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 Die blinde Fotografin


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Gefühl
Spannung


"Die blinde Fotografin" ist das zweite Buch, das Suhrkamp von Paul Brodowsky veröffentlicht. Es ist ein Band mit sechs Erzählungen. Alle Erzählungen beschreiben Kippmomente in Liebesbeziehungen und durchbrechen dabei Raum und Zeit.

"Aufnahme" erzählt von einer erblindeten Fotografin, die ihren Geliebten, den Ich-Erzähler, durch New York schickt, damit er ihr später von der Welt, die er gesehen hat, berichten kann. Alles will sie wissen und sehr genau soll er berichten. In die Bar, in der sie sich zum ersten Mal getroffen haben, soll er gehen. Dort soll er warten, "bis eine kommt". Ganz genau beschreiben soll er sie und sich geschickt anstellen, "schließlich soll sie sich nicht in dich verlieben, ich will nur wissen, wie sie küßt, ob zart, mit weichen Lippen oder drängend." Und während er New York durchwandert, trifft sie die Vorbereitungen für ihr letztes Bild.

Auch der Erzähler in "Im Flur" ist ein Ich-Erzähler. Er steht im Flur seiner Freundin, als das Telefon klingelt. Er ist allein und schon beim ersten Klingeln überkommt ihn ein ungutes Gefühl. Er erinnert sich an die letzte Nacht und an die sonderbare Stimmung seiner Freundin Irina. Er denkt an die Migräneuntersuchung, er denkt daran wie Irina schnell das Notebook schloss, als er ins Zimmer kam. Er denkt daran, wie sie das Glas Wein in einem Zug geleert hat und es anschließend über ihre Schulter warf. Er denkt daran, wie sie ihn bat, ihre Hände am Bettpfosten festzuknoten. Und immer wieder klingelt das Telefon, bis schließlich der Anrufbeantworter anspringt um eine neue Nachricht aufzunehmen.

In "Nachtstück" ist es schwer den Figuren zu folgen. Es gibt keinen Ich-Erzähler, aber zwei Perspektiven, aus denen berichtet wird: denen von Nora und Gregor. Beide sind in Hongkong in einem Hotelzimmer, in dem Nora zu Gregor sagt: "Weißt du, mir geht Adrian nicht aus dem Kopf." Während Gregor einer Chinesin bis in eine Bar folgt und sie auf einen Drink einlädt, fährt Nora zu Adrian und knöpft ihre Bluse auf.

Auch "Judith" und "Zoltan und ich" sind Erzählungen über Dreiecksbeziehungen.
In "Judith" läuft der Protagonist ziellos durch Berlin, während sich Judith wahrscheinlich mit Lukas trifft. In "Zoltan und ich" gesteht Julika ihrem Freund während eines Urlaubs in Hanoi, dass sie und sein Freund Zoltan mehr verbindet als nur Freundschaft. Was genau, das bleibt dem Leser überlassen.

Die letzte Erzählung, "Rachel", versucht rückwärts in vierzehn Abschnitten die Stationen von Rachel und dem Ich-Erzähler, Max, zu beschreiben. So erfährt der Leser zum Beispiel, dass Max zum ersten Mal in Rachels Wohnung ist und für sie Fisch kocht. Einen Abschnitt später dann sagt Rachel: "Wann kochst du für mich?" Und auch in dieser Geschichte gibt es einen Dritten. Einen aus der Vergangenheit zwar, aber ganz am Anfang der Erzählung und ganz am Ende der eigentlichen Geschichte liegt Max bei Rachel im Bett und überlegt genauso zu handeln, wie der Andere aus der Vergangenheit.

Die Erzählungen von Paul Brodowsky haben etwas Experimentelles. Alle spielen in großen, dem Leser zum Teil fremden Städten. Sie beschäftigen sich mit den Wahrnehmungen und Erinnerungen ihrer Protagonisten, mit ihrer Verortung in der Welt. Eine gewisse Auflösung von Raum und Zeit ist dabei Programm. Das allerdings macht das Lesen zuweilen anstrengend, weil man Schwierigkeiten hat dem Geschehen zu folgen. Nicht alle Erzählungen sind gleich gut oder gleich schlecht. Sie unterscheiden sich in den Perspektiven und auch in der Art des Schreibens. Das macht das Buch abwechslungsreich, insbesondere wenn man es als Experiment eines noch jungen Autors begreift. Trotzdem gibt es Stellen, in "Judith" sogar die gesamte Erzählung, die langweilen. Was passiert eigentlich?, fragt man sich und kommt zu dem Schluss: nichts, das interessant ist. Und so kommt man ins Überlegen, ob der Autor wohl über der Form den Inhalt vergessen hat oder aber nicht wirklich etwas zu erzählen weiß.
Fazit: Zu empfehlen ist der Band allen, die an junger, deutschsprachiger Literatur interessiert sind oder auch an Erzählformen, die nicht-konventionellen Wegen folgen.

Katja Maria Weinl



Hardcover | Erschienen: 01. März 2007 | ISBN: 9783518418741 | Preis: 14,80 Euro | 128 Seiten | Sprache: Deutsch

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