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 Der letzte Tag des Sommers

Autoren: Jock Sturges
Verlag: Knesebeck

Cover
Gesamt +++++
Aufmachung
Bildqualität
Mit sehr viel Wehmut wird dieser Tag begangen, denn meistens merkt jeder, dass nach diesem Tag kein Sommer mehr sein wird. Der letzte Tag des Sommers ist ein letztes Mal richtig warm, der Tag, an dem schon ein kühler Wind am Abend den Herbst spüren lässt. Dieser Tag wird in dem Fotoband von Jock Sturges gefeiert.

Ein wenig ist dieser Fotograf ja verrufen, in mancher Buchhandlung in seiner Heimat Amerika wurden seine Bücher schamhaft versteckt und so manches Mal wurden sie in die Richtung der Kinderpornografie gerückt. Vermutlich hat sich aber niemand, der das tat, mit Ruhe diese Bilder angeschaut.

Jock Sturges hat seine Fotos in Kalifornien und in Süd-Frankreich gemacht, an Orten, wo eine natürliche Nacktheit gepflegt wird. Und die wirkt eigentlich immer so natürlich, dass sie noch nicht einmal wirklich ein Verfremdungseffekt ist. Menschen sind einfach zu zwei Dritteln in diesem Buch nackt, aber das ist wirklich nur ein Teilaspekt.

Es geht offensichtlich nicht nur um den Sommer und dessen Ende im meteorologischen Sinne. Viele der Fotografierten sind sehr jung, irgendwo zwischen neun und vierzehn Jahren, so könnte man schätzen. Der Sommer ihrer Kindheit geht zu Ende, und jene Melancholie, die zu jedem Abschied gehört, steckt in vielen der schwarz-weißen Bilder, in vielen Mienen.

Ein Mädchen, "Wendy" - Sturges betitelt seine Bilder fast immer nur mit den Namen derer, die abgebildet sind -, eingewickelt in ein Badetuch, sie ist nass und sie friert und schaut in die Kamera mit großen Augen. Sturges fängt die Weisheit dieser kindlichen Augen ein und sie schaut ihn mit einem großen Vertrauen an - ein Vertrauen, dass sich in vielen dieser Bilder widerspiegelt. Mit einem einfachen "C." ist ein Bild betitelt, dass eigentlich nur Ruhe ausdrücken kann, ein Mädchen von vielleicht neun Jahren, dass auf einer Couch liegt, die Arme zu den Seiten weggestreckt, und der Kopf fällt im Schlaf zu einer Seite auf die Schulter. Ein kleines nacktes und schlafendes Mädchen in einer Kreuzhaltung, keine Parodie auf Kreuzigungsszenen, sondern eine Bild von einer Zartheit und einer anderen Art von Heiligkeit und Unschuld. Viele Schlafende hat Sturges fotografiert - wobei man natürlich nie weiß, ob diese Bilder nicht gestellt sind - sie wirken aber nicht so. Viele davon haben einen großen Zauber, wenn auch vielleicht keines so wie "C.".

Aber Sturges kann auch ganz anders. Zum Beispiel bei "Marinne et Jeanne", ein Hochkant-Foto. Im unteren Bereich liegt ein Mädchen quer auf dem Bauch an einem Strand, ihr Haar trocknet in der Sonne, man sieht ihr Gesicht im Profil, sie schaut nach unten aus dem Foto heraus. Aber sie ist für den Betrachter auf den ersten Blick fast unsichtbar, denn im Bild über ihr wendet sich ein Mädchen der Kamera direkt zu und blickt genau in die Kamera. Ihre Haltung ist ungezwungen und ein bisschen skurril, sie stützt sich auf den Armen auf, hat die Oberschenkel geschlossen, die Unterschenkel aber im rechten Winkel abgespreizt, aber es ist ihr Blick, der sie so das Bild dominieren lässt, ein bisschen trotzig, ein bisschen fragend.

Jock Sturges ist kein Meister der Pose, wenn ein Bild gestellt aussieht, dann liegt es daran, dass Menschen in der Gegend herumstehen und genau in die Kamera schauen, da gibt es einige von, die meisten davon haben eine nicht zu unterschätzende Intensität, die aus dem Blick resultiert, und vielleicht auch aus der Schutzlosigkeit, der sich die Modelle oft preisgeben.

Sturges Bilder sind immer sehr monochrom, nie hektisch oder verwirrend, meistens lässt er den Menschen Platz, nähert sich ihnen vorsichtig. Kein effektheischendes Buch, obwohl wirklich junge, meist weibliche Menschen zu einem großen Teil völlig nackt gezeigt werden, nackt ja, aber nie begehrlich, sondern schlicht und natürlich. Aber ein Buch, das diesen letzten Tag des Sommers mit all seiner Melancholie auf fast magische Weise einfängt.

Es gibt neben den Bildern noch einen Essay von Jayne Anne Phillips und einige Worte von Jock Sturges selbst, die ein paar zusätzliche Eindrücke vermitteln, die Bilder aber stehen eindeutig im Vordergrund.

Holger Hennig



Softcover | Erschienen: 1. Februar 1996 | ISBN: 9783926901842 | Originaltitel: The Last Days of Summer | Preis: 39,90 Euro | 95 Seiten

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