auseinandersetzungen gerade mit den Autoren, die Barthes maßgeblich beeinflussten. Hier sei spezifisch Jacques Lacan genannt, dessen Umarbeitung der Saussureschen Zeichentheorie für Barthes so wichtig war, dessen Begriffe der Metapher, der Metonymie, der Signifikantenkette, der Punze und des Stepppunktes immer wieder bei Barthes auftauchen. Davon ist nur in Anspielungen zu lesen. Ebenso Bataille, Sartre, Lévi-Strauss, Deleuze: Ihre Bedeutsamkeit für Barthes wird benannt, aber nicht ausgearbeitet. Zudem aber fehlt genau das, was Barthes selber dann tatsächlich als Biographeme bezeichnet; diese sind nicht nur Ereignisse im Leben eines Menschen - dies wäre eine Anekdote -, sondern einzelne oder mehrere Ereignisse, die systematisiert werden können, und durch die nicht der Autor, sondern das Ordnen und Auflösen von Zusammenhängen in der Kultur spricht. Hier ist Ette oft zu biographisch und zu wenig semiologisch.
Kann Ette zentrale Aspekte des Werks erläutern? Ja und nein. Natürlich kann kein Buch ein so umfangreiches Werk wie das von Roland Barthes vollständig erfassen. Jedoch stützt Barthes sich immer wieder auf grundlegende semiologische Operationen, wenn er zu Mythen, zur Mode, zur Bühne, zur Fotografie oder zur Erzählung arbeitet. Gerade dieses grundlegende Handwerkszeug erläutert Ette nicht. Alle seine Erläuterungen zum Körper, zum Schriftsteller als Amateur, zur Auflösung des Textes sind klug und durch das gesamte Schaffen von Barthes zusammengesucht; der Unterbau jedoch fehlt.
Schließlich bleibt auch die Anknüpfung an aktuelle Diskussionen der neunziger Jahre vage. Allzusehr geht Ette auf die ohnehin schon unselige Diskussion um Moderne und Postmoderne ein. Auch das kann er klug und relativierend, doch hätte er sich hier kürzer fassen und stattdessen tatsächliche Verbindungen zu zeitgenössischen Autoren aufzeigen können, die Innovationskraft Barthes erläutern können. So bleibt seine Aktualisierung konzentriert auf einen recht eingeschränkten Aspekt und missachtet damit die Bandbreite und Konkretheit des Barthesschen Schaffens.
Trotz aller Kritik stellt, soweit ich acht Jahre nach Erscheinen dieses Buches die deutsche Diskussion überblicke, Ettes Werk die grundlegendste und breiteste Auseinandersetzung mit Barthes dar. Ette hat sie innovativ aufgebaut. Er schreibt elegant, wenn auch nicht immer präzise. Ergänzende Lektüren, vor allem beim frühen Roland Barthes selbst, zum Strukturalismus im Allgemeinen und zu Jacques Lacan im Besonderen, sind aber dringend zu empfehlen, wenn man sich intensiver und wissenschaftlicher mit diesem so wichtigen Denker auseinandersetzen will.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. Juni 1999 | ISBN: 3518120778 | Preis: 16,50 Euro | 520 Seiten | Sprache: Deutsch

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