Media-Mania.de

 Was ist der Mensch?

Die Entdeckung der Natur des Geistes


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch


Die neusten Erkenntnisse der Gehirnforschung werfen Fragen auf, die weit über die Naturwissenschaft hinweg Wirkung zeigen und die Psychologie, Philosophie und Ethik betreffen. Denn wie man heute nachweisen kann, ist die Vorstellung eines menschlichen Bewusstseins nicht haltbar: Entscheidungen, die der Mensch scheinbar autonom trifft, gehen nachprüfbare Prozesse im Gehirn voraus. Dies wirft die Frage auf, ob es einen menschlichen Willen, eine menschliche Willensfreiheit überhaupt gibt, ob diese reine Illusion sind und auch die Psyche des Menschen biologischen Mechanismen unterworfen ist. Und welche Auswirkungen hat eine solche Erkenntnis? Sollte man in Zukunft Gehirnprozesse, die etwa kriminellen Handlungen vorhergehen, von vorneherein mit Psychopharmaka unterdrücken? Kann man anhand von Gehirnen zukünftige Sexualstraftäter ausfindig machen, bevor sie straffällig geworden sind? Und falls ja - darf man das? Kommen einem da nicht viel mehr die Schreckensbilder von "Clockwork Orange" und "Minority Report" in den Sinn - die Entmündigung des Menschen und der Menschlichkeit durch Manipulation seines Willens und seiner Entscheidungen?

Was die Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse angeht, ist sich die Wissenschaft keineswegs einig, der Streit tobt erbittert, die Positionen gehen weit auseinander. In dem vorliegenden Buch von Michael Pauen, Philosoph an der Universität Magdeburg, wird der Versuch unternommen, sie miteinander zu versöhnen, will heißen: die Erkenntnisse der aktuellen Hirnforschung darzustellen, ihre Thesen gegeneinander abzuwägen und die unterschiedlichen Stimmen in Einklang zu bringen. Im ersten Kapitel stellt Pauen dabei die Entwicklung des Bildes vom Menschen und seines Geistes auf, vom Naturalismus über die Aufklärung bis hin zum Materialismusstreit. Als wesentliche Eckpunkte dieses sich wandelnden Menschenbilds macht er dabei die Schriften von Descartes, Kant und Darwin aus und setzt sie in Zusammenhang mit der aktuellen Debatte. Im zweiten Teil folgt dann die systematische Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen der Bewusstseinsforschung. Wie lassen sich anhand dieser Ergebnisse Bewusstsein, Selbst und Willensfreiheit deuten und verstehen? Befindet sich die Forschung auf einem Irrweg, oder muss die Lehre vom menschlichen Geist umgeschrieben werden?

Pauen gelingt es, die richtigen Fragen zu stellen, die Positionen gut abzustecken und die Debatte auch für Laien verständlich zu machen. Sein Hang, die hochbrisanten Dispute der Gehirnforscher und Philosophen zu relativieren, unter einen Hut zu bringen und es allen Stimmen recht zu machen, ist allerdings wenig hilfreich, denn letztlich versagt die Wissenschaft genau an diesem Punkt: das Wissen vom menschlichen Gehirn ethisch zu erfassen. Hier gehen die Positionen naturgemäß auseinander und müssen mit wachsendem Erkenntnisgewinn eher noch schärfer formuliert werden. Pauens These hingegen ist, "dass unser Selbstverständnis als bewusster, selbstbewusster und freier Personen nicht durch die Hirnforschung bedroht ist" (S. 234). Doch genau dies ist der Fall, wenn man die Debatten der letzten zwei Jahre aufmerksam verfolgt hat: mit der Hirnforschung wird sehr wohl argumentiert, um gewisse Ziele umzusetzen. Gehirnpolitik, Gehirnstrafvollzug, Gehirnjustiz und Gehirnphilosophie stehen längst in den Startlöchern, und man wird sich diesen bedenklichen Entwicklungen stellen müssen, ehe sie einen unversehens überrollen. Pauens Resümee aber ist, dass letztlich alles beim Alten bleibt. Das nimmt seinem Buch etwas die Brisanz, schmälert aber nicht die hervorragende Darstellung der genannten Probleme. Eine lesenswerte, leicht zugängliche Abhandlung zu einem hochaktuellen Thema, die man auf jeden Fall empfehlen kann.

Hagen Hoffmann



Taschenbuch | Erschienen: 01. Februar 2007 | ISBN: 9783421042248 | Preis: 19,95 Euro | 269 Seiten | Sprache: Deutsch

Bei Amazon kaufen


Ähnliche Titel

Cover
HeilsteinePsychodynamisch Imaginative Traumatherapie für Kinder und JugendlicheHirnforschung für Neu(ro)gierigeDurch die NachtAus Sicht des Gehirns