Was würde Ihr Nachbar von Ihnen denken, wenn er wüsste, dass Sie ein Buch mit dem Titel "Zirkuläres Fragen" lesen? Es interessiert Sie nicht, was Ihr Nachbar denkt? Nun, ein systemischer Therapeut könnte dieses Desinteresse interessant finden.
Das zirkuläre Fragen ist eine Technik, die ein Kernstück der systemischen Therapie bildet. Fritz B. Simon und Christel Rech-Simon schildern hier anhand von Therapiesituationen ausführlich die Leistungsfähigkeit dieser Technik.
Die systemische Therapie stützt sich als Therapieform auf eine Wissenschaftstheorie, die unter dem Namen "Radikaler Konstruktivismus" angetreten ist, die wissenschaftlichen Erkenntnistheorien gründlich zu erschüttern. Fritz B. Simon hat den Radikalen Konstruktivismus seit langer Zeit konsequent in eine therapeutische Theorie und Praxis umgesetzt.
Zahlreiche Gesprächsausschnitte aus Therapiesitzungen werden hier von den Autoren vorgestellt und kommentiert. In zwanzig Kapiteln erfährt man, wie Fritz Simon arbeitet. Im Buch unterbricht er die Gesprächstranskripte immer wieder, um diese theoretisch zu kommentieren und so dem Leser verständlich zu machen, warum er dieses oder jenes gesagt und - vor allen Dingen - gefragt hat.
Der erste Teil des Buches, "Das Interview", ist am ausführlichsten gehalten. Hier kommt die Methode des zirkulären Fragens auch am deutlichsten zur Anwendung. Das zirkuläre Fragen zielt nicht darauf ab, Wahrheiten zu erfahren, sondern in eine festgefahrene Situation wieder Bewegung hineinzubringen. Dazu werden die Familienmitglieder voreinander befragt, wie sie die Beziehung zwischen anderen Mitgliedern der Familie einschätzen - zum Beispiel: "Monika, würde deine Mutter aufhören, mit ihren Freundinnen wegzugehen, wenn es deinem Vater besser geht oder wenn es ihm schlechter geht?" Solche Fragen gelten im Alltag meist als unschicklich, vor allem, wenn die Menschen, die diese Fragen betreffen, mit im Raum sitzen. Gerade solche Fragen muss aber die systemische Familientherapie stellen, um geheime Bündnisse und Konflikte, Vorurteile im positiven und negativen Sinne ans Licht zu bringen.
Das Interview stellt auch den ersten Teil einer familientherapeutischen Sitzung dar. Danach macht der Therapeut eine kurze Pause. So heißt auch der zweite Teil des Buches: "Die Pause". Hier wird Sinn und Zweck der Pause in einer Therapiesitzung erklärt.
Der dritte Teil des Buches deckt sich mit dem dritten Teil einer Sitzung. Hier geht es um die Abschlussintervention und all jene Techniken, die die systemische Therapie so berühmt und auch berüchtigt gemacht haben: die Symptomverschreibung, Familien- und Paar-Rituale, Umdeutungen des Familienkontextes, Variationen des Problemverhaltens und so fort.
Während des ganzen Buches wird die Praxis theoretisch reflektiert. Im vierten Teil des Buches werden Orientierungshilfen und Handwerkszeug mitgeliefert, also all jene Techniken, die zwischen der Theorie und der Praxis vermitteln. Unter anderem kann man hier nachlesen, wie eine Therapiesitzung idealtypisch verläuft und welche Frageformen es gibt.

Zu dem Buch ist wenig zu sagen: Selten ist zum Beispiel das Problem, wem der Joghurt im Kühlschrank gehört, so spannend abgehandelt worden. Mit viel Sinn für Dramaturgie und in einer auch dem Laien verständlichen Sprache werden hier Sinn und Erfolg der systemischen Therapie, ihre Werkzeuge und ihre Therapieverläufe dargelegt. Ebenso selten trifft man auf diesem Gebiet auf Autoren, die zudem noch so viel Sprachwitz und einen solchen Sinn für Situationskomik besitzen.
Fritz Simon und Christel Rech-Simon schaffen es also, das Spannende, das Komische, das Ernste und das Lehrreiche zu einem höchst vergnüglichen und lesenswerten Buch zusammenzubringen. Selbst wenn man eigentlich nicht an systemischer Therapie interessiert ist: Dieses Buch lohnt sich allemal.