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 Clara Brunner

Puzzle zu einem Frauenbild


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Spannung


Nach ihrer eigenen Mutter Clara hat Marietta ihre Tochter benannt und damit herausgefordert, eines Tages nach dieser gefragt zu werden. Als es endlich soweit ist, muss sich die im Nationalsozialismus aufgewachsene Marietta auch mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen - und mit ihrer zwiespältigen Beziehung zu ihren Eltern, insbesondere aber eben zu ihrer Mutter. Deren Bild, 1946 von ihrem Vater gemalt, hat die Kindheit ihres eigenen Nachwuchses überschattet, der unter den bitteren Augen einer Frau aufwuchs, die ihre eigenen Irrtümer lieber nicht akzeptiert hätte. Denn Gregor und Clara Brunner waren bekennende Nazis, nicht erst seit Hitlers Machtergreifung, sondern schon bevor er selbst ein Mitglied der Partei wurde. Und auch Marietta selbst hat sich ihren Führerglauben fast bis zuletzt bewahrt, teils aus Überzeugung, teils um ihrer Mutter Halt zu geben, die nur durch das Vertrauen der Tochter ihre eigenen Zweifel bezwingen konnte.

Renate Finckhs Drama - ein Genre-Begriff in Ermanglung eines besseren Ausdrucks - setzt sich aus drei Teilen zusammen: Der erste, und mit vierundvierzig von über dreihundert Seiten deutlich kürzeste Teil, ist aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschildert und als Brief Mariettas an ihre Tochter Clara verfasst. Im zweiten Teil erzählt die Autorin auktorial, unterbrochen von Tagebucheinträgen, von der Geschichte im Allgemeinen und der Familiengeschichte der Brunners im Besonderen - und fügt so tatsächlich puzzleartig ein Gesamtbild zusammen, das einen zwiespältigen, manchmal verständnisvollen, manchmal anklagenden Blick auf die Titelfigur erlaubt. Der dritte Abschnitt, nur etwas länger als der erste, beschließt das Buch und fasst die Erkenntnisse der Autorin, der fiktiven (Marietta), wie auch der wirklichen (Renate Finckh) zusammen. Trotzdem kommt schon im ersten Teil nicht wirklich das Gefühl einer lebensechten Schilderung auf; oh, das Geschilderte selbst erscheint schon glaubwürdig, nur die Art der Schilderung weckt Zweifel. Wer bei klaren Verstand schreibt schon einen vierundvierzig Seiten langen Brief, und wer - so er oder sie sich nicht mit Leib und Seele der Literatur verschrieben hat - formuliert dabei so weitschweifig und hochgestochen, dass der Leser manchen Satz zweimal lesen muss, um ihn richtig zu verstehen. Niemand glaubt wirklich, dass sich eine Mutter je in dieser Art an ihre Tochter gewandt hat, egal wie sehr etwas ihre Seele belastet haben mag. Aber vielleicht geht es darum auch gar nicht.

Das Thema jedenfalls ist grenzenlos faszinierend und kann allem Anschein nach auch gar nicht von genug Blickwinkeln aus betrachtet werden. Finckh wählt dabei, wie viele andere vor ihr, eine bürgerliche Perspektive, nicht so sehr auf die eigentlichen Opfer und Täter gerichtet, sondern auf die Mitläufer und treuen Parteiangehörigen. Jene, die vielleicht wirklich nicht so recht begriffen, was da vor ihren Augen geschah, sich aber nicht weniger schuldig gemacht haben, weil sie es auch gar nicht wirklich wissen wollten. Das Buch spielt in der Vergangenheit, vor und während des dritten Reichs und danach, als die Menschen lieber vergessen und sich gegenseitig vergeben wollten, als sich dem zu stellen, was sie erst möglich gemacht und unterstützt hatten. Vielleicht fällt es gerade darum leichter, eine solche Geschichte heute zu lesen, als noch vor wenigen Jahrzehnten.

"Clara Brunner - Puzzle zu einem Frauenbild" erschien erstmals 1993 unter dem Titel "Das bittere Lächeln" im Bleicher-Verlag. Seit Oktober 2006 ist das Buch unter diesem neuen, eher nach Sachbuch klingenden und der emotionalen Materie damit weniger gerecht werdenden Titel im Arrival-Verlag erhältlich.

Fazit: "Clara Brunner" ist eine weitere Auseinandersetzung mit den unmittelbaren Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die bürgerliche Schicht. Vielleicht nicht die beste, aber auch bei weitem nicht die schlechteste. Über dreihundert Seiten versucht die Autorin zu erklären, was nicht zu erklären ist. Dass ihr das nicht völlig gelingt, liegt nun einmal in der Natur der Sache und kann ihr nicht wirklich zum Vorwurf gemacht werden.

Raphael Zens



Softcover | Erschienen: 01. Oktober 2006 | ISBN: 9783939054023 | Preis: 14,95 Euro | 324 Seiten | Sprache: deutsch

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