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 Blind

Autoren: Joe Hill
Übersetzer: Wolfgang Müller
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Judas Coyne, gealterter Rockstar und letztes noch lebendes Mitglied seiner ehemals berühmten Band, frönt einem bizarren Spleen: Er sammelt schaurige Kuriositäten. So nennt er unter anderem ein echtes Geständnis einer als Hexe angeklagten Frau, ein Snuff-Video und eine Henkersschlinge sein Eigen. Als sein Assistent Danny ihm mitteilt, dass es im Internet einen Geist zu ersteigern gibt, zögert Jude nicht lange: Er muss diesen Geist besitzen. Tatsächlich erhält der 54-jährige ohne Probleme den Zuschlag.

Mit dem schwarzen Anzug, der kurz darauf in einer herzförmigen Box, nicht unähnlich einer Valentinstags-Schachtel, geliefert wird, fängt der Albtraum jedoch erst an. Was Jude für einen makaberen Scherz hielt, wird schnell zur bitteren Wahrheit: Der vormalige Besitzer des Anzugs ist anscheinend doch nicht so tot, wie er sein sollte, und trachtet Jude nach dem Leben. Der Rockstar bringt schließlich in Erfahrung, dass die gewonnene Auktion im Internet kein Zufall war, sondern dass er gezielt dazu gebracht wurde, das unheimliche Kleidungsstück mitsamt untotem Anhängsel zu ersteigern. Die Familie einer seiner zahlreichen Exfreundinnen will sich anscheinend dafür rächen, dass Jude das Leben ihrer Tochter zerstört hat. Schließlich nehmen bizarre und gruselige Ereignisse in Judes Haus Überhand, sein Leben und das seiner aktuellen Freundin Georgia sind in allerhöchster Gefahr. Zusammen mit den beiden Schäferhunden Angus und Bon brechen die beiden mit dem Auto auf, um die Verkäuferin des Geistes aufzusuchen und sie zur Rücknahme des Verkaufs zu zwingen. Ein gefährliches, verrücktes Roadmovie nimmt seinen Lauf, an dessen Ende eine Reise in Judes Vergangenheit steht ...

Joe Hill - der Name, der in großen Lettern auf dem Umschlag des Romans "Blind" prangt - klingt wie ein Allerweltsname und sogar ein wenig nach Hillbilly. Allerdings ist es ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass unter dem Pseudonym Joe Hill niemand anderes als der Sohn von Stephen King seinen Debütroman veröffentlicht hat. Zwar gibt es im Buch selbst, auf dem Umschlag oder im Klappentext keinen Hinweis auf diese Identität des Autors, jedoch ist schon das Foto ziemlich verräterisch, weist doch der Sohn eine frappierende Ähnlichkeit mit seinem berühmten Vater auf. Wer also weiß, dass Joe Hill Sprössling von Horror-Großmeister King ist, der geht natürlich mit ganz anderen Erwartungen an dieses Buch heran als jemand, der einen x-beliebigen Debütroman liest.

Insofern muss sich Hill auch dem - an und für sich unfairen - Vergleich stellen. Und der fällt gar nicht schlecht aus. In der Tat weist "Blind" von Story, Erzählstruktur und Stil her sogar eine so hohe Ähnlichkeit mit Kings Frühwerken auf, dass man ständig denkt "so hätte der Papa es wohl auch gemacht". Der Roman ist jedoch zum Glück keine bloße Nachahmung, kein Abklatsch und keine schlechte Kopie, sondern kann als eigenständiges Werk durchaus überzeugen. Die Geschichte vom gealterten Rockstar, der sich mit dreißig Jahre jüngeren Frauen umgibt und sie herzlos ihrer Vornamen beraubt - er spricht seine Bekanntschaften ausschließlich mit dem Namen des Bundesstaats an, aus dem sie stammen, also etwa Georgia oder Florida - liest sich verdammt gut und spannend. Tiefgang hat die Geschichte nicht wirklich, obwohl sie neben purem blutigen Horror auch eine Sinn- und Selbstsuche beinhaltet. Dennoch ist "Blind" zuallererst schnelle, Gänsehaut erzeugende Spannung mit einem gehörigen Schuss Gore und einigen wirklich grauenerregenden Szenenarien, die dem Leser Schauer über den Rücken jagen. Die Pointe der Erzählung - warum der Geist Jude verfolgt - ist ein wenig klischeehaft und nicht vollkommen überzeugend. Hier bietet sich noch deutliches Steigerungspotential, was Eleganz und Vielschichtigkeit des Plots angeht.

Sprachlich schreibt Hill schnörkellos, zwar keineswegs platt, aber auch nicht herausragend, was aber eventuell auch der deutschen Übersetzung anzulasten ist. Dementsprechend schnell und flüssig liest sich der Roman, die 432 Seiten vergehen wie im Fluge. Man freundet sich sogar mit Jude an, obwohl der, jedenfalls zu Beginn, keine sonderlich sympathische Figur ist - wer hat allen Ernstes ein perverses Snuff-Video als Sammelobjekt im Regal stehen? Mit seinen immerhin 54 Jahren darf aber auch Jude durch den Roman hindurch irgendwie erwachsen werden und dann sogar sein Verhältnis zu den Frauen überdenken. Das Ende ist dann sogar richtig schön und fast kitschig. Bevor es aber so weit ist, ergießen sich noch einmal Sturzbäche von Blut, werden die Protagonisten verstümmelt und muss Jude sich seiner Vergangenheit stellen - was den Horrorfan natürlich freut. Die zahlreichen Rock- und Heavy-Metal-Anspielungen im Roman werden Fans dieser Genres sehr gefallen. Albern ist nur (wie fast immer), dass der passende Originaltitel "Heart Shaped Box" zum eher lieblosen Titel "Blind" verhunzt wurde. Eine Kaufempfehlung für all jene, die blutige, nicht allzu anspruchsvolle Unterhaltung lieben und die neugierig sind, wie der Sohn von Stephen King sich als Schriftsteller macht. Und der beweist mit seinem Debüt schon so viel Potential, dass auf weitere - vielleicht etwas tiefgründigere - Romane zu hoffen ist.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 01. Februar 2007 | FSK: 16 | ISBN: 9783453265462 | Originaltitel: Heart Shaped Box | Preis: 19,95 Euro | 432 Seiten | Sprache: Deutsch

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