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 Von Taugenichts bis Steppenwolf

Eine etwas andere Literaturgeschichte

Autoren: Peter Braun
Verlag: Berlin Verlag

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Den meisten Jugendlichen erschließen sich die "Klassiker" im Schulunterricht nur schwer. Der ungewohnte Stil, die dem heutigen Leser fremd gewordene Kultur beziehungsweise "Lebensart", zentrale Probleme, die im 21. Jahrhundert eigenartig, ja absurd anmuten: Wird man zu solcher Lektüre auch noch mehr oder weniger gezwungen, so stößt man sich fast unweigerlich daran.
Peter Braun hat es sich zur Aufgabe gemacht, in diesem Buch das Schaffen bekannter und nicht ganz so berühmt gewordener, für die Entwicklung der deutschen Literatur jedoch bedeutsamer Schriftsteller vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte und ihrem jeweiligen politisch-sozialen Umfeld vorzustellen.
Der Leser begegnet Gotthold Ephraim Lessing, der, ganz im Geiste der Aufklärung und dank einer bewegten Biografie, das Theater revolutioniert und der bürgerlichen Welt ihren Platz in der Kultur zugesteht. Ihm folgt Friedrich Schiller, der vor der Tyrannei seines württembergischen Landesherrn flieht und gegen die Willkür der Adelsherrschaft anschreibt - nicht unbedingt im Sinne von Johann Wolfgang von Goethe, der am Weimarer Hof sein Auskommen hat; das Verhältnis der beiden ist von Höhen und Tiefen gekennzeichnet, die der Autor anschaulich nachvollzieht.
Das 19. Jahrhundert gebiert die Romantik und den Vormärz und viele tragische Dichterpersönlichkeiten, darunter Hölderlin und Kleist, Georg Büchner, der mit "Woyzeck" das Arbeiterelend seiner Zeit porträtiert, und Mörike, dessen Werk typisch ist für das Biedermeier, die Resignation nach der erfolglosen Revolution von 1848. Anders Heinrich Heine, der aus seinem französischen Exil heraus die deutschen Verhältnisse kritisiert, oder auch die stille, von der Kälte ihrer Umgebung erdrückte Annette von Droste-Hülshoff. Gerhart Hauptmanns "Weber" sorgen für Aufruhr. Thomas Mann beschreibt in "Buddenbrooks" den Verfall des Großbürgertums, Franz Kafka und Georg Trakl reflektieren in ihren Werken die Unerträglichkeit des eigenen Lebens, und schon hat der Autor den Leser in die schwärzeste Epoche der deutschen Geschichte geführt. Hans Fallada, eigentlich kein Nazi, arrangiert sich mühsam mit den neuen Machthabern, der Kommunist Bertolt Brecht wandert aus, findet aber später in der DDR keine Erfüllung. Hermann Hesses Bücher werden "Kult" für die Jugend des 20. Jahrhunderts; Wolfgang Borchert stirbt jung an den Folgen des ihm aufgezwungenen Kriegsdienstes, nicht ohne eine wesentliche Botschaft zu hinterlassen: Sag NEIN!

Diese Schriftsteller und einige mehr, unter ihnen auf den ersten Blick unerwartet auch Karl May, haben auf unterschiedlichste Weise Position bezogen, die meisten von ihnen gegen die Verhältnisse, in denen sie zwangsläufig aufgewachsen waren. Spannend, oft in wenigen Sätzen, zeichnet der Autor die politischen und gegebenenfalls sozialen Hintergründe nach, die Einfluss auf die Biografie und die Arbeit der vorgestellten Schriftsteller nahmen. Dabei bedient sich Peter Braun einer unkomplizierten, geradlinigen Sprache. Er umreißt die wichtigsten Werke der jeweiligen Schriftsteller und zeigt auf, woher sie den "Stoff" bezogen, was sie zum Schreiben trieb und vor allem auch, wie sich ihre Theaterstücke, Gedichte, Geschichten und Romane auf zeitgenössische Leser und das Verhalten der Obrigkeit auswirkten. Die Rolle des Literaturschaffenden als Gesellschaftskritiker, der veränderungswürdige Gegebenheiten ohne Beschönigung abbildet und somit an den Pranger stellt, kommt vorzüglich zur Geltung. Gelegentlich wirkt der Zeigefinger des Autors etwas zu hoch erhoben, insgesamt jedoch hat das Buch kaum etwas "Schulmäßiges" und eignet sich gerade deshalb sehr gut als ergänzender Lesestoff für Jugendliche, die mit der Lektüre-Auswahl im Deutschunterricht nicht zurechtkommen, zumal in der Schule die "Klassiker" meistens nicht im historischen Kontext, sondern mühsam auf moderne Gegebenheiten zugeschnitten interpretiert werden. Dichter als heldenhafte Verfechter gesellschaftlicher Ideale oder resignierte Vertreter des Biedermeier, als unglücklich Liebende und kreuzunglückliche junge Menschen, die sich bezüglich ihrer Berufswahl dem Diktat der Eltern oder gar eines Landesfürsten beugen müssen: Literatur hat viele Gesichter, und eine reizvolle, vielseitige Auswahl davon findet man in Peter Brauns Buch.
Die Kapitel werden zudem von Bildern oder Fotos der Protagonisten eingeleitet, sodass der Leser bei der Verfolgung der Biografie den vorgestellten Menschen vor Augen hat.
Ein wirklich gelungenes Buch, das sich gleichermaßen für den Deutschunterricht wie für die private Lektüre eignet und ganz unaufdringlich einen wunderbaren Zugang zu den Werken der Größen der deutschen Literatur schafft.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 01. Oktober 2006 | ISBN: 9783827051806 | Preis: 14,90 Euro | 224 Seiten | Sprache: Deutsch

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