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 Sylvie und Bruno


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Die Lady, die dem alten Mann gegenübersitzt, ist ohne Zweifel wunderschön. So könnte Sylvie in zehn Jahren aussehen. Sylvie, das Kind, das ihm, dem Siebzigjährigen, in seinen Tagträumen begegnet. Und Bruno, Sylvies kleiner Bruder, der zwar vorlaut und hibbelig, nichtsdestotrotz aber ebenso liebenswert wie seine Schwester ist.
Gerade eben noch wohnte er einer Szene bei, die ihn sehr beunruhigt hat. In Andersland, dort wo Sylvie und Bruno normale Kinder sind, gelang einem Untergebenen des Vaters der Kinder eine Intrige derart, dass er nun die Macht zu übernehmen imstande ist. Die Kinder ahnen noch nicht, dass sie, sobald ihr Vater auf eine weite Reise gehen wird, rechtlos und der Willkür dieses Vasallen unterworfen sein werden.
Während die schöne Frau im Zug, Lady Muriel mit Namen, in seinem Leben und vor allem im Leben seines Freundes Doktor Forrester eine immer wichtigere Rolle einnimmt, beginnen sich die Geschehnisse beider Welten auf seltsame Weise zu vermischen.
In der Traumwelt des alten Mannes entfliehen Sylvie und Bruno dem Palast und der Familie des Usurpators und gelangen zu ihrem Vater, der König von Elfenland geworden ist. Die Geschwister, nun Elfen und kaum daumengroß, begegnen dem alten Mann zu dessen Erstaunen in der realen Welt am helllichten Tag und besuchen - in Gestalt und Größe normaler Kinder, die sie scheinbar nach belieben annehmen können - seine Freunde und bezaubern sie.

Die zwischen 1898 und 1893 entstandene Geschichte "Sylvie und Bruno" ist anlässlich des 175. Geburtstags des englischen Schriftstellers Lewis Carroll neu übersetzt worden. Michael Walter übernahm die schwierige Aufgabe, diesen äußerst komplexen Roman ins Deutsche zu transformieren - kein leichtes Unterfangen, birst die Geschichte doch förmlich über vor Archaismen, Neologismen, Okkasionalismen und Verballhornungen.
Dies gelingt ihm vorzüglich, unterstützt wird er von Sabine Hübner, die die zahlreichen Gedichte neu übersetzt hat. Auch der Sprecher, Ulrich Pleitgen, bekannt durch seine zahlreichen Fernsehrollen und zunehmend durch sehr gute Hörbuchproduktionen, denen er seine Stimme leiht, macht seine Sache ebenfalls gut. Gelegentlich nervt zwar die Art und Weise, wie er den kleinen Bruno intoniert, aber dessen alberne und sprunghafte Rede ist auch das Komplizierteste, was sich in dem Text findet.
Leider ist die Geschichte selbst weit entfernt vom genialen und weltweit zu einem Bestseller gewordenen Hauptwerk "Alice im Wunderland" und "Alice hinter den Spiegeln". Dreißig Jahre nach diesem bahnbrechenden Werk der "Nonsense-Literatur", brauchte Carroll immerhin fast vier Jahre, um eine Endfassung von "Sylvie und Bruno" vorlegen zu können. Erfolg war dem Buch nicht beschieden. Es war zu kompliziert, zu sehr Wortspielerei, Satire und Gedankenexperiment. Auch aus heutiger Sicht ist dieses Spätwerk eine seltsame Mischung aus philosophischer Gesellschaftskritik, irrwitziger Fantasy-Geschichte und lähmender politischer Satire. Die Längen sind unverkennbar und immer wieder wird die Geduld des Hörers auf eine ernste Probe gestellt. Zu vieles an diesem Text wirkt wie sinnlos zusammengestückelt und endlos perpetuiert. Die Komplexität ist immens und eine sehr hohe Konzentration ist erforderlich, um der Geschichte zu folgen. Nicht immer ist ersichtlich, welchem Erzählstrang man gerade folgt und ob Realität oder Fantasie vorherrschen. Die immer stärkere Vermischung dieser Ebenen, die letztendlich vollständig ineinander überzugehen scheinen, ist gleichzeitig das Interessante dieses Hörbuches als auch die Krux. Ist es nun ein Tagtraum oder Realität? Satire oder Kinderbuch? Gesellschaftskomödie oder tragisches Drama?

Fazit: "Sylvie und Bruno" ist ein fantastisches Märchen mit dem Anspruch, in der Wirklichkeit verankert zu sein. Dem Einen wird dieses Hörbuch ein Quell anregender und intellektuell fordernder Gedankenexperimente sein, dem Anderen wird es schnell zu einem langweiligen, überkomplexen und sinnlosen Geschwafel verkommen. Man sollte einfach einmal hineinhören und sich selbst ein Urteil bilden. Dank den Übersetzern und Ulrich Pleitgen ist es diesen Versuch mit Sicherheit wert.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 6 | Erschienen: 01. Januar 2007 | ISBN: 9783899032796 | Laufzeit: 450 Minuten | Originaltitel: Sylvie and Bruno | Preis: 29,95 Euro

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