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 Saudek

Autoren: Jan Saudek
Verlag: Taschen, Köln

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Jan Saudek ist einer der umstrittensten und spannendsten Fotografen des Kunstmarktes. 1935 geboren, war er ein Kunstexport während des Kalten Krieges, und heute ist der Tscheche berühmter denn je. Der Kölner Kunstverlag Taschen hat Saudek nun eine Monografie der Extraklasse gewidmet.

Großformatige 443 Seiten wiegen schwer. Auf dem Schoß kann man diesen Band kaum halten, locker fünf Kilo mag das Buch wiegen. Darin sind neben einem Essay über Jan Saudek vor allem Fotos, viele über eine Seite, so manche auch über zwei. Jeweils ein Gedicht oder ein paar Zeilen stehen vor einem Kapitel, und diese genau wie der Essay in drei Sprachen. Und dann kommen die vielen Kapitel, die meistens auch einen klaren Zusammenhalt haben.

Ouvertüre: So amerikanisch wie der Ostblock nur je sein konnte, so sind die Fotos dieser Ouvertüre. Die Stadtlandschaft als Kulisse, malerisch, großartig und schon ein bisschen mit dem verwitterten Zug, den Saudeks Fotografie so oft hat.
Die Menschenfamilie: Zärtlichkeit, Kindheit, wie Anne Geddes sie nicht finden könnte. Kinder in der Geborgenheit der Eltern, geküsst, geliebt.
Erinnerungen: Die Mutter, der Vater, ein paar Stillleben, Bilder voller Melancholie - wie schön kann ein Wasserhahn im Gebüsch sein?
Der Apfel der Erkenntnis: Auf einmal die nackten Tatsachen, die nackten Menschen vor einer nackten, bröckeligen Wand, vor der Wand des Jan Saudek, die er in so vielen Inszenierungen verwendet. Sinnliche und frivole Fotos, ein bisschen schmutzig.
Das Theater des Lebens: Eigentlich bestimmt diese Überschrift das gesamte Werk Saudeks. Alles ist inszeniert, alles ist Leben pur. Saudek bildet Menschen mehrfach ab, getrennt durch manchmal viele Jahre. Meistens sind sie nackt, und es ist fast brutal, wie schlicht und wenig ästhetisierend er sie zeigt. Und doch findet er eine eigene Ästhetik. Er bildet Paare ab, auch das mehrfach, und immer ist einer von beiden nackt, der andere kostümiert.
Das Spiel: Spielkarten mal anders. Saudek lässt Menschen sich selbst gegenüberstehen, so wie die Bilder im klassischen Kartenspiel. Die Mutter geht in die Tochter über, die junge Frau gibt es einmal schwanger und einmal schlank. Ein Spiel der Körper und voller Humor.
Der Kampf: Der ewige Konflikt der Geschlechter, teilweise als Kampf, teilweise mit fliegenden Menschen. Dann ein Pärchen im Liebesakt am Waldrand, auf der anderen Seite des Bildes schwingt die Leiche eines Erhängten.
Das Fenster: Ein Fenster in der Wand, in eine weite Ferne gerichtet, Wolken. Menschen davor, sie schauen hinaus, wollen ausbrechen.
La femme fatale: Keine holde Weiblichkeit, sondern sinnliche, allzu sinnliche Bilder aus der Verehrung für alles Weibliche. Verehrung für das weiche und runde Unperfekte, für Schwangere, aber auch für Androgyne.
Geschichten über die Liebe und das Verderben: Vergänglichkeit und Rollentausch, immer wieder die Zeit und die Verkleidung als Spannungsfeld.
Sein oder Nichtsein: Noch eine Hommage an das Theater und speziell natürlich an Hamlet. Und jetzt wird es provokant. Manche dieser Bilder sind der Grund dafür, dass Saudek auch als Pornograf beschimpft wurde. Und manche davon sind Ikonen der modernen Fotografie. Unglaubliche Bilder.
Jede ist die Schönste auf der Welt: Von Schönheitsidealen hält Saudek nichts, für ihn ist jede Frau schön, und jede soll auch in ihrer Nacktheit das ideale Portrait bekommen. Manches Bild hier wirkt grotesk. Wer fotografiert sonst Kleinwüchsige und auch noch schwanger? Wer fotografiert ein offenbar durch einen Unfall geradezu zerstörtes Mädchen? Übrigens eins der stärksten Fotos des Buches.
Sündige Seelen: Menschen quälen einander, dominieren einander. Aber das hat nichts mit Fetisch oder glänzendem Lack zu tun, sondern mit Humor und Gefühl.
Die Gotteskrieger: Uniformen und keine Uniformen. Soldaten und Musik. Ein hartes, wildes Leben. Eine Gruppe von Pfadfindern, alles Jungen, steht sich selbst gegenüber, doch die meisten sind Mädchen und Frauen, in nackt ändert sich vieles.
Das verlorene Paradis: Das pralle Leben, Musiker, eine Feiergesellschaft, aber auch Cosa Nostra pur. Ein Varieté der Filmfiguren, ein ganz besonderes Paradis.
Der Weg ohne Ende, das vergebliche Rufen ...: Und zum Schluss noch mal von allem etwas. Das intensive Portrait, der Zeitverlauf, die Nackten.

So viele Eindrücke, so viele Fotos, die eigentlich nie langweilig werden, die man sich immer wieder anschauen kann. Ein ganzes Buch, so voller festgehaltenem Leben, theatraler Sinnlichkeit und, bei aller Überhöhung einer so angenehmen Ehrlichkeit. Keine Hochglanzlangeweile, keine Beschönigung. Die handwerklichen Fotografen müssen weinen und dieses Buch fliehen, wie Dracula das Kruzifix. Und doch sind die Fotos des Jan Saudek keine Zufallsprodukte, sondern großartig inszeniert. Er verzichtet auf die verzwickten Perspektiven und fotografiert eigentlich immer in der Totalen, aber der Ausdruck seiner Modelle - oder auch sein eigener, denn er ist oft selbst zu sehen - stimmt, und oft kann er so stimmige, intime Bilder machen, dass es den Betrachter erschauern lässt. Jeder, der sich für Fotografie, für Inszenierung und Echtheit interessiert, sollte Jan Saudek für sich entdecken.

Die Ausstattung, das Format und die tolle Auswahl der Bilder können immer überzeugen. Die bekanntesten Bilder Saudeks mischen sich mit Bildern, die man entdecken muss und kann. Auf jeden Fall ein Buch, das man immer wieder anschauen kann, so oft, bis der Rücken aufgrund des Gewichtes zuschanden geht.

Holger Hennig



Hardcover | Erschienen: 01. Dezember 2006 | ISBN: 9783822830208 | Preis: 49,99 Euro | 443 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch

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